Zensur in der Kunstszene

Die zwei Seiten der Medaille

Zensur in der Kunstszene geschieht oft nicht kategorisch. Foto: pixabay

Reportage aus Shanghai

Heute befasst sich unsere Kollegin und Künstlerin Kerstin Brandes aus Miesbach, die seit zwei Jahren in Shanghai lebt, mit dem Thema Zensur in der Kunstszene. Sie erzählt von ihren Erfahrungen, die durchaus widersprüchlich sind.

Wann immer man hier in Shanghai eine Kunstausstellung besucht wähnt man das Damoklesschwert der Zensur über ihr. Mir kommt dann sofort das Jahr 1989 in den Sinn, in dem es zu radikalen Einschnitten in der Kunstszene kam oder ich denke unweigerlich an den derzeit im Westen prominentesten chinesischen Künstler, Ai WeiWei, und seinen Gefängnisaufenthalt mit anschließendem Hausarrest.

Shanghai

In den letzten zwei Jahren habe ich bezüglich der künstlerischen Freiheit in diesem Land sehr unterschiedliche Eindrücke gewonnen und es fällt mir durchaus schwer, zu beurteilen, wie stark die Zensur staatlicherseits wirklich ist. Mein erstes Aha-Erlebnis hatte ich bei der Hugo Boss Asia Art im Herbst 2013 im Rockbund Art Museum. Es handelte sich dabei um eine jurierte Ausstellung, die sogar einen Gewinner kürte: Kwan Sheung Chi, ein Hong Kong Chinese, der in seinen Werken die Ereignisse vom 4. Juni 1989 und die derzeitige Lage in Hong Kong, beides Tabuthemen in China, anprangert.

Auch bei der diesjährigen Shanghai Biennale waren mitunter, bei näherer Betrachtung, sehr provokante Werke zu sehen. So zum Beispiel Li YunFei mit seinen traditionell und zunächst wenig spektakulär anmutenden Tuschezeichnungen, die sich jedoch unter anderem mit einer brisanten Thematik beschäftigen: den sogenannten Nagelhäusern – alte Häuser die zwischen neu gebauten Hochhäusern trotzig stehengeblieben sind und nicht abgerissen werden können, da sich ihre Besitzer weigern auszuziehen.

Peking

Bei einer Reise nach Peking habe ich neben dem populären Künstlerviertel 798 auch das von Ai WeiWei entworfene Viertel Coachangdi besucht, das hauptsächlich hochkarätige Galerien beherbergt. Vor allem im Gespräch mit der seit Jahrzehnten in Asien – und dabei vorwiegend in Peking – ansässigen Galeristin Meg Maggio in ihrer Galerie pékin fine arts habe ich doch erstaunliche An- und Einsichten gehört. Sie sieht die Szene in China entspannt und weitgehend frei von politischen Beschränkungen.

Dies würde sich so auch in den Werken von Chen Shaoxiong widerspiegeln, den sie zu der Zeit in ihren Räumlichkeiten ausgestellt hatte: Eine ganze Wand voller exzellenter Tuschezeichnungen mit Szenen von unterschiedlichsten Demonstrationen weltweit, auch in China, die zudem noch in einer Animation zu einem Video zusammengefügt und gezeigt wurden. Chen Shaoxiong war mit diesem Werk auch bei der Ausstellung China 8 in Deutschland vertreten.

China 8

Diesen Sommer zeigten 120 chinesische Künstler in neun Museen in acht Städten an Rhein und Ruhr ihre zeitgenössische Kunst unter dem Titel China 8. Einige Stimmen wurden laut, welche die fehlende Regimekritik bemängelten. Dem setzte u.a. Georg Elben, Direktor des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl, seine Beobachtung entgegen, dass chinesische Künstler sehr wohl Kritik üben, dies jedoch hintergründig und diffizil tun. Er nennt hierfür in einem Interview mit dem WDR 5, anlässlich der Eröffnung der China 8, den sehr etablierten Künstler Zhang Peili als Beispiel.

Zhang Peili, der in Hangzhou an der renommierten Kunstakademie lehrt und als chinesisches Pendant zum koreanischen Videokünstler Nam June Paik gesehen werden kann, stellt in einem Video Szenen aus Propaganda- und Unterhaltungsfilmen der 60er und 70er Jahre gegenüber. Die zu Beginn des Videos zeitlich gleichen Teile von geschrieenen Parolen und frenetisch klatschendem Publikum verschieben sich zugunsten des Klatschens und führen so die Politik vor.

Elben betont, dass alle Werke, die von den deutschen Kuratoren in China vor Ort ausgewählt worden sind, auch tatsächlich in Deutschland zu sehen waren.
Ebenso ist Gérard Goodrow, ein Experte für chinesische Kunst und ehemaliger Leiter der ArtCologne, überzeugt, dass der chinesische Staat gar nicht so mächtig und streng ist gegenüber den Künstlern. Unter anderem, da das Regime davon ausgeht, dass das ’normale‘ Volk sich diese Art von Kunst nicht anschaut bzw. die dargestellte Kritik nicht erkennt. Von jeher ist Kunst sogar in China mehrdeutig und die zeitgenössischen Künstler spielen auch mit diesem Instrument. Gefragt von Regierungsseite, können sie dann immer noch eine ‚harmlose‘ Interpretation ihrer Werke behaupten.

Kritik gegen Urbanisierung und Kommerzialisierung

Abgesehen davon richtet sich die Kritik, laut Goodrow, weniger gegen das Regime an sich, sondern mehr gegen die Urbanisierung, die Kommerzialisierung und die schwierige Mischung von Kommerz und Kapitalismus. Kunstschaffende beschäftigen sich außerdem häufig mit der Frage, wie das Individuum im Kollektiv lebt. Generell sprechen sich viele Künstler für Tradition aus und diese findet man tatsächlich sehr oft in ihren aktuellen Arbeiten, sei es im Material und der Technik oder in der Thematik.

Was allerdings, wenn nicht gerade als direkte Zensur, so jedoch immerhin als negative Einstellung (oder vielleicht auch Unbeholfenheit?) der Regierung gegenüber Gegenwartskunst gewertet werden kann ist die Tatsache, dass es keine öffentliche Institution in Shanghai gibt, die zeitgenössische Werke permanent ausstellt. Öffentliche Museen, wie die riesige Power Station of Art mit ihren imposanten Ausstellungen, zeigen nur temporär aktuelle chinesische Kunst. Lediglich private Sammlungen und Museen, wie zum Beispiel das Yuz Museum und das Long Museum, haben permanente Ausstellungen mit zeitgenössischen Werken chinesischer Künstler.
Ein spannendes, weites Feld, von dem es noch viel zu berichten gäbe…

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf