Birgit Lutz und Thomas Ulrich: Schwarzes Wasser bei der Buchvorstellung im Slyrs. Foto Hannah Miska

Schwarzes Wasser

Birgit Lutz und Thomas Ulrich bei der Buchvorstellung im Slyrs. Foto: Hannah Miska

Lesung der Bücheroase Schliersee in der Slyrs-Destillerie

Falls Ihnen bei Ihrer Bergtour am Wochenende jemand begegnet, der zwei Autoreifen an einem Seil hinter sich her schleppt, seien Sie unbesorgt: Es handelt sich nicht um einen Verrückten, sondern um jemanden, der sich auf eine Expedition an den Nordpol vorbereitet.

Es war eine Premiere. Nicht nur für den neuen Besitzer der Bücheroase, der seine erste Lesung veranstaltete, sondern auch für Birgit Lutz und Thomas Ulrich, die hier ihr erstes gemeinsames Buch präsentierten: er – der Abenteurer, sie – die Journalistin.

Wer sind die beiden? Birgit Lutz hat jahrelang erfolgreich für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, bevor sie sich auf einer Nordpol-Expedition in die Arktis verliebte. Gefangen genommen von der Schönheit der arktischen Welt unternahm Lutz von nun an zahlreiche Reisen in die Arktis und zum Nordpol, sie leitet Expeditionen, schreibt Bücher über ihre Erfahrungen und hält Vorträge.

Thomas Ulrich, professioneller Schweizer Extremsportler, begann sein abenteuerliches Leben als Skirennläufer, Kletterer, Bergführer, Hubschrauberflughelfer und Gleitschirm-Tester, und ist insbesondere durch seine Polar-Expeditionen bekannt geworden. Ein Haudegen also? Weit gefehlt.

Von Sibirien nach Kanada

Ulrich ist ein eher kleiner, schmächtiger Mann, bescheiden, witzig. Er kokettiert damit, dass er selbst nicht schreiben kann – sein Handwerkszeug ist die Kamera -, und dass er deshalb seine persönliche Schreiberin hat: Birgit Lutz. Die beiden sind – seit einem Interview, das Lutz mit ihm für die SZ gemacht hat – befreundet, gemeinsam unternahmen sie Skiwanderungen zum Nordpol. Während ihrer fast 10jährigen Freundschaft sei Ulrich immer wieder auf das eine Thema gekommen, erzählt Lutz: auf seinen Versuch im Jahr 2006, den Nordpol zu überqueren – 1.800 Kilometer von Sibirien nach Kanada, in drei Monaten, als erster Mensch, allein und ohne Unterstützung.

Die Unternehmung scheiterte. Ein Sturm kam auf, das Eis brach, vier Tage lang saß Ulrich auf einer driftenden Eisscholle und wurde schließlich in einer dramatischen Hubschrauberaktion vor der Küste Sibiriens gerettet. Eine Todeserfahrung – und eine Niederlage für den erfolgsverwöhnten Mann.

Zurück in der Schweiz, fiel Ulrich in ein Loch. Während alle froh waren, dass er überlebt hatte, überkamen ihn Zweifel an seinem ganzen Tun. Dennoch: drei Wochen nach dem „Arbeitsunfall“, wie er es inzwischen nennt, führte er wieder eine Expedition zum Nordpol, und bereits zwei Jahre später wurde er vom National Geographic Magazine zum „Adventurer of the Year“ gekürt.

Der lange Weg zurück

Verarbeitet war die gescheiterte Nordpolüberquerung jedoch nicht. Ulrich will es ein zweites Mal versuchen. Erst nach langen inneren Kämpfen und einer weiteren Nordpolexpedition merkt er, dass er nicht mehr genügend „brennt“ für die Idee. Er gibt sie auf. Gleichzeitig gibt er dem Drängen von Birgit Lutz nach, die die Geschichte aufschreiben möchte. Er selbst, betont er, hätte die Aufmerksamkeit damit nicht gesucht.

Birgit Lutz und Thomas Ulrich beim Signieren: Schwarzes Wasser. Foto Hannah Miska
Birgit Lutz und Thomas Ulrich beim Signieren. Foto: Hannah Miska

Der Tatsache, dass Lutz das Abenteuer zu Papier brachte, verdanken wir den spannenden Abend. Dennoch war das Buch fast nur Beiwerk. Der Reiz der Veranstaltung bestand in dem lockeren Gespräch zwischen Lutz und Ulrich. Ulrich ist ein charmanter Erzähler, und er ließ uns teilhaben an allen Phasen seiner Expedition. Die dreijährige Vorbereitung mit seinem Expertenteam war mühselig und – im wahrsten Sinne des Wortes – beladen (Autoreifen!).

Was dann tatsächlich auf dem sibirischen Eis passierte, las Birgit Lutz aus dem Buch. Thomas Ulrich wiederum erzählte dem Publikum von den ganz persönlichen Folgen der gescheiterten Unternehmung, die ihn nicht nur in eine finanzielle, sondern auch in eine Sinnkrise stürzte. Heute geht es Ulrich wieder gut – vielleicht ja auch deshalb, weil er mit dem Buch einen Schlusspunkt setzen konnte. Er lebt am Thunersee, macht weiterhin Exkursionen in die Arktis, hält Vorträge darüber und bietet Tandemflüge mit dem Gleitschirm an.

Whisky und Worte

In der Slyrs-Destillerie. Foto Patricia Senekowitsch.
In der Slyrs-Destillerie. Foto Patricia Senekowitsch

Man hätte sich (noch) mehr Fotos von den Nordpolexpeditionen gewünscht, die ausgesprochen sportaffine Zuhörerschaft vielleicht auch etwas „Equipment“ zum Anfassen. Dass der Abend im Slyrs stattfand – nach fünf Jahren Veranstaltungsabstinenz auch das fast eine Premiere – erhöhte die gute Stimmung unter den mehr als 70 Zuhörern. Zwar gab es nur Softdrinks und Bier, aber immerhin saß man neben unzähligen Whiskyfässern. Mit Spannung warten wir nun auf die nächsten Veranstaltungen – egal ob im Slyrs oder in der Bücheroase.

Thomas Ulrich/Birgit Lutz: Schwarzes Wasser. Vier Tage gefangen im ewigen Eis. Dumont True Tales 2017. 8 Euro.

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