Der Besuch der alten Dame - Claire kommt in Güllen an. Ensemble des Weilheimer Stadttheaters

Menschlichkeit geht an Krücken

Claire kommt in Güllen an. Ensemble des Weilheimer Stadttheaters (Ausschnitt). Foto: Kreisbote/Maria Lindner

Theater in Weilheim

„Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt ist eines der ganz großen Werke der Theaterliteratur. Jetzt hat der Otterfinger Regisseur Celino Bleiweiss die tragische Komödie zu den Weilheimer Festspielen inszeniert. Mit Riesenerfolg, denn alle Vorstellungen sind ausverkauft.

Für KulturVision waren Susanne (SL) und Ralf Lorenzer (RL) aus Valley in Weilheim. Im Gespräch berichten sie über ihre Eindrücke.

MZ: Das Stück wurde 1956 uraufgeführt. Was kann es uns heute noch sagen?
SL: Das Stück ist absolut zeitlos. Es geht um Korrumpierbarkeit und Käuflichkeit. Und es geht darum, wie eine junge Frau schandbedeckt, geschwängert ihre Heimat verlassen muss und reich geworden, im Alter wiederkommt und hasserfüllt Rache üben will.
RL: Wenn in der Jugend etwas geschehen ist, was man nicht vergeben kann, dann wird man im Alter gnadenlos. Beim Erwachsenwerden steht die Existenz im Vordergrund, wenn aber danach keine Entwicklung mehr stattfindet, dann verbittert der Mensch.

MZ: Wie hat Celino Bleiweiss dieser Thematik auf der Bühne Gestalt verliehen?
RL: Die Bühne ist ein leerer Raum. Dann erscheint die Projektion eines ICE mit Geräuschkulisse, er hält, man hört Schritte und das Klopfen eines Stockes. Claire kommt wieder nach Güllen, schwerreich und fordert Gerechtigkeit.
SL: Die einzige Bühnengestaltung sind schwarze Würfel, die zu einem Balkon, dem Altar, usw. umgestellt werden. Die einzelnen Szenen werden durch elektronische Musik und Geräusche getrennt.

Der Besuch der alten Dame
Claire und die Bürger von Güllen. Foto: Kreisbote/Maria Lindner

RL: Statt eines Vorhanges wird die Bühne zwischen den Szenen verdunkelt, die Schauspieler verändern die Würfel auf der Bühne, so reißt die Beziehung zum Publikum nicht ab.
SL: Wichtig sind die Requisiten, die Hauptakteure tragen weiße Handschuhe als Metapher für ihre Unschuld. Und die Bürger von Güllen tragen goldene Schuhe, nachdem sie korrumpiert sind. Das hat Dürrenmatt so vorgeschrieben. Aber Celino Bleiweiss hat die aufkommende Gewalt spannend dargestellt, über dem Altar hängt das Tuch mit dem Kreuz und daran lehnt ein Gewehr.
RL: Eine andere Metapher ist der schwarze Panther, den Claire mitbringt und der auskommt. Damit wächst das Gefühl der Bedrohung, der dunkle Teil des Menschen ist jetzt losgelassen und alles gerät durcheinander.

Wandlung von Ill

MZ: Wie agieren die Schauspieler?
SL: Yvonne Brosch als Claire ist sehr eindrucksvoll, sie spielt toll mit ihrer linken künstlichen Hand und ihren Krücken, als Metapher dafür, dass die Menschlichkeit an Krücken geht.
RL: Und die eigentliche Persönlichkeit nicht mehr da ist, denn vieles an ihr ist ja ersetzt.
SL: Sehr gut stellt Winfried Hübner den Ill dar, der zunächst sicher ist, dass Claires Angebot eine Milliardensumme für seine Ermordung zu zahlen von den Bürgern Güllens abgelehnt wird.
RL: Wie man ihn im Obergeschoss auf und ab gehen hört und seine Wandlung miterleben kann von der Angst in das Sichergeben, das ist sehr gut gespielt.

MZ: Was ist an der Inszenierung noch bemerkenswert?
RL: Manches ist auch sehr komisch. In der Szene im Wald, die in der Vergangenheit spielt, als sich Ill und Claire heimlich treffen, stellen Menschen Bäume dar und wiegen sich im Wind. Der dickste Darsteller steigt dann herunter und hüpft davon, da sagt Claire: Ein Reh!
Claire (Yvonne Brosch) und Ill (Winfried Hübner) in Erinnerung an damals, während sich Bäume im Wind wiegen
Claire (Yvonne Brosch) und Ill (Winfried Hübner) in Erinnerung an damals, während sich Bäume im Wind wiegen. Foto: Kreisbote/Maria Lindner

SL: Die Sentimentalität bei der Erinnerung und dann das Switchen in die Gegenwart, das macht die Spannung aus.
RL: Man spürt die Botschaft, dass jedes Wesen in sich die Fähigkeit zu lieben ebenso hat wie die Grausamkeit bis zum Mord.

MZ: In der Inszenierung spielen Profis ebenso wie Laien.
RL: Celino Bleiweiss hat sie sehr gut zusammengeführt, da spürt man keinen Unterschied. Generell hat er den Text von Dürrenmatt auf das Wesentliche verdichtet. Den Chor lässt er nicht wie bei der griechischen Tragödie statisch agieren, sondern er hat die Bürger spielen lassen.
SL: Celino Bleiweiss hat uns erzählt, dass die Zusammenarbeit mit Andreas Ahnert, der Musik und Klangbilder beigesteuert hat, sehr gut war, man habe sich gegenseitig inspiriert.
RL: Es war von Anfang bis Ende spannend und hat einen nicht losgelassen.

Celino Bleiweiss hat viele deutsche Klassiker inszeniert: Schillers Räuber, Don Carlos, Kabale und Liebe. In Weilheim ist es seine vierte Regiearbeit, nach Dürrenmatts „Die Physiker“, Brechts „Mutter Courage“, und Ibsens „Gespenster“. In München inszenierte der Otterfinger „Anatevka“. Am 28. März 2019 ist er im Rahmen der Reihe „Anders wachsen“ zu Gast auf der Blauen Couch im Waitzinger Keller Miesbach.

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