Waldviertler Hoftheater: Faust ganz anders
Gretchen (Carina Werthmüller) als Barbie-Prostituierte Foto: Hartl-Gobl
Kulturtipp: Theater in Niederösterreich
Seit zwei Jahren leitet Moritz Hierländer das Waldviertler Hoftheater in Pürbach. Er geht jetzt eigene, neue Wege, zum Beispiel mit der radikalen Neuinszenierung des Faust von Regisseur Ludwig Wüst. KulturVision e.V. war vor Ort und hin- und hergerissen.
Nach dem Tod seines Vaters Harald Gugenberger, Gründer des Waldviertler Hoftheaters, übernahm Sohn Moritz Hierländer das weit über Wien hinaus bekannte Theater im Niederösterreichischen Waldviertel. Keine leichte Aufgabe, aber eine tolle Herausforderung. In der zweiten Saison geht er mit der Programmschiene „Wald4tler OFFtheater“ neue Wege. Anders, jünger, radikaler.
Moritz Hierländer vor dem Wald4tler Hoftheater Foto: Johannes Bode
So einen Faust hat man noch nicht gesehen: Regisseur Ludwig Wüst schickt seinen modernen Pürbacher Faust in legeren schwarzen Hosen, T-Shirt und gepflegtem Vollbart auf die Bühne. Peter Pertusini als typischer Vertreter der Generation Y, alles hinterfragend, wissensdurstig, von der Sucht nach Liebe getrieben. Pertusini spielt seine Rolle überzeugend.
Am Anfang: Türknallen auf der Hinterbühne. Stimmen aus dem Off. Fragmente aus Fausts Prolog, Dialoge von Faust mit Wagner – übers Theatermachen. Faust springt auf die Bühne – mit Hasenkopf. Wagner hausmeistert mit dem Akkuschrauber an der Bühnenkonstruktion, rezitiert Hamlet. Mephistopheles tritt auf: Eine Frau, diabolisch wie eine Schlange, sexy. Nichts ist, wie es sein soll. Und es ist mucksmäuschenstill im Publikum. Wo führt das hin?
Reise durch die Seelenlandschaft
Es führt in eine schrille, laute Inszenierung. Verstörend und faszinierend zugleich. Eine Inszenierung, die zärtlich und leise dort ist, wo Faust um Gretchen wirbt. Aufrichtig verliebt. Auch dann, als er Gretchen retten will vorm Untergang. Regisseur Ludwig Wüst hat die Zerrissenheit Fausts kontrastreich dargestellt. Als Reise durch die Seelenlandschaft eines Menschen, der sich zwischen Gut und Böse entscheiden muss, zwischen Richtig und Falsch. Und vor allem: Der sich entscheidet. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“ Darüber geht er weit hinaus.
Kontrastreiche Inszenierung am Waldviertler Hoftheater
Die Gegenpole in Fausts Brust wiederspiegeln sich auf der Bühne in harten Brüchen. Laut – leise, schrill – lieblich, zärtlich – gewalttätig. Die Annäherung Fausts an die aufrichtige Margarethe als amerikanischer Kitsch-Klassiker mit rosa Kleinmädchenzimmer samt Blumenkavalier. Elvis tritt auf: „Love me tender“. Gretchens Niedergang als Prostituierte, der Bruder Valentin als Zuhälter. Mephistopheles in Gold, Lack und Leder, sexy und zynisch.
Peter Pertusini (Faust) und Carina Werthmüller(Gretchen) Foto: Hartl-Gobl
Das Bühnenbild ist nüchtern und klar. Es lenkt den Blick der Zuschauer auf die Leistung der Schauspieler. Deren Schauspiel ist radikal, weil es so unmittelbar ist, fast nackt. Nicht weil man Haut sieht, sondern weil die Darsteller ihr Innerstes nach Außen kehren, fast so schonungslos wie bei einer Butoh-Performance.
Carina Werthmüller ist ein anmutiges Gretchen, lieblich und hold, zerbrechlich. Das Kleinmädchenhafte wird zur Mechanik einer Schaufensterpuppe, zur Höllenqual. Es geht an die Schmerzgrenze, ihr zuzusehen. Große Authentizität auch bei Michaela Conrad als Mephistopheles. Markus Schramm spielt gleich in mehrfacher Rolle – als Wagner, Elvis, Bruder Valentin, er beweist großes komödiantisches Talent.
Faszinierend und verstörend: Schlussszene des „Faust“ Foto: Hartl-Gobl
Faust macht sich in dieser Inszenierung Wüsts erstmalig frei von Mephistopheles. Er übernimmt Verantwortung für sein Tun und bleibt bei Margarete. Auch das ist radikal. Das Ende der Inszenierung kommt überraschend. Krass, denkt man, während der Vorhang fällt, und alles noch einmal nachwirkt . Das ist ein Faust, der Fragen aufwirft und kontroverse Diskussionen ankurbelt. Über den wird man noch länger sprechen. Moritz Hierländer geht die Sache richtig an. Sein radikaler Faust verschreckt nicht etwa, sondern zieht die Menschen scharenweise nach Pürbach.