Wilhelm Meister – ein deutscher Shakespeare?
Regisseur Celino Bleiweiss in der Holzkirchner Bücherecke. Foto: Monika Ziegler
Lesung in Holzkirchen
Was ist es, was an diesem für manchen vielleicht verstaubt anmutendem Roman auch heute noch berührt? Celino Bleiweiss verstand es gestern Abend, seine Zuhörer mit Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung in den Bann zu ziehen. Ist es Sprache, Inhalt, Botschaft?
Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre ist der Bildungsroman per se von Johann Wolfgang von Goethe. Wenn er diesen hätte verfilmen wollen, wäre es eine Fernsehserie geworden, meinte Bleiweiss, einer der bekanntesten Regisseure der DDR, der seit Jahren in Otterfing lebt. Er habe sich auf den Urmeister beschränkt, dessen Ausgabe erst 1911 erschien. Ergänzt habe er den Theaterroman Goethes mit Szenen aus dem Leben des Dichterfürsten, der unbedingt habe der deutsche Shakespeare werden wollen. In der Figur des Wilhelm Meister ist dieser Traum dargestellt.
Mit Marx und Engels Wilhelm Meister verdient
Celino Bleiweiss erzählte, wie er sich die Dreharbeiten für den Wilhelm Meister in der DDR habe erkämpfen müssen. „Die Bedingung war, dass ich für das Bildungsfernsehen eine Dokumentation über Marx und Engels mache.“ Das habe er getan und sich dadurch den zweiteiligen Film erarbeitet.
In einer gekürzten zweistündigen Fassung wird der Film am 30. Mai um 19 Uhr in der Volkshochschule gezeigt. Als Appetizer las der Regisseur Auszüge aus dem Werk in der Holzkirchner Bücherecke und das Publikum lauschte gespannt. Obwohl die Sprache in Wortwahl und in Satzbau ungewohnt erscheint, ist sie von einem wohlklingendem Rhythmus und ungeheuerem sprachlichem Reichtum. Da gibt es Wendungen, die man am liebsten sofort in den eigenen Sprachfundus aufnehmen möchte.
Wilhelm liebt Marianne und nicht die Zahlen
Die Geschichte beginnt recht humorvoll, den Wilhelms Vater drängt es nicht nach Hause, seine Frau vergällt ihm die Zeit vor dem Abendessen und so macht er lieber Station bei seiner Mutter. Diese baut ein Theater für den kleinen Wilhelm zu Weihnachten: „Kinder müssen ein Komödchen haben,“ meint die Oma und ahnt nicht, was sie anrichtet.
Denn Wilhelm, der eigentlich Kaufmann werden soll, liebt die Zahlen nicht, sondern vielmehr das Theater und dort insbesondere Mimin Marianne. Diese aber hat noch weitere Verehrer und Wilhelm erkrankt aus Kummer und Eifersucht schwer. Um auf andere Gedanken zu kommen, begibt er sich auf Reisen und was trifft er als erstes? Eine fahrende Schauspielergruppe.
Ausdrucksstarker Interpret Celino Bleiweiss. Foto: Monika Ziegler
So hat er nun seine Spur gefunden und widmet sich inbrünstig dem Theater und der kleinen Mignon, einem halsstarrigen Mädchen, das aber bei ihm auftaut und sogar singt, das berühmte Lied „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“.
Am Hofe eines Grafen findet Wilhelm schließlich zu Shakespeare, dessen Wirkung auf ihn so stark ist, dass seine Seele in Bewegung gerät. Das Wechselspiel zwischen Gewalt und Ruhe und seine so natürlich wirkenden Figuren faszinieren ihn.
Celino Bleiweiss liest ausdrucksstark, hat Szenen voller Witz und Humor ebenso ausgewählt wie lebendige Beschreibungen des Geschehens, so beispielsweise als die Theatergruppe in einem alten Schloss nahezu ohne Mobilar, ohne Heizung und Nahrung kampieren muss. „Mich hungert“, sagt Mignon.
Erfüllung in Liebe und Kunst
Es ist die Sprache ebenso wie die Entwicklung des Helden, der unbeirrt trotz aller Widrigkeiten seinen Weg findet, der in der Liebe und in der Kunst seine Erfüllung findet, was Wilhelm Meister auch heute noch lesenswert und sehenswert macht. Celino Bleiweiss machte am Ende seiner Lesung noch neugierig auf das weitere Geschehen, das im Film zu sehen ist. Da geht es ziemlich spannend zu, denn die Theatergruppe wird von einer Räuberbande überfallen, Wilhelm wird verletzt, aber schließlich geht er mit Mignon nach Hamburg, wo er endlich seinen Shakespeare inszenieren kann, „Hamlet“. Aber dann passiert etwas Schreckliches.
Hier gelangen Sie zu unserem Artikel über die Lesung und den Film von Celino Bleiweiss zu Josef Eichedorffs Roman „Aus dem Leben eines Taugenichts“