Die Leica als Quelle der Inspiration
Jeff Mermelstein: Sidewalk 1995
Ausstellung in München
Der fallende Soldat von Robert Capa, der Pfützenspringer von Henri Cartier-Bresson, der Kuss am Times Square von Alfred Eisenstaedt, die vor Napalm flüchtenden Vietnamesen von Nick Út, die sowjetische Flagge auf dem Berliner Reichstag von Jewgeni Chaldej – diese berühmten Fotografien haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Ein kompaktes Gehäuse und lichtstarke Objekte erlaubte spontanes Reagieren und ermöglichte unbemerktes Fotografieren auf der Straße.
Vor 100 Jahren kam diese technische Innovation auf den Markt. Mit dem Taschenformat, der Möglichkeit des Objektivwechsels, der leisen Mechanik und kurzen Verschlusszeiten verfügten die Fotografen über völlig neue Einsatzmöglichkeiten, die zu extremen Perspektiven und ungewöhnlicher Spontaneität führten. Die bequem in der Manteltasche zu tragende Kamera löste eine gewaltige Bilderflut aus, förderte die Lust am Experiment und lieferte eine umfassende visuelle Erkundung der Wirklichkeit. So wird die Leica zum Gradmesser von Aufbruch, Tempo und ästhetischen Neuerungen und bleibt ein Mythos bis ins digitale Zeitalter.
Mehr als 300 Fotografien aus internationalen Sammlungen.
Leica als Gradmesser
Die Ausstellung „Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie“ beleuchtet in sechzehn Kapiteln Aspekte der Kleinbildfotografie: Von journalistischen Strategien über dokumentarische Ansätze bis hin zu freien künstlerischen Positionen. Sie verdeutlicht erstmals aus kunst- und kulturgeschichtlicher Perspektive, wie sich das fotografische Sehen im 20. Jahrhundert durch das Leica Kleinbild verändert hat. Mehr als 300 Fotografien aus internationalen Sammlungen und Museen sowie Zeitschriften und bedeutende Fotobücher belegen die unterschiedlichen Aspekte der Leica Fotografie ab Mitte der 1920er-Jahre.
Das Kunstfoyer München präsentiert Arbeiten von international renommierten Leica Fotografen wie Alexander Rodtschenko, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, Christer Strömholm, Bruce Davidson, F.C. Gundlach, Fred Herzog, Robert Lebeck, William Eggleston, Will McBride, Paolo Roversi, René Burri, Thomas Hoepker, Bruce Gilden, Mark Cohen, Nobuyoshi Araki, Jeff Mermelstein, Werner Bischof, Hans Saebens oder Paul Wolff.
Ein Phänomen von Zufall, Glück oder Schicksal
Ein Besuch reicht sicher nicht aus um diese Fülle an Bildern zu erfassen. Lassen wir mit Georg Stefan Troller einen berufenen Betrachter sprechen: „Warum liebe ich die Photographie und die Photographen? Bestimmt hat es etwas damit zu tun, dass ich früh herausfand, dass es die am leichtesten zu handhabende von allen Künsten sei, ohne uns deshalb weniger zu berühren, eher das Gegenteil. Und danach, dass die Photographie ein Anhalten der Zeit voraussetzt, welche doch sonst so tragisch unaufhaltsam mit uns vorüberfließt, immer eine sentimentale Angelegenheit. Denn wer blickt schon unerschüttert auf ein Photo aus vergangenen Zeiten, sei es Ereignis oder Porträt. Und schließlich ist da dieses eigentümliche Phänomen, das so viele gelungene Photos uns vermitteln: dass hier der Zufall, oder das Glück, oder das Schicksal, oder die Realität oder wie immer man es nennen will, sich dem Künstler einen Augenblick lang freiwillig zur Verfügung stellten. Demnach, dass auch wir – trotz häufig so gegenteiligem Anschein – unsere eigenen Geschicke lenken können. Und was will man mehr?“
Es ist der Versicherungskammer Kulturstiftung hoch anzurechnen, dass sie in Zeiten stagnierender Kulturförderung immer wieder das Beste vom Besten in ihren Schauräumen vereint – noch dazu bei freiem Eintritt.