Neue Holzkirchner Gschichtn: Mit Herzblut erzählt
Agnes Kraus alias Kathl, die Geschichtenerzählerin. Foto: Karin Sommer
Ungewöhnliche Stadtführung in Holzkirchen
Eine gelungene Mischung aus kulinarischen Schmankerln und lebendigen Geschichten erwartet die Teilnehmer der “Holzkirchner Gschichtn” bei einer Stadtführung der anderen Art.
Nach dem großen Erfolg des Vorjahres zieht die Schauspielerin Agnes Kraus auch heuer wieder mit ihrem Leiterwagerl und einer bunten Gruppe von Neugierigen, durch die Gassen von Holzkirchen. Wobei man Frau Kraus schnell vergisst, weil sie sich mit Haut und Haar in Kathl verwandelt, die vor 40 Jahren der Liebe wegen – „nicht freiwillig“ – in die Gegend gezogen ist.
Treffpunkt der heutigen Runde ist der Bahnhof. Wettervorhersage: 30% Regen. Gleich nach einer kurzen Einführung von Kathl gibt es Brotzeit beim Familienbetrieb der Metzgerei Albert Kraft, zum Kraft tanken. Danach schreitet Kathl forsch weiter, erzählt beim Haus hinter dem Bahnhof von der Volksschauspielerin Elise Aulinger, die hier oft am Bankerl verweilte und sich von den vorübergehenden Personen inspirieren ließ.
Zeitreise mit Jausenpausen
Es beginnt langsam zu regnen. Die Klugen unter uns teilen die Schirme mit den Optimisten. Während wir gebannt zuhören, wie die Menschen sich damals gegen die Neuerfindung Eisenbahn wehrten, weil sie dachten, sie würde Arbeitsplätze und den Menschen ihre Gesundheit kosten, schüttet es bereits. Egal, die Eisenbahnstrecke wurde trotz allem Widerstand 1857 eröffnet und wir kämpfen uns bis zur Parfümerie Wiedemann durch, wo wir bei Ingwerwasser langsam wieder trocknen.
Parfümerie Wiedemann, ehemalige Seifensiederei. Foto: Gemeindearchiv Holzkirchen
Kathl führt uns mühelos von den großzügigen Ladenbesitzern der jetzigen Zeit zu den legendären Holzkirchnern, die Geschichte geschrieben haben und wieder zurück. Wir laben uns am handfiletierten Matjesimbiss, gespendet von Fisch-Koppenhofer, staunen daruber, dass es einen Schlenkermarkt gab, dessen Namen von Handtaschen schlenkernden Damen kam und flanieren weiter zum Geschäft von Hanne Hartl. Mit ihrem schelmischen Lachen weckt sie Zweifeln in uns, ob sie nicht doch auch eines der „Originale“ dieses Ortes ist.
Hanne Hartl in ihrem schmucken Laden. Foto: Karin Sommer
Gab es wirklich den Mantelsonntag, an dem sich das Gesinde den Wintermantel für den Winter kaufte? Begann das Fruchthaus Bichlmeier tatsächlich damit, dass Oma Bichlmeier im Krieg mit ihrem Leiterwagen Obst ausführte?
„Die Geschichten, die ich erzähle, sind alle wahr. Das ist mir wichtig“, meint Kathl, die viele Stunden mit den Bewohnern von Holzkirchen verbracht hat, um die Geschichten dieses Ortes kennenzulernen.
Wir tauchen ein in die Geschichte des ehemaligen Gefängnisses mit zwei Zellen, zwei Pritschen und einem Kübel und gelangen, inzwischen wieder bei strahlendem Sonnenschein, zur Gemeindebücherei.
Hier erwartet uns Kaffee und Kekse. Unsere gutgelaunte Runde sitzt um den Tisch und freut sich, dass auch die Bücherei so einige Geschichten zu erzählen hat. Wie zum Beispiel die des kleinen Mädchens, das die Toilettentür nicht aufsperren konnte und durch das Fenster Bücher gereicht bekam, bis die Feuerwehr eintraf.
Fast schade, dass wir am Ende unserer kulinarischen Zeitreise angekommen sind. Kathl sitzt zufrieden am Tisch und meint, dass nach Jahren, in denen sie Geschichten gesucht habe, die Geschichten nun zu ihr kämen. Das glauben wir ihr sofort, denn sie behandelt sie gut, schlachtet sie nicht aus, sondern erzählt sie mit Lust und mit Liebe und Respekt für die Menschen, von denen sie erzählen. Ihre Geschichten, sowie die Menschen, die sie hören dürfen, sind bei ihr bestens aufgehoben.