Mozart mit Marionetten
Theater in Bad Tölz
Am Anfang ein Schattenspiel mit Figuren in Menschengröße: Ein alter Mann spielt Schach (das Spiel des Lebens), verliert gegen sein weibliches Gegenüber und erinnert sich an die schlimmste Niederlage seines eigenen Lebens, den Verlust der großen Liebe in jungen Jahren. Vorhang auf, Rückblende – und wir sind mittendrin in der Marionetten-adaptierten Mozart-Oper „Die Entführung aus dem Serail“, denn der Schachspieler ist kein anderer als der einstige Haremswächter Bassa Selim, der am Ende des Stückes sein angebetetes „Blondchen“ unerhört ziehen lassen muss.
Abschied vom Orient-Schnickschnack
Das Original dieser Oper gehört auf so ziemlich allen Bühnen dieser Welt wie auch in vielen Marionettentheater zum Standardrepertoire. Kein leichtes Unterfangen, der Fülle von Inszenierungen nun noch eine Neufassung hinzuzufügen, die wirklich etwas Neues bringt. Und genau das ist den Tölzern in ganz erstaunlicher Weise gelungen. Fünf Jahre hat die Entwicklung der entstaubten „Entführung“ gedauert, und am Anfang stand der Abschied von allem, was herkömmlichen Inszenierungen Pomp und Glanz verleiht: Es gibt keinen Palast und keinen Orient-Schnickschnack, keine Palmwedel und kein Schiff am Ende. Es gibt nur sechs Figuren, die in hochkonzentrierter Atmosphäre interagieren, sich belauern und täuschen, zusammenfinden und aus dem Feld schlagen. Eine Scharade, die dem Schachspiel nicht unähnlich ist, und so erscheint es nur konsequent, wenn das Bühnenbild aus einem überdimensionierten Schachspiel besteht, in dem freilich die Bauern auch einmal zur beweglichen Palastmauer mutieren und das Pferd mit Augenzwinkern und lachendem Mund die Annäherungsversuche des tapsigen Bassa Selim verfolgt.
Zusammenschnitt aus fünf Einspielungen
Die beiden Theaterleiter Albert Maly-Motta und Karl-Heinz Bille haben viele Register gezogen, um aus dem gemächlichen Singspiel ein ebenso modernes wie unterhaltsames Kabinettsstück zu machen. Der Zusammenschnitt aus nicht weniger als fünf „Serail“-Einspielungen verhilft zu echtem Konzertklang gut verständlichen Texten, die zauberhaften, eigens für diese Inszenierung geschaffenen Puppen des Schweizer Spezialisten Pierre Monnerat und eine ausgefeilte Bühnenausstattung mit Videoproduktion und LED-Licht sorgen ebenso für ein intensives Theatererlebnis wie die ausgezeichnete Puppenführung des jungen Ensembles, das in der intensiven Probenarbeit viel dazugelernt hat. Unbedingt hingehen!
Text/Foto: Marc Tügel