30 Jahre Mauerfall – ein historisches Ereignis
Stacheldraht vom innerdeutschen Zaun. Foto: MZ
Samstagskolumne
Heute dürfen wir 30 Jahre Mauerfall feiern, die Mauer in Berlin und die innerdeutsche Grenze trennten Deutschland seit 1961. Der 9. November 1989 war ein Tag der Emotionen und es war eine historisch nie vorher dagewesene friedliche Revolution vorausgegangen. Und heute? Was ist übriggeblieben und was können wir tun, um das Zusammenwachsen der Menschen zu fördern?
Ich werde den Abend des 9. November 1989 nie vergessen. Wir sahen die Tagesschau. Eine Pressekonferenz, in der Günter Schabowski, Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung von Ost-Berlin, verkündete, dass die Regierung der DDR eine neue Reiseregelung entschieden habe. DDR-Bürger könnten jetzt in die BRD reisen.
Auf die Frage eines Journalisten, ab wann das gelte, sprach Schabowski den berühmt gewordenen Satz: „Das trifft… nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“
„Willkommen“
Wir schauten uns an, fassungslos, dann ging mein Mann in den Keller und holte eine Flasche Sekt. Bis Mitternacht saßen wir gebannt vor dem Bildschirm und erlebten die Öffnung der Grenze in Berlin, wir sahen wie Menschen weinten, wie sie in Westberlin mit „Willkommen“ empfangen wurden, wie sie auf der Mauer tanzten.
Das Brandenburger Tor. Foto: MDM
Sechs Jahre vorher waren wir per Ausreiseantrag in den Westen gekommen, kein einfaches Unterfangen, weder das Weggehen, noch das Ankommen. Inzwischen aber hatten wir uns im Landkreis Miesbach eingelebt, hatten Freunde gefunden, Arbeit und erlebten die Freiheit des Westens als ganz großes Geschenk.
All unsere Freunde und Verwandten, die wir seit 1983 nicht gesehen hatten, da wir nicht mehr in die DDR einreisen durften, kamen im Jahr 1990 zu uns, ich musste Belegungspläne machen, aber es war eine Riesenfreude, alle wiederzusehen und zu wissen, dass es so bleiben wird.
Konföderation, demokratischer Sozialismus
Die politischen Ereignisse im Jahr 1990 bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober überschlugen sich. Wir hörten von dem Wunsch des Runden Tisches in Ostberlin, eine Konföderation zu bilden und einen demokratischen Sozialismus in der DDR aufzubauen.
Wir erfuhren andererseits, dass Bundeskanzler Helmut Kohl eine Wiedervereinigung nach Paragraf 23 des Grundgesetzes anstrebte, wonach die DDR als Beitrittsland zur BRD dazustoße. Die Bedeutung war uns damals nicht klar. Wir erlebten auch den Wunsch vieler DDR-Bürger, schnell die D-Mark und die Waren des Westens zu bekommen.
Es wurde in einer Zeit großer Emotionen und Empathie eine Chance vertan, die Zukunft Deutschlands mit gegenseitigem Respekt gemeinsam zu gestalten.
Dieses Stück Mauer habe ich 1990 herausgeschlagen. Foto: MZ
Erst Jahre später begriff ich, dass dieser schnelle Weg problembehaftet war. Die Treuhand wickelte die Wirtschaft ab, wobei übersehen wurde, dass zwar die Betriebe oft marode waren, die Menschen aber sehr gut ausgebildet. Viele verloren Arbeit und vor allem Wertschätzung.
Soziale Errungenschaften
40 Jahre Leben sollten plötzlich wertlos geworden sein. Es gab ja neben all dem Schlimmen in der Diktatur soziale Errungenschaften, wie das Recht auf Wohnung und auf Arbeit. Nachdem man zunächst zur Niveacreme gegriffen hatte, kehrte man reumütig zur Florenacreme zurück, Ostalgie breitete sich aus. Die Halleschen Hallorenkugeln konnten sich durchaus dem Wettbewerb mit Ferrero Rocher stellen.
Es blieb nicht viel Übrig von der DDR. Foto: MZ
Die Reisefreiheit genießt man heute noch, aber der Strom von Ost nach West ist bedeutend intensiver als von West nach Ost. Und langsam breitete sich auch Missstimmung aus, hüben und drüben, der Solidaritätsbeitrag wurde erhoben, im Osten und im Westen, die Gehälter und Renten im Osten sind auch heute noch unter denen im Westen.
Viel schlimmer aber, die Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung gingen zum großen Teil in westliche Hand.
30 Jahre Mauerfall und zwei Lebensgeschichten
Das bedenklichste gegenwärtige Entwicklung aber ist, dass Nationalismus, gar Rassismus, in der DDR unterdrückt, sich ausbreitet. Der Wahlsieg der AfD in Thüringen macht Angst. Der Zither-Manä hat dieser Entwicklung sein Lied „Unsere Werte“ entgegengestellt. In einem gemeinsamen musikalischen Gespräch erzählten wir im Januar im Foolstheater Holzkirchen und am gestrigen Abend in der WeyHalla anhand unserer Lebensgeschichte die Geschichte der beiden deutschen Staaten.
Lesetipp: Lebenserfahrungen in Ost und West
Was können wir im Landkreis Miesbach tun, um diese Entwicklung zu bremsen? Das Redaktionsteam von KulturVision e.V. hat viele Jahre lang Kulturreisen in die neuen Bundesländer unternommen. Die Fotoausstellung von Isabella Krobisch und Petra Kurbjuhn legte davon Zeugnis ab.
Lesetipp: Eindrücke und Gedanken zwischen Ost und West
Ich wollte meinen bayerischen Mitstreitern zeigen, welche Kulturschätze im Osten Deutschlands zu sehen sind und ich wollte Begegnungen mit den Menschen ermöglichen.
Grafik zu 30 Jahre Mauerfall
Wir holten Autoren zu Lesungen und Künstler für Ausstellungen nach Bayern. Diesen Kulturaustausch wollen wir jetzt wieder intensivieren. Ausgangspunkt dafür ist das Projekt, das wir gemeinsam mit Andreas Hörnisch zur Grafik seines Vaters gemacht haben und das auf Seite 3 der eben erschienenen 32. Ausgabe der KulturBegegnungen nachzulesen ist.
Die 30 Jahre alte Grafik von Otto Hoernisch. Foto: MZ
Auch andere Initiativen im Landkreis haben sich dem Austausch mit Ostdeutschland verschrieben. Chöre und Bund Naturschutz haben Partnerschaften aufgebaut und Einzelpersonen fahren immer wieder gen Nordosten.
Begegnen und Zuhören
Durch Begegnungen und Zuhören Wertschätzung und Anerkennung der Verdienste der Menschen in den neuen Bundesländern schaffen, scheint uns ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Kultur ist dazu ein besonders geeignetes Mittel, da wir hier nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit Herz und Seele wahrnehmen. Wer Lust hat, an diesem Projekt Kulturbegegnungen mit den neuen Bundesländern mitzuwirken, möge sich bei mir melden.