Europa

Europa steht am Scheideweg

Der Philosoph Christoph Quarch war zu Gast in München. Foto: christophquarch.de 

Vortrag am Mediationszentrum München

„Die Flüchtlinge brachten den Gemeinsinn nach Europa zurück.“ Diese Krise sei eine Chance, sich auf gemeinsame Werte zu besinnen und das Bewusstsein für das Du zu wecken. Starke und praxisbezogene Worte des Philosophen Christoph Quarch.

Zu einem Vortrag über Gemeinsinn hatte die MediationsZentrale München e.V. den Fuldaer Philosophen und Theologen, mit dem Kulturvision seit Jahren enge Kooperation pflegt, in die Katholische Stiftungsakademie eingeladen. Dieser behandelte das Thema sowohl theoretisch als auch praktisch. Seine erste These lautete: Um den Gemeinsinn ist es in der westlichen Welt nicht sonderlich gut bestellt, aber Gemeinsinn würde uns allen gut tun.

Der Mensch sei von seiner Natur aus sowohl ein individuelles als auch ein soziales Wesen. Während ersteres zum Eigensinn führe, habe letzteres den Gemeinsinn zur Folge und beides sei berechtigt, führte Quarch aus. Im antiken Griechenland habe der Mensch sich noch als Bestandteil der „polis“ gefühlt und Aristoteles beschrieb den „zoon politikon“ als einen Menschen, der seinem Wesen gemäß sich dem Gemeinwesen verpflichtet fühlte. Dem Eigensinn zu folgen galt indes als anmaßend.

Mit drei Strukturen die Welt erklärt

Dem heutigen sogenannten „homo oeconomicus“ aber sei der Eigensinn wichtiger. Zurückzuführen sei dies auf die Denker wie Thomas Hobbes, der das Zitat prägte „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ oder Adam Smith, der den Eigensinn als Produktivkraft pries. Diese Tendenz gipfelt im heutigen Sozialdarwinismus.

Quarch begründete die Notwendigkeit des Gemeinsinns anhand der drei Strukturen, die die Welt erklären. Im physikalischen Sinne bestimme ein Gravitationszentrum wie die Sonne die Welt. Ein solches müsse eine gemeinsame Werteorientierung und ein gemeinsames Ziel in Europa sein. In der biologischen Betrachtung funktioniere ein Organismus nur durch Kooperation und dort herrsche ein ausbalanciertes Gleichgewicht. Dieses Bewusstsein für eine Stimmigkeit und Balance eines Gemeinwesens müsse entwickelt werden. In der geistigen Sphäre gehe es um tragfähige und belastbare Beziehungen zwischen Menschen. Und diese entstehen nur dort, wo der Andere, um mit Martin Buber zu sprechen, als Du, also als Person und nicht als Es, also als Objekt wahrgenommen werde.

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Europa braucht ein Wertebewusstsein

Bezogen auf die Flüchtlingskrise formulierte der Philosoph auf dieser Basis drei Imperative:
Flüchtlinge sind Personen und müssen als solche gewürdigt werden. Das Gleichgewicht unserer Strukturen darf dabei nicht aufs Spiel gesetzt werden. Und letztlich müssen wir die Frage beantworten: Welche Werte hält unser Gemeinwesen zusammen? Wie wollen wir sie anwenden?

„Europa ist mehr als ein Markt und eine Rechtsform“, konstatierte Quarch, Europa brauche ein gemeinsames Wertebewusstsein. Dann könne im regionalen Rahmen das Bewusstsein für das Du der Anderen und ihrer Besonderheiten geweckt werden.

In der Diskussion wude betont, dass es schon eine Willkommenskultur in Bayern gebe. Das sei richtig und wichtig, er aber spreche die politische Diskussion an, in der ihm der Gemeinsinn fehle, erwiderte Christoph Quarch. Wir würden jetzt die schmerzliche Folge der Versäumnisse spüren, die in der Politik gemacht wurden.. „Europa steht am Scheideweg“, sagte er und deshalb müsse man jetzt über die gemeinsame Werteorientierung nachdenken.

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