Das Krippen-Wimmelbild der Lisbeth März
In Leinen gewickelt liegt das Jesuskind in der Krippe von Elisabeth März. Foto: Anja Gild
Zum Heiligen Abend aus Hohendilching
Lisbeth März gehört nicht zu den Menschen, die großes Aufheben um ihre Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit machen. Könnte sie aber. Denn in ihrer Stube in Hohendilching steht etwas, das feiner und liebevoller gestaltet kaum sein kann. Damit wünschen wir Ihnen eine frohe und gesegnete Weihnacht.
Der Raum ist klein. Ein Tisch mit Bank, ein Fernseher, eine kleine Bücherwand, ein Kachelofen. Neben der Anrichte steht sie, die Krippe – ach was, die Krippenlandschaft! 19 Figuren und 8 Szenen beleben das Bild der alpenländischen Krippe der Elisabeth März. Aufgebaut auf einem Tisch in der Ecke der Stube.
Das Besondere: Alle Kleidungsstücke sind handgefertigt, viele Alltagsgegenstände sind selbst gebastelt und das Arrangement entspringt ihrer und ihrer Nachbarskinders Fantasie. Florian, Andreas und Barbara helfen mit – vier Tage lang wird aufgebaut, gestellt und dekoriert.
Das Außergewöhnliche: Die Krippe ist öffentlich zugänglich. Jeder kann klingeln, findet Einlass, darf sich auf einen fellbedeckten Stuhl setzen, schauen, entdecken – und einen exzellenten hausgebrannten Kripperl-Schnaps gibt es obendrein.
19 Figuren stehen, knien, arbeiten rund um die Krippe. Foto: Anja Gild
Jedes Jahr kam eine Figur dazu
Die gebürtige Hohendilchingerin mit dem freundlichen Gemüt weiß eigentlich selbst nicht genau, warum sie vor 34 Jahren mit dem Krippenbau angefangen hat. Jedenfalls fertigte ein Freund des Hauses eine alpenländische Krippe mit Mauern und Holzdachstuhl. Das war der Anfang. Maria, Josef, das Jesuskind, Ochs und Esel waren selbstverständlich dabei. Im Laufe der Zeit wurde das Gebäude höher und größer.
Dann besuchte Lisbeth März Krippenausstellungen, durchstreifte Bastelläden, sammelte Ideen und auf ihren Wanderungen Moose, Hölzer, Wurzeln, Steine. Das ganze Jahr über – immer in Gedanken an die Krippe, die kurz vor dem ersten Advent aufgestellt wird. Dann kamen die Anbauten – ein Freund der Familie fertigte alles nach Vorgabe und Maß der Elisabeth März.
Alle weiteren Figuren hat sie sich selbst geschenkt – jedes Jahr vom Weihnachtsgeld eine neue Figur: Der Bauer, die Bäuerin, die Magd, drei Frauen, der Hirte, ein Hirtenjunge, der Jäger, der Großvater, die Enkelkinder, die vier Musikanten, die heiligen drei Könige und der Engel. Und was für Figuren! Die Gesichter, so fein, so lieblich und charaktervoll. Es ist ein Genuss, sich in die Landschaft mit ihren Menschen zu vertiefen und jedes Detail ausgiebig zu studieren.
Jede einzelne Figur hat ein charaktervolles Gesicht. Die Figuren stammen alle aus einer Serie. Foto: Anja Gild
Ein Krippen-Stillleben voller Leben
Die Krippenlandschaft ist auf einem Tisch aufgebaut. Die Beine sind durch einen Stoffvorhang abgedeckt. Im Zentrum die alpenländische Krippe. An die Zimmerwände gelehnt ragen Rinden und Hölzer nach oben – es entsteht der Eindruck schroffer Gebirgszüge in der Ferne. Überall grünt Moos. Vorne rechts ist der See mit den Enten. Letztes Jahr war es ein Wasserfall. Und dort ein Marterl, täuschend echt. Weiter hinten die Schafe, behütet von einem Hirten mit stolz gebogenem Nasenrück und Schnurrbart.
Auf der Terrasse sitzt der Großvater. Die Pfeife ist leider zerbrochen. Lisbeth wird sie mit FIMO wieder richten. Daneben auf einer Bank die Kinder und davor die Musikanten – einer trägt eine Gans in der hölzernen Kraxe auf dem Rücken. Ein winziges Waschbrett und eine winzige Wurzelbürste liegen neben einem Zuber zum Wäschewaschen. Eine junge Frau sitzt und hackt Daxen. Ein Mann spaltet Holz auf einem Hackstock. Das fertige Holz ist zu einem Holzrundling aufgeschichtet. Im rechten Teil des Hauses steht die Küchentür offen. Ein Ofen mit Küchengeräten ist zu sehen. Durchs Fenster sieht man eine Frau einen Tisch decken.
