Peter Lindbergh – ein Leben für die Fotografie

Peter Lindbergh: selbstbewusste, ausdrucksstarke Frauenfiguren (Kate Moss). Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München

Ausstellung in München

Peter Lindbergh „From Fashion To Reality“ – die spektakuläre fotografische Werkschau des Wegbereiters der modernen Modefotografie in der Kunsthalle in München wurde bis Ende August verlängert. Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte es unbedingt jetzt noch tun. Warum?

„Wenn man die Mode und das Künstliche weglässt, wird die wahre Person sichtbar.“ – dieser Philosophie folgend, fotografierte Peter Lindbergh 1988 sechs Models am Strand von Malibu – in schlichten weißen Herrenhemden, nahezu ungeschminkt.

Die Fotografie, die heute zu den 100 wichtigsten Fotos der Gegenwart zählt, wurde damals von den Auftraggebern, der Vogue New York, abgelehnt: „Was sollen wir den damit?“ – und verschwand in der Schublade.

Peter Lindbergh zur Eröffnung der Ausstellung in der Kunsthalle München – vor dem Foto „White Shirts“, 1988. Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München
Peter Lindbergh zur Eröffnung der Ausstellung in der Kunsthalle München – vor dem Foto „White Shirts“, 1988. Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München

Ganz unbemerkt ist diese Fotografie dennoch nicht geblieben, und noch weniger unbemerkt, dass Peter Lindbergh etwas ganz Neues, Anarchistisches in Gang setzte: Die Kehrtwende in der Modefotografie und damit den Beginn der „Ära der Supermodels“. Starke Frauenpersönlichkeiten, die im Fokus stehen mit ihren Fehlern und Makeln, ungeschönt und ungeschminkt.

Ausstrahlung im Vordergrund

Bis dahin waren es ausgefeilte Studioaufnahmen perfekt gestylter Models gewesen, welche die Hochglanzmagazine zierten. Bei Peter Lindbergh trat die Mode selbst in den Hintergrund und die Personen mit ihrer Ausstrahlung in den Vordergrund.

Models wie Naomi Campbell, Linda Evangelista, Kate Moss, Christy Turlington und Tatjana Patitz waren jung und unbekannt, als Lindbergh sie in den späten 1970ern und den 1980ern fotografierte. Foto: Kunsthalle München
Models wie Naomi Campbell, Linda Evangelista, Kate Moss, Christy Turlington und Tatjana Patitz waren jung und unbekannt, als Lindbergh sie in den späten 1970ern und den 1980ern fotografierte. Foto: Kunsthalle München

„Peter Lindbergh knackt die Menschen mit seiner Ursprünglichkeit an einer Stelle, von der sie gar nicht wussten , dass sie diese Stelle haben“, sagt Fotograf Jim Rakete im Film „Peter Lindbergh – The Eye“ von Regisseur Gero von Boehm. Das gelungene filmische Porträt läuft in der Ausstellung.

„Bei großen Shootings war immer so eine Art Zirkusfamilienstimmung“, fasst Rakete zusammen. Das soll erklären, warum Peter Lindbergh wie kein anderer vermag, so nah an die prominenten Menschen heranzukommen, die ihre Verletzlichkeit, ihre Privatsphäre, ihr Inneres sonst vehement vor der Preisgabe schützen.

Abfuhr an die künstliche Modefotografie

Abseits des Hochglanzrummels, zumeist in starken Schwarz-Weiß-Bildern, schaut Peter Lindbergh ihnen geradewegs in die Seele. Und sie lassen es zu, weil er ihre Seele wahrnimmt, ohne bloßzustellen oder zu verletzen. Anstatt hübsch ausstaffierter menschlicher „Kleiderständer“ zeigt er selbstbewusste, ausdrucksstarke Frauenfiguren, von der Femme fatale bis zur Heldin – Models, Tänzerinnen und Schauspielerinnen.

Bedingt durch die Veröffentlichung in flüchtigen Printmedien, wie monatlich erscheinenden Mode-Zeitschriften, ist ein Teil von Lindberghs Werk trotz seiner historischen Bedeutung heute in Vergessenheit geraten. Die meisten Arbeiten wurden niemals der Öffentlichkeit gezeigt.


Blick in die Ausstellung. Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München

Lindbergh gestattete Thierry-Maxime Loriot, der 2016 bereits die spektakuläre Gaultier-Ausstellung erfolgreich kuratierte, uneingeschränkten Zutritt zu seinem Archiv in Paris. Mit Objekten aus diesem riesigen Fundus ergänzte der Kurator das offizielle Werk Lindberghs um aufschlussreiches Making-of- und Behind-the-Scenes-Material.

Requisitenvielfalt eines ganzen Fotografenlebens

Wer die Ausstellung besucht, sollte sich Zeit mitnehmen, die Räume in Ruhe zu durchschreiten. Die eindrücklichen Fotografien an den Wänden korrespondieren mit unzähligen Papierabzügen, persönlichen Notizen, Storyboards, Requisiten, Polaroids, Kontakt-Abzügen und Filmen.

Wieder ist ein spektakulärer Ausstellungsaufbau gelungen, in dem die Besucher staunend von Raum zu Raum gehen. Insbesondere die Filmeaufnahmen verschiedener Sets und der Film über Lindbergh selbst geben Aufschluss über den Mensch und Fotograf hinter der Kamera. „Ich fühl mich nicht amerikanisch, ich fühle mich nicht französisch, ich komme aus Duisburg, und daran wird sich nichts ändern“, sagt der 73 Jährige, der in Arles, Paris und New York wohnt und noch lange nicht an Aufhören denkt.

Swarovski Kristalle und Film: „The unknown 2000“. Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München
Swarovski Kristalle und Film: „The unknown 2000“. Foto: BrauerPhotos/S.Brauer für die Kunsthalle München

Auch was er über die Modebranche selbst sagt ist erstaunlich: „Ich finde es schade, dass die Mode so viel Geld generiert, weil überall so viele Boutiquen entstehen, die alles andere verdrängen. Die Mode sollte sich etwas beruhigen.“ Für ihn hat nie die Mode im Vordergrund gestanden, sondern immer der unverstellte, authentische Mensch. Deshalb hat er auch umstrittene sozialkritische Kampagnen fotografiert. Bis hin zur Serie „Testament“, bei der er zum Tode verurteilte Häftlinge in amerikanischen Gefängnissen filmte.

Einblick in die Fotografiegeschichte

Die Ausstellung teilt sich in verschiedene thematische und ausstellungstechnisch raffiniert umgesetzte Bereiche. Sie gewährt in ihrer Umfänglichkeit einen neuen Einblick in die Geschichte der Fotografie der letzten Jahrzehnte. Man taumelt staunend wie Alice im Wunderland hindurch und wird bei diesen Hochsommertemperaturen zugleich noch perfekt heruntergekühlt – wenn das kein Tipp für die Ferien ist?

Die Ausstellung „Peter Lindbergh – From Fashion To Reality“ ist mit umfangreichem Rahmenprogramm noch bis zum 31. August in der Kunsthalle der Hypovereinsbank in München zu sehen. Nähere Informationen auf der Webseite der Kunsthalle.

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