Gespenster

Celino Bleiweiss in Anatevka

Der Regisseur Celino Bleiweiss. Foto: KN

Auf „Tradition“ pocht Tewje, der liebenswerte Milchmann aus dem Ort Anatevka, und so will er gefragt werden, wen die Töchter heiraten, immerhin sind er und seine Frau Golde mit fünf gesegnet. Aber die Töchter haben andere Vorstellungen. Und die „Tradition“ der jüdischen Gemeinde kommt ins Wanken, ins Einstürzen gar.

Diesen Verlauf der Geschichte der Juden in der östlichen Diaspora aus der heutigen Sicht des Angekommenseins in der westlichen Welt, symbolisiert durch das Anlegen der alten Kleidung auf offener Bühne, hat Regisseur Celino Bleiweiss in einer berührenden Inszenierung umgesetzt.

In vier ausverkauften Vorstellungen im Münchner Kesselhaus wurde das Publikum hineingezogen in die Lebenslust, die Nachdenklichkeit und die Tradition der Menschen, Russen und Juden, in Anatevka, dem ukrainischen Schtetl. Es nahm teil an der Brüchigkeit dieser Koexistenz, der Tanz der Russen symbolisierte das Pogrom in emotionaler Weise. Es konnte lachen mit den Versuchen Tewjes, seine Frau Golde im Ehebett durch Beschwörung der Großmutter in ihrer Meinung zu Schwiegersohn Nr.1 umzustimmen. Und es nahm teil an den Reflexionen Tewjes, wie er bei jeder neuen schwierigen Situation einerseits und andererseits gegeneinander abwägte.

Celino Bleiweiss inszeniert mit Laien jüdischer Abstimmung

Der in Otterfing lebende Regisseur und Holocaust-Überlebende Celino Bleiweiss hatte die Aufgabe übernommen, das Musical im Auftrag der jüdischen Kultusgemeinde in München unter der Schirmherrschaft von Charlotte Knobloch und Christian Ude mit Profis und Laien, vornehmlich jüdischer Abstammung, zu inszenieren. Das generationsübergreifende Projekt, in dem auch ein Mädchen im Rollstuhl mitwirkte, war nicht nur ein mitreißendes musikalisches Ereignis, sondern vielmehr auch ein zeitgeschichtliches Zeugnis, das dem heutigen Menschen, gleich welcher Abstammung, die Tradition, aber auch den schmerzlichen Weg der osteuropäischen Juden vor Augen und ins Herz führte.

Mit dem einstürzenden Bild des Schtetls, das in Bruchstücken in die neue Welt mitgenommen wird, symbolisierte Bleiweiss meisterhaft die Bedeutung der Tradition, der Riten für die Identität des Menschen.

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