Haben die Rauhnächte heute noch Bedeutung?
Winterlandschaft am Tegernsee. Foto: Ines Wagner
Kolumne über die Rauhnächte
Die Rauhnächte sind einige Nächte um den Jahreswechsel, denen im europäischen Brauchtum besondere Bedeutung zugewiesen wird. Handelt es sich dabei um Aberglaube oder immer noch sinnvolle Tage der Einkehr und Brauchtumspflege?
In der Zeit nach Weihnachten und vor Dreikönig bleibt die Zeit beinahe stehen. Während das alte Jahr Schritt für Schritt zu Ende geht, und das neue erst langsam in die Gänge kommt, hängen wir in ruhigen Momenten unseren Gedanken nach. Wie ist das alte Jahr verlaufen und was mag das eben erst begonnene für uns bereit halten?
Wir kennen diese Zeit auch unter dem Namen Rauhnächte. Die Herkunft des Begriffs ist unklar. Er könnte auf das mittelhochdeutsche Wort „haarig“ zurückgehen und auf mit Fell bekleidete Dämonen hinweisen, die in diesen Nächten ihr Unwesen treiben, oder auch, banaler, auf Rituale rund um das Nutzvieh. Eine andere Herleitung des Wortes Rauhnacht geht vom traditionellen Beräuchern der Ställe mit Weihrauch durch den Priester oder den Hofbauern aus.
Rauhnächte – Zeit für Spaziergänge und Innehalten. Foto: Ines Wagner
Zeit für Rituale und Volksbräuche
Schon die Kelten hielten diese Zeit für eine besondere. Ihr Jahr, das aus zwölf Mondmonaten bestand, erfasste nur 354 Tage. Um den Anschluss an das aus 365 Tagen bestehenden Sonnenjahr zu schaffen, wurden elf Tage, beziehungsweise zwölf Nächte „eingeschoben“. Wie andere Kulturen, die Mondkalender verwendeten, waren diese Tage, die sich außerhalb des Kalenders, und somit sozusagen außerhalb der Zeit befanden, eine Zeit für Rituale und Volksbräuche.
Teile davon sind in vielen Regionen erhalten geblieben. Am Weihnachtsabend sollen Geisterwesen eine überaus starke Macht haben und werden vom Läuten der Kirchenglocken, dem Schreckensgeläut, vertrieben. Um die Unwesen zur Zeit der Rauhnächte wohlgesonnen zu stimmen, stellen immer noch einige Bewohner Bayerns Fleisch, Kuchen oder Hülsenfrüchte vor die Tür. Hängt jemand zu dieser Zeit Wäsche auf, heißt es, dass Odin sich ein Wäschestück schnappt, um es als Leichentuch zu verwenden.
Rauhnächte: Zeit, auf Spaziergängen Verborgenes zu entdecken. Foto: Karin Sommer
Wann genau die Rauhnächte beginnen, ist unklar. Für die einen ist die erste Nacht die Thomasnacht auf den 22. Dezember, für die anderen beginnen die Rauhnächte erst mit der Weihnachtsnacht. Die letzte Rauhnacht ist einstimmig die, die heute begangen wird, vom fünften auf den sechsten Januar.
Während die Herkunft und der Beginn der Rauhnächte unklar sind, ist doch vielleicht die wichtigere Frage die, ob sie in unserer Zeit überhaupt noch eine Bedeutung haben.
Rauhnächte in einer von Vernunft geprägten Gesellschaft?
In einer Welt, in der beinahe alles durch wissenschaftliche Untersuchungen erforscht und erklärt werden kann, fühlt sich die Mythologie verloren. In einer Gesellschaft, die Götter wie Individualität und Wirtschaftswachstum verehrt, scheinen Rituale fehl am Platz. Wir haben uns doch erst vor kurzem aus der Starre der einengenden, bedeutungslos gewordenen Rituale befreit und schon vermissen wir die Zugehörigkeit, Sicherheit und Orientierung, die durch sie gegeben war.
Unfug, Unglück, Aberglaube?
Viele Menschen fühlen sich der Kirche nicht mehr wirklich zugehörig und halten trotzdem am Ritual fest, wenigstens zu Weihnachten einer Messe beizuwohnen. Wir glauben nicht mehr an die Vertreibung der bösen Geister in der Silvesternacht, schießen aber trotzdem mit viel Lärm Feuerwerke in die Luft, ganz so wie früher Lärm erzeugt wurde, um Unholde zu vertreiben. Wir halten nichts mehr von Orakeln, kaufen uns aber bestimmt auch wieder 2018 die Wachsteile, um sie durch das ab jetzt verbotene Blei zu ersetzen, damit wir weiterhin etwas Heißes ins kalte Wasser gießen können, das uns unsere Zukunft verrät, auch wenn wir nicht daran glauben.
Altes genauer betrachten. Foto: Karin Sommer
Wir wissen, es ist Unfug, dass wir die Wäsche zu Weihnachten nicht aufhängen sollen, weil das Unglück bringt, nur weil das die Oma immer gesagt hat, nehmen sie aber sicherheitshalber trotzdem ab.
Bewusste Entscheidungen
Wir sind mehr gefordert denn je, bewusste Entscheidungen zu treffen. Wollen wir ein Leben ohne Brauchtum, Mythologie und den dazugehörigen Ritualen? Oder wollen wir entscheiden, welches Brauchtum wir pflegen, welche Rituale wir erhalten oder neu beleben möchten? Bevorzugen wir eine Welt, in der Wissenschaft alles ist, oder lassen wir auch Raum für das Unbegreifliche, Unerklärliche und das Althergebrachte, das vielleicht keinen Sinn macht und doch so viel Sinn gibt?
Rauhnächte – Zeit zum Resümmieren und für den Neuanfang. Foto: Ines Wagner
Wie immer wir uns auch entscheiden mögen, heute wird die letzte Rauhnacht dieses Jahreswechsels anbrechen. Wir werden schlafen gehen und möglicherweise morgen in dem Bewusstsein aufwachen, dass das Neue nun endgültig begonnen hat. Wir könnten natürlich jeden Tag mit diesem Wissen aufwachen, aber das ist schwierig, und vielleicht ist die Hilfe durch einen althergebrachten Brauch doch ganz willkommen.