„Wünsch dir alles und erwarte nichts“
Judas (Sepp Grundbacher) trägt eine schwere Last. Foto: Petra Kurbjuhn
„Ich bin Judas.“ Mit diesem Satz beendet Sepp Grundbacher seinen Monolog, steigt von der Bühne und verschwindet. Übrig bleibt ein überwältigtes Publikum, das sich im Anschluss an den Theaterabend mit dem Schauspieler und Regisseurin Steffi Baier über das Gesehene und Gehörte austauschen darf.
Die holländische Autorin Lot Vekemans hat mit ihrem Theaterstück „Judas – die Geschichte eines Erstandenen“ ein Werk geschaffen, das an vielen Bühnen für Aufsehen sorgte. Jetzt hat es der Irschenberger Spielleiter Sepp Grundbacher entdeckt. Mit seinen Inszenierungen von Rudolf Pikola und Felix Mitterer begeisterte er in den vergangenen Jahren ein breites Publikum. „Judas“ aber spielt er selbst. Und das ist gut so.
Denn Sepp Grundbacher ist Judas. Er erzählt uns seine Geschichte so, als ob wir miteinander am Tisch säßen. Authentisch wird der Text insbesondere dadurch, dass ihn der Irschenberger Biobauer und Käser ins Bairische übertragen hat. Schlicht beginnt er seine Geschichte zu erzählen: „Ich bin an dem Tag geboren, an dem die Sonne ihren höchsten Punkt im Jahr erreicht.“ Wir erfahren Persönliches von diesem Mann, Unbekanntes, denn eigentlich meint ja jeder, Judas, den Verräter, genau zu kennen. Der den Messias für 30 Silberlinge verriet, Schande über ihn.
Aber bevor er in seine Geschichte eintaucht, hat Sepp Grundbacher noch etwas vergessen. Er rennt hinaus und fragt beim Hereinkommen, wer das denn sei, der seine Eintrittskarte noch nicht bezahlt habe. Spätestens jetzt wird klar, mit Zurücklehnen und Konsumieren wird es heute Abend nichts, das Publikum wird einbezogen, muss sich den dringlichen Fragen dieses Mannes stellen.
Was ist das Leben? Foto: Petra Kurbjuhn
Worum geht es im Leben? Was ich getan habe? Was ich begriffen habe? Eine wesentliche Erkenntnis drückt Judas so aus: „Wünsch dir alles und erwarte nichts.“ Denn das war sein eigentliches Problem, er hat von seinem Meister erwartet, dass er König der Juden wird und nach Rom zieht. Aber diese Erwartung hat der Mann aus Nazareth nicht erfüllt.
Und eine andere wichtige Erkenntnis hält Judas für uns bereit: „Der Mensch handelt aus Zweifel“ und „der Glaube braucht keine Aktion“. ER sei anders gewesen als die vielen Messiasse vor und neben ihm, ER habe an die innere Kraft und die Veränderung geglaubt, geboren aus dem Zweifel.
Regisseurin Steffi Baier. Foto: Petra Kurbjuhn
ER ist in der dichten Inszenierung von Steffi Baier durch einen schwarzen hohen Holzkasten symbolisiert, ebenso wie Judas durch einen kleineren. Das einfache Bühnenbild fokussiert das Geschehen auf Judas. Die Regisseurin gibt dem Text Lebendigkeit und Spannung, indem sie den Protagonisten an verschiedenen Stellen des Gewölbes im Waitzinger Keller agieren lässt, auf der Bühne mit groben schwarzen Kästen, hinter einem Vorhang, über den er wie beim Kasperltheater schaut, an der Seite und unter dem Baum, an dem er sich bekanntermaßen erhängen wird. Steffi Baiers Regie verleiht dem archaischen Monolog die Kraft, das Publikum zu bannen.
Judas leidet, rechtfertigt sich aber nicht. Foto: Petra Kurbjuhn
Sepp Grundbacher ist Judas, er spielt ihn nicht. Mit seiner natürlichen Sprache, die er ebenso im Alltag verwendet, verdeutlicht er wie nahe uns Judas ist, wie jeder von uns Judas sein kann. Denn, nur wer nichts tut, kann nichts falsch machen. Sepp Grundbacher leidet mit seinem Judas, er bereut, ja, er rechtfertigt sich aber nicht. Er stöhnt unter der Last, unter der Schuld, die er auf sich genommen hat, denn „einer hats tun müssen“. Damit sich die Prophezeiung erfüllt?
Jeder ist gefragt. Foto: Petra Kurbjuhn
Ja, was hättet denn Ihr getan, fragt Judas. Erst „Hosiannah“ und dann „kreuzigt ihn!“ geschrien? Wer hätte für ihn gekämpft, fragt er und blendet einen jeden Zuschauer mit dem Spiegel an. „Alle Schuld ist an mir pappen geblieben, ich, die Ikone des Verrats, jetzt reichts“, ruft dieser Judas.
Und dann steht er da wie ein Gekreuzigter, mit geschlossenen Augen, atemlos wartet das Publikum, wie Sepp Grundbacher aus dieser emotionalen Situation herausfindet. Er fragt das Publikum, aber er bekommt keine Antwort. Niemand will seinen Namen haben und dafür den eigenen hergeben. Und so steht er dazu: „Ich bin Judas.“
Nach donnerndem Applaus für eine herausragende schauspielerische Leistung lädt Sepp Grundbacher zum Gespräch ein. Noch lange stehen die Zuschauer mit Schauspieler und Regisseurin beieinander, verarbeiten gemeinsam das Geschehen und gehen letztlich immens bereichert nach Hause.