Gerd Anthoff und Martin Kälberer: „Hirngespinste“
Gerd Anthoff liest im FoolsTheater. Foto: IW
Lesung/Musik in Holzkirchen
Schauspieler Gerd Anthoff und Musiker Martin Kälberer tauchen tief hinein in die Welt eines Alzheimerkranken, nach einem fiktiven Roman von J. Bernlef. Was, wenn jeder Tag aufs Neue zum Abenteuer, zum Albtraum, zur Kindheit, zur Überraschung wird?
Es war ein schwieriger Stoff, an den sich 1984 der holländische Autor J. Berlef als erster heranwagte: die Alzheimer-Erkrankung aus der fiktiven Innenansicht eines Patienten im Roman zu schildern.
Wahrnehmung einfühlsam transportieren
Schauspieler Gerd Anthoff hat sich des sensiblen Themas angenommen. Feinfühlig und intensiv geht er der Frage nach: Wie lassen sich subjektives und objektives Erleben, Erinnern und Vergessen im Prozess der Erkrankung sprachlich darstellen? Und da es auch die Musik ist, die Wahrnehmungsprozesse auf einfühlsame Weise transportiert, hat er sich mit Martin Kälberer einen besonderen Musiker an die Seite geholt. Am Klavier finden in den Improvisationen die Gedankenlandschaften des Patienten ihre musikalische Entsprechung.
Martin Kälberer (Klavier) und Gerd Anthoff (Lesung). Foto: IW
Für Maarten Klein, den Patienten, verschwimmen gestern und morgen, Tag und Nacht. Zunehmend wird auch das Jetzt und Hier verdrängt. Oft lebt er in der Vergangenheit. Er versteckt, verheimlicht, überspielt. Möchte nicht, dass seine Frau es bemerkt. Ahnt an ihrem traurigen Blick, dass sie es längst tut.
Gerd Anthoff: mit eindrucksvoller Stimme
Beim Gewahrwerden seiner Vergesslichkeit wird er wütend, verzweifelt. Er erkennt seine Frau nicht, erschrickt vor dem alten Mann im Spiegel. Dazwischen klare Momente. Festhalten an Präzision. Erinnern, dass er seine Frau liebt. Angst vorm Alleinsein. Er beobachtet genau, nimmt wahr, was ihm wiederfährt, versucht es einzuordnen. Es sind bewegende Selbstgespräche, Reflexionen und innere Monologe, denen Gerd Anthoff eindrucksvoll Stimme verleiht.
Was passiert mit der Liebe?
In den Momenten aus Angst, Wut, Scham, Verzweiflung, den panischen Versuchen, sich zurecht zu finden, liegt enorme Tiefe. In aller Wirrnis gibt es lichte Momente, in denen ihm klar ist, was passiert. Dann rinnen Tränen über seine Wangen. Gerd Anthoff packt seine Zuhörer. Es ist eine bewegende Lesung, die Mitgefühl weckt. Was macht die Krankheit mit der tiefen Liebe und Verbundenheit eines Paares nach vierzig Ehejahren? Plötzlich geht alles so schnell, gesteht Ehefrau Vera der Pflegekraft. Ihr verleiht Anthoff liebevolle Geduld und Wärme. Es liegt große Zartheit in der Traurigkeit beider.
Martin Kälberer versteht es wie fast kein Anderer, feine seismografische Schwingungen unterschiedlicher Gefühlswelten in Töne zu verwandeln. Am Klavier greift er die Kindheitserinnerungen behutsam, leicht und beschwingt auf. Kraftvoll die Wellen am Meer, als der Patient ausreißt. Dumpf und bedrohlich die Verzweiflung, wenn er nicht versteht, was los ist.
Klangbilder und Worte
Auch von der Wut, wenn er es dann doch versteht, erzählt er fesselnd mit seinem Instrument. Und zärtlich klingt die Liebe am Ende, die noch bleibt, wenn alles Erinnern geht. Es sind Klangbilder und Worte, die unter die Haut gehen. Maarten Kleins letzte klare Gedanken an Vera: „Ob wir weiße Flocken werden, oder schwarze Sprenkel, wo ist da der Unterschied?“
Foto: Martin Kälberer und Gerd Anthoff (v.l.)
Der Roman wurde wegen seines Vorstellungsvermögens und der eindrücklichen Nachvollziehbarkeit gefeiert. Gerd Anthoff und Martin Kälberer haben dem im Zeichen des demografischen Wandels höchst aktuellen Thema auf der Bühne des Foolstheaters im KULTUR im Oberbräu große Intensität verliehen.