Vom Aufprall bis zum Untergang
Die Performenden: Julia Weiermann, Bernadette Schnabl, Nicola Trub, Rainer Lott, Johanna Effenberger, Andrea Beblo-Krause, Valeska Weber. Foto: Volker Derlath
Theater in München/Hausham
Der Haushamer Regisseur Jochen Strodthoff inszeniert in München im Theater Blaue Maus Enzensbergers „Untergang der Titanic“. Und er bringt das Stück auch nach Hausham – als szenische Lesung, die zu verpassen schade wäre.
Das Kellertheater Blaue Maus in München hat seit einem Jahr mit Robert Spitz einen neuen Leiter, der ein Gespür für gute Texte und Lyrik hat. Und dieser holte mit Jochen Strodthoffs Inszenierung ein Stück in seine Räume, das besser kaum passen konnte. Ein „Das Boot ist voll“-Gefühl machte sich auch im eng befüllten Theaterraum im Keller der Elvirastraße 17 breit – die Premiere war ausverkauft und die weiteren Vorstellungen sind es inzwischen auch nahezu.
Eine gute Nachricht gibt es nun für die Bewohner des Landkreises Miesbach. Der Regisseur, der seit knapp vier Jahren in Hausham lebt, holt die Schauspieler zu einer szenischen Lesung aufs Land: am 14. Februar ins Staudenhäusl in Hausham.
Entsetzen und Ohnmacht – Szene aus „Der Untergang der Titanic“ in einer Inszenierung von Jochen Strodthoff. Foto: Volker Derlath
Der Stoff von Hans Magnus Enzenberger, einer Komödie aus 45 Texten in Versform aus dem Jahr 1978, beschäftigte den Regisseur bereits etwa 20 Jahre. Vieles an dem Originalstoff aus der Zeit eines „Mauer-Berlins“ ist aktueller denn je, manches passte nicht mehr in die Gegenwart. Jochen Strodthoff hat die Klammer beibehalten, vieles jedoch weggelassen. Ihn interessierte, wie man sich im heutigen Spannungsfeld mit dem Ereignis beschäftigt. Was bedeutