Frau Ohtas Gespür für Töne
Masako Ohta und ihre höchst einfühlsame Regentropfen-Improvisation im Resonanzkörper des Flügels. Foto: IW
Konzert am Tannerhof
Klavierkonzerte mit Masako Ohta sind immer eine sinnliche Überraschung. Besonders zauberhaft aber sind die alljährlichen Sonntagsmatineen am Tannerhof. Mit „Be water, my friend“ nahm die Pianistin ihre Zuhörer in den Bann ihrer Klangreise – nicht nur mit den Klaviertasten.
Sie habe das Regenwetter nicht extra bestellt, bekannte die Pianistin zu Konzertbeginn. Es passte indes perfekt zu ihrer von einem Zitat Bruce Lees inspirierten Musikauswahl. Bei „Be water, my friend“ drehte sich schließlich alles rund um das fließende Element. Draußen vor den Fenstern der gemütlichen Alten Tenn rann das Wasser in Strömen vom Himmel. Drinnen perlte und tropfte es aus Masako Ohtas Fingern in die Tasten und Saiten des Bechstein Flügels. Und die Gäste des sonntagvormittäglichen Konzertes lauschten gebannt und klatschten frenetisch. Was Masako Ohta auszeichnet, ist ihr außergewöhnliches Gespür für Töne. Nicht nur für Töne – auch für Stimmungen und Schwingungen, für Menschen und Räume, für Fauna und Flora. Deshalb ist ihre Musik mehr als nur Musik.
Klavierspüren statt Klavierhören
Eine Woche lang war die in München lebende japanische Pianistin nun die „Künstlerin in Residence“ am Tannerhof in Bayrischzell. In dieser Zeit erfreute sie nicht nur täglich die Gäste mit ihrem Klavierspiel. Sie gab darüber hinaus auch in diesem Jahr das ungewöhnliche Seminar mit dem Titel Klavierspüren und spielte zwei wunderbare Konzerte. So kamen die bewegten Zuhörer in den Genuss der abwechslungsreichen und sinnlichen Musik ihres Solo-CD Programmes „Poetry Album“. Und mit „Be water, my friend“ feierte die Pianistin mit ihnen schließlich eine Hommage an den Regen.
Bei Pianistin Masako Ohta sind alle Konzerte Gesamtkunstwerke aus Musik, Literatur und japanischer Philosophie. Foto: IW
Was Ihre Konzerte so außergewöhnlich macht? Masako Ohta sitzt nie einfach nur am Klavier und spielt. Ihre Musik ist stets begleitet von der japanischen Ästhetik und Philosophie – und von Haikus. Fremd und betörend klingen die fast dahingeflüsterten Sätze in ihrer Muttersprache im Dreiklang ihrer Wiederholungen. Eines dieser japanischen Kurzgedichte stimmte die Gäste auf dieses ungewöhnliche Regenkonzert ein:
Ein alter Teich,
Frosch springt hinein.
Klang des Wassers.
Mit Frédéric Chopins op. 25-1 begann Masako Ohtas rauschende Feier des fließenden Wassers. Darauf folgte in ihrer ungewöhnlichen Liebeserklärung ein faszinierendes Stück alter japanischer Musik. Der Komponist Kengyo Yatsuhashi starb, als Johann Sebastian Bach geboren wurde. Er komponierte die Musik ursprünglich für die japanische Koto, ein Saiteninstrument, das mit drei Fingern gezupft wird. Unter Masako Ohtas über die Tasten perlenden Finger wurden aus dem altjapanischen, fürs Klavier transkribierte Stück, höchst moderne und ungewöhnliche Klänge.
Verschmelzen von Literatur und Musik
Wer die Pianistin kennt, weiß dass in ihren Konzerten Stücke von Toru Takemitsu niemals fehlen. Anhand ihrer Erläuterungen, aus denen die große Liebe zu seiner Musik erkennbar ist, erschlossen sich die Klangwelten des zeitgenössischen japanischen Komponisten. Takemitsu komponierte seine „Regenbaumskizzen“ anhand des Romans „Der kluge Regenbaum“ von Kenzaburo Oe, Nobelpreisträger für Literatur (1994), mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband.
Masako Ohta am Bechstein Flügel. Foto: IW
Masako Ohta verwebte die Stücke, ihre Töne und Klangfolgen aus unterschiedlichen Ländern und Epochen zu einem faszinierenden Regengeschichtenteppich. Während bei den anspruchsvollen Stücken Johan Sebastian Bachs und Camille Saint-Saëns die Tropfen nur so dahinperlten, tröpfelte die Stille zwischen die Töne bei einem Stück des zeitgenössischen ungarischen Komponisten György Kurtag. „Wasser, das sind auch Tränen“, erläuterte die Künstlerin, warum sie das Stückes Kurtags gewählt habe. Es heißt: „Tears“.
Zauber der Landschaft
John Cages „In a Landscape“ passe zwar nicht unbedingt zum Regen. Aber sie spiele es immer dann gern, wenn sie sich in einer schönen Umgebung befinde, wie beispielsweise am Tannerhof. Und auf dem Klangteppich, den sie mit diesem Stück ausbreitete, wandelten die Zuhörer in ihren eigenen Gedanken und die regennassen Pferde nebenan im Gras auf der Koppel.
Weil der Applaus partout nicht versiegen wollte, kamen die Zuhörer noch in einen ganz besonderen Genuss: Die Künstlerin nahm zwei paar hölzerne japanische Essstäbchen zur Hand und improvisierte ein einfühlsames, höchst träumerisches eigenes Stück. Mit dieser sehr persönlichen Hommage an die Regentropfen endete das Konzert – und draußen mit einem Mal auch der Regen. Masako Ohta hat nicht nur die Gäste verzaubert – sondern offensichtlich den Himmel selbst.