Unweit vom Haus ein Backofen. Helle Teigleiber warten darauf, ins flackernde Feuer hineingeschoben zu werden. Dann ein Hühnerstall. Der Fuchs steht schon vor dem Zaun und wartet gespannt auf eine Gelegenheit. Ganz vorne liegen Holz-Ski mit alten Bindungen. Ein Junge tritt aus einer Baumwurzelhöhle hervor. Oberhalb Rehe, der Jäger luckt zwischen Sträuchern durch. Eine Kapelle mit einer Monstranz, in der Nähe ein Bildstock und oben aus dem Kamin auf dem Dach steigt Rauch auf. Willkommen in den Bergen, willkommen zur Geburt des Heilands.
Mit jedem Blick entdeckt der Betrachter ein winziges Detail in der Krippe. Hier die Küche mit Ofen und Kochgeschirr. Foto: Anja Gild
Das „Kripperl-Schauen” ist heute eher die Ausnahme
Lisbeth März lädt Menschen ein, die Krippenlandschaft zu betrachten. „Ich kenne hier niemanden mehr, der seine Türen öffnet und die Krippe anschauen lässt. Meistens kommen ja Bekannte.“ Öffentliche Krippen sind in Kirchen, auf Weihnachtsmärkten, auf Krippenausstellungen oder – wie in Prien am Chiemsee – in Schaufenstern zu sehen. Aber im privaten Haus? „In Innsbruck gibt es diese Tradition, da bin ich mal mit einem Bus hingefahren und in Garmisch habe ich gehört, soll es das auch geben.“ Heute steht fast unter jedem Weihnachtsbaum eine Krippe. Krippenbau ist wieder Mode. Dabei hat die Hauskrippe noch gar keine so lange Tradition. Erst Anfang des 19ten Jahrhunderts entwickelten sich die ersten Hauskrippen. Hintergrund war ein kurzzeitiger Erlass von Kurfürst Maximilian IV. Joseph, der das öffentliche Aufstellen von Krippen verbot. Also bauten die Menschen ihre Krippen in ihren eigenen vier Wänden auf.
Figuren aus Holz und Draht
Die Figuren stammen alle aus einer Serie. Dadurch sind die Gesichter alle ähnlich schön und harmonisch gearbeitet. Durch die Kleidung verraten sie ihre Funktion in der Geschichte. Während die Heiligen drei Könige, die noch auf der Anrichte stehen und auf ihren Einsatz warten, prächtigst mit Gold- und Silberbordüren gekleidet sind, ist das Hemd von Josef aus Leinen gefertigt. Ein Filzhut, ein Filzumhang und Hosen aus grobem Stoff. Der Holzhacker trägt eine gestrickte Miniweste, der Hirte einen gestrickten Mini-Janker, die Frauen tragen Dirndl und Kleider. Ein Blick unter das Gewand des Melchior verrät, dass die Figuren nur teilweise aus Holz bestehen. Arme und Beine sind aus Draht gefertigt, so dass sie sitzen, stehen, knien, hocken können. „Ich verändere nur selten die Haltung meiner Figuren – wer sitzt, sitzt eigentlich schon seit Jahren.“ Lisbeth lacht gerne und erzählt bereitwillig die Geschichten zu den einzelnen Figuren und Szenen. „Manche Figuren haben dickere Arme und Beine. Da habe ich um das Drahtgestell Verbandsstoff gewickelt. Jetzt sind die Arme oder Oberschenkel kräftiger. Und manche Figur hat sogar eine Unterwäsche an.“
Weil die Figuren aus Draht gefügt sind, können sie sitzen, stehen, knien. Das macht die Krippe besonders lebendig. Foto: Anja Gild
Wie Lilliput oder mitten in einem Wimmelbild
Nach einer Stunde und mehreren Kripperl-Schnäpsen ein letzter Blick auf die Hauskrippe. Alles ist so echt! Wie Lilliput fühlt sich der Betrachter. Oder wie in einem dieser berühmten Wimmelbilder von Ali Mitgutsch. Kaum hat das Auge das eine erfasst, entdeckt es schon wieder etwas anderes. Ein Hund, drei Katzen, eine Schwalbe mit Nest, Bienenkörbe. Und so wie ein Steinmetz irgendwo sein Signum eingraviert oder ein Maler ein Bild mit seinem Namen signiert, so hat auch Lisbeth März sich in der Krippe als Urheberin verewigt: An der Krippenhauswand lehnt ein Mehlsack. Mit Blau ist der Schriftzug „März“ darauf geschrieben. Und drunter das Datum 1997. So lange lehnt dieser Mehlsack schon an der Hauswand.
Täuschend echt sehen die Szenen in der Krippenlandschaft aus. Das Marterl lädt zum Verweilen ein. Foto: Anja Gild