Sieben Stunden Musik und Mystik
Heini Staudinger liest Texte spiritueller Meister. Foto: Ines Wager
Orgelnacht in Niederösterreich
Mit „Weltklassemusik in völlig ungespreizter Atmosphäre“ kündigte Heini Staudinger die „Lange Nacht der Meister 2017“ in der kleinen Pfarrkirche in Langegg/NÖ an. Emanuel Schmelzer-Ziringer spielte auf der Orgel von Walter Vonbank, Kunikiro Mimura auf der Gamba. Doch die Nacht bot noch viel mehr.
Im Jahr 2004 bekam die kleine Pfarrkirche in Langegg bei Schrems im Waldvierte/NÖ eine neue Orgel. Eine Orgel, die „von Jetzt kommt“, eine moderne Orgel, hergestellt auf traditionelle Weise, wie der Erbauer Walter Vonbank erklärt. Zwanzig Jahre hat die Ortsgemeinschaft darauf hin gespart.
Heini Staudinger, den das Handwerk an sich interessiert, die menschlichen „Werke“, hat Orgelbauer Walter Vonbank damals aus Interesse besucht. Er sagt: „Wir werden ärmer, wenn das eines Tages niemand mehr kann.“ Erst dort hat er erfahren, dass die Orgel für Langegg bestimmt ist.
Pfarrkirche Langegg. Foto: Ines Wagner
Für den leidenschaftlichen Waldviertler Unternehmer war das ein wichtiges Zeichen und Beginn einer langjährigen Tradition. Seit 13 Jahren organisiert er inzwischen alljährlich in der Nacht vor Maria Himmelfahrt die lange Orgelnacht. Dazu lädt er einen der besten Organisten Österreichs mit Werken der Alten Meister ein und liest selbst spirituelle Textpassagen, die zum Nachdenken anregen.
Heini Staudinger möchte den Menschen in dieser von Zerstreuung und Konsum dominierten Zeit etwas mitgeben: In das Geheimnis der eigenen Seele einzutauchen, durch die Fähigkeit zur Stille. Und der Weg dahin führt über die Musik. Beispielsweise in einer besonderen Nacht wie dieser.
Emanuel Schmelzer-Ziringer am Cembalo, Kunikiro Mimura an der Viola da gamba. Foto: Ines Wagner
Die voll besetzte Pfarrkirche ist vom warmen Licht unzähliger Kerzen erhellt. Organist Emanuel Schmelzer-Ziringer und der in Österreich lebende Japaner Kunihiro Mimura spielen an Orgel, Cembalo und Viola da gamba Werke von Johann Sebastian Bach. Und zwar die ganze Nacht hindurch bis vier Uhr morgens. Obwohl sich um diese Uhrzeit, in dieser Stille der kerzenlichtwarmen Kirche irgendwann Müdigkeit einstellen sollte, sind die Menschen in den Bankreihen hellwach hinter ihren geschlossenen Augenlidern.
Kunihiro Mimura an der Viola da gamba. Foto: Ines Wagner
Sie lauschen andächtig und konzentriert der hervorragenden Musik, die den Raum durchdringt. Der Klang der Vonbank-Orgel, die sowohl für alte als auch neue Musik geschaffen ist, erfüllt die Stille. Ein zwanzigminütiges Solo Kunihiro Mimuras auf der Gamba trägt die Menschen fernab von Zerstreuung in ihr andachtsvolles Inneres. Heini Staudinger liest zwischen den Musikstücken spirituelle Texte der drei großen Weltreligionen. „Alle Weisen kommen auf das Selbe“ sagt er, und zitiert beispielsweise die Schlüsselbotschaft Meister Eckharts:
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gegenüber steht und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“
Meister Eckhart, Buddha, Rumi
Von Buddha rezitiert er zweierlei Erwägungen über das Entsagen und Überlegen. Sie führen zum Schluss, dass zu viel Erwägen und Überlegen das Herz ermüden, und ein ermüdetes Herz nicht fähig ist zur Selbstvertiefung. Ebenso allgemeingültig sind die „Fragen und Antworten“ Buddhas:
Welches ist dass schärfste Wort? Welches ist das tödlichste Gift?
Welches ist das heftigste Feuer? Welches ist die dunkelste Nacht?
Zorniges Wort ist das schärfste Wort. Habsucht ist das tödlichste Gift.
Begierde ist das heftigste Feuer. Nichtwissen ist die dunkelste Nacht.
Und vom großen islamischen Mystiker Dschalal ad-Din Muhammad ar-Rumi zitiert Staudinger die Worte:
Achte gut auf diesen Tag, denn er ist das Leben.
Die Orgel von Walter Vonbank in der Pfarrkirche zu Langegg/NÖ. Foto: Ines Wagner
Heini Staudingers weise Worte der Weltreligionen dringen genauso in das Innere der Zuhörer wie die erhabene, höchst virtuose Musik auf Orgel, Cembalo und Viola da gamba. Verse von Rilke ergänzt er mit einem Gedicht Konstantin Weckers, das Verse des deutschen Lyrikers und Mystikers Angelus Silesius aufgreift. Es ist eine Lange Nacht der Musik, der Mystik, der Sinne, des Zu-sich-kommens.
Idee der „Menschheitsfamilie“ gestärkt
Draußen vor der Kirche brennt wärmend ein Lagerfeuer, an dem sich die nachtwachen Menschen unterm Sternenhimmel einfinden. Vierzig Minuten Musik lösen sich mit zwanzigminütigen Pausen ab. Den Abschluss bildet traditionsgemäß ein gemeinsames Frühstück in der berühmten Waldviertler Schuhwerkstatt Staudingers in Schrems. Eines ist ihm damit wieder gelungen: Die Musik, die Texte, die durchwachte, gemeinsame Nacht hat Verbundenheit geschaffen und die Idee der „Menschheitsfamilie“ gestärkt.