„Wir wissen viel und verstehen wenig“
Professor Wilhelm Vossenkuhl und Professor Benedikt Grothe. Foto: Monika Ziegler
Vortrag in Weissach
Erkenntnisse aus der Neurobiologie vermittelte spannend und verständlich am Freitag Abend Professor Benedikt Grothe von der LMU in zweiten Vortrag des Korbinians Kollegs in Weissach. Dabei räumte er vehement mit populären feuilletonistischen Darstellungen aus der Hirnforschung auf.
Das Anliegen der neuen Reihe von Hotelier Korbinian Kohler im Hotel Bachmair Weissach ist es, Kunst und Wissenschaft zu vermitteln, „den Geist der Stadt auf das Land zu bringen“, wie Schirmherr Professor Wilhelm Vossenkuhl ausdrückt. Der Philosoph ist davon überzeugt, dass das Land Denken, Konzentration und Kreativität fördern. Dabei sei Interdisziplinarität wichtig, Neurobiologie und Philosophie würden sich gegenseitig befruchten.
Schirmherr Professor Wilhelm Vossenkuhl. Foto: Monika Ziegler
Dem stimmt der renommierte Neurobiologe Grothe zu, wenn er sagt, dass die Auseinandersetzung mit Philosophie die Grenzen der Erkenntnis deutlich mache und zu Bescheidenheit führe. Gekoppelt mit Begeisterung für die Wissenschaft, die das Weltbild verändert, wolle er in seinen Übersichtsvorträgen der Bringeschuld des Wissenschaftler nachkommen. Schließlich zahle der Steuerzahler die Forschung in diesem Lande.
Benedikt Grothe zeigte anschaulich in seinem Vortrag „Denken und Gehirn“, wie weit die Erkenntnisse in der Neurobiologie auf mechanistischer Ebene gediehen sind. Man verstehe heute, wie Moleküle in den Nervenzellen agieren, man verstehe synaptische Verbindungen und wie Signale in den neronalen Netzwerken verarbeitet werden.
Als Beispiel nannte er die Optogenetik. Hier könne eine Zelle eigenständig einen Kanal bauen, bei dem Nervenzellen durch Licht ein- und ausgeschaltet werden. Auch das Cochlea Implantat sei eine Anwendung der Grundlagenforschung. Damit können Taube wieder hören, mit Einschränkungen, am besten funktioniert es im Kindesalter. Ein ausdrucksstarkes Foto eines kleinen Kindes, das erstmals Sprache hört, machte diese revolutionäre Forschungsanwendung deutlich.
„Gedanken lesen können wir nicht“
Auf der höheren Ebene, der der Gedanken, Erfahrungen und Gefühle indes gebe es noch keine kausalen Zusammenhänge. „Gedanken lesen können wir nicht“, fasst der Wissenschaftler den derzeitigen Stand zusammen. Man könne eben nicht Terroristen durch Hirnscans entlarven. Das viel diskutierte Human Brain Project, für das eine Milliarde Euro aus der EU angesetzt ist und zum Verständnis der Grundmechanismen des Gehirns führen solle, stehe noch ganz am Anfang. „Wir wissen viel und verstehen wenig“ zitierte er den Hirnforscher Wolfgang Prinz.
Grothe wies klar nach, dass die Erfolge in der medizinischen Technologie bei Gelähmten auf Biofeedback und nicht auf Gedankenlesen zurückzuführen sind. Hier werden also biologische Vorgänge, die durch Sinneswahrnehmungen nicht mehr zugänglich sind, durch elektronische Hilfsmittel ersetzt.
Genverdopplung führt zu Menschwerdung
Eine wichtige Erkenntnis der Hirnforschung behielt sich der Wissenschaftler bis zum Ende seines lebendigen Vortrages auf. Er sprach über die Evolution des Gehirns. Lange glaubte man, dass der Mensch durch die Größe des Hirns oder die Menge der Nervenzellen ausgezeichnet gegenüber den Tieren sei. Trugschluss. Man fand heraus, dass bei Lucy, dem weiblichen etwa 3,5 Millionen Jahre alten Fossil, eine Genverdopplung stattgefunden hat, die zu einer erhöhten Dichte an Dornenfortsätzen an den Nervenzellen führte. Diese wiederum sind schon länger als Basis für Lernvorgänge entschlüsselt. Damit also wurde die Menschwerdung eingeleitet.
Hotelier Korbinian Kohler. Foto: Monika Ziegler
Die Dynamik der Evolution aber habe nicht nur den menschlichen Verstand hervorgebracht, sondern gleichzeitig auch psychische Erkrankungen, die es bei Tieren nicht gebe. „Es wird Neues geschaffen, aber es kann auch viel schief gehen“ resümierte Grothe das Spiel der Evolution. Und damit stehen die Neurowissenschaftler vor großen Aufgaben.