Wolfgang Herrmann kommt aus Meißen in Sachsen. Sein Vater war bei der Wismut – einem Bergbauunternehmen in Sachsen und Thüringen, das Uran für die russische Atomwirtschaft lieferte – zwangsverpflichtet und erkrankte. Die Familie floh ins Ruhrgebiet und bot dem Heranwachsenden einen liberalen, freiheitsliebenden Unterbau. „Ich durfte Hippie werden“, sagt Wolfgang Herrmann. Außerdem wurde er Fotograf. Er wollte die Welt sehen, frei sei, entdecken und er wollte Menschen fotografieren.

Nach dem Besuch der Folkwangschule in Essen arbeitete er als Modefotograf bei einem Riesenfotostudio, fühlte sich aber dort eingekesselt und machte sich selbständig. 28 Jahre lang lebte und wirkte er in der Welt der Modefotografie. „Mein Beruf schickte mich in die Welt, ich hatte eine Aufgabe und eine Teilhabe an der Welt“, sagt er. Wobei ihn die Mode an sich weniger interessierte, sondern vielmehr das Medium der Fotografie.

Das erste Mal hatte es der erfolgreiche Fotograf bei einem Film, den er über das Zentrum von Hamburg drehte, mit Veränderungen zu tun. Sein investigatives Vorgehen zeigte ihm, dass das Zentrum der Stadt ausblutet, diese Spur interessierte ihn. Er fragte sich, warum verändern sich die Verhältnisse, die Menschen, die Berufe, die Orte. Und er nahm 2007 eine Stelle im Change Management an. Er ging als Creative Director zu Neckermann. Seine Aufgabe bestand darin, den Kostenapparat zu untersuchen, neue Systeme aufzubauen und die neue Internetwelt zu bestücken. Er hatte bis zu 200 Mitarbeitern, eine enorme Herausforderung, sehr anspruchsvoll. „Es war wie bei einem Segeltörn, ich konnte mich nur noch um diese Aufgabe kümmern.“

Nach fünf Jahren meldete Neckermann Insolvenz an. Aber Wolfgang Herrmann kriegte seinen auf Hochtouren laufenden Motor nicht aus. Er wollte alles ganz genau wissen und untersuchte noch einmal Dinge, die eigentlich klar waren, wurde lästig, aber dann war endgültig Schluss und er musste auf die Erde zurückkehren. Dort war inzwischen seine Partnerin Brigitte Müller sesshaft geworden, in Bayrischzell. Er war gependelt und entschloss sich jetzt, auch im äußersten Zipfel des Landkreises Miesbach zur Ruhe zu kommen.

„Ich bin noch auf der Suche“, gibt er zu, „aber die Ideen reifen immer mehr.“ In einem solchen Ort wie Bayrischzell muss sich der Fremde erst einmal bewähren, „die wollen wissen wer du bist“. Und Wolfgang Herrmann entdeckte Merkwürdiges. Zuerst, dass ihm die Bodenständigkeit der Menschen gefällt. „Ich habe gemerkt, wie ernst die das meinen mit der Tradition“, sagt er. Das seien keine Klischees, sondern das sei ein Bekenntnis. Und die Jugend greife es auf, wie er beim Dorffest in Osterhofen feststellen konnte. „Es war für mich ein weiter Weg von der Heidi-Ecke weg.“ Aber jetzt sei er fröhlich, weil er seine eigene Sicht bereinigte.

Und er kehrte zu seiner eigentlichen Berufung zurück. Nachdem er früher Fotografie rein kommerziell betrieb und kaum Zeit für freie Arbeiten hatte, nutzt er jetzt seine Fähigkeiten, um sich in die neue Heimat hinein zu sehen. „Es ist keine heile Welt“, hat er festgestellt, aber alles sei authentisch, nicht Konsum gesteuert. Und er als Außenstehender könne ohne Partei zu ergreifen mit Adlerblick schauen und dennoch tief verwurzeln. Er ging in Vorleistung und kreierte die Internetplattform „Bayrischzell kreativ“. Mit dieser nicht kommerziellen website will er den Menschen ein Gesicht geben, will zeigen, was Bayrischzell zu bieten hat. Angefangen hat er mit Kunsthandwerkern, eine Parallelspur zur Kunst, die in Bayrischzell eine traditionelle Heimstatt hat.

Mit seiner Sicht von außen, seinem Fotografenblick und seiner Erfahrung im Change Management stellt er sich die Frage, was kann man in einem solchen Ort wie Bayrischzell für den Tourismus tun. „Wir brauchen kein Riesenrad“, ist er überzeugt, hier gehe es anders zu, ruhig, gepflegt, so wie es der Tannerhof vormache.


Und so plant Wolfgang Herrmann gemeinsam mit der Autorin Gesina Stärz, Bayrischzell in seinem Wandel mit Fotos und Texten auf die Spur zu kommen. Ebenso wie er selber auf der Suche nach Ruhe, Frieden und Zufriedenheit sei, wolle er dieses Gefühl für den Ort vermitteln. Denn hier könne man inmitten der Natur demütig werden, bewundern und letztlich Frieden finden. Zudem habe man sich in Bayrischzell viel bewahrt, keine Bausünden begangen. Und so gleite er durch einen Zeittunnel hinein in die Landschaft und lerne Gelassenheit von den Menschen, deren „Passt scho“ aus ihm einen anderen Menschen mache. Und er habe sich aufgemacht heraus zu finden, was es sei, dass die Menschen hier diese Gelassenheit haben.

Vielleicht seien es die Tiere. Denn beim Viehauftrieb habe er es selber erlebt. Da gehe es nicht um Zeit, so wie er es kenne von früher, sondern man begebe sich einfach in den Fluss. „Und den Rest machen die Kühe.“

Monika Ziegler
Publiziert 19. September 2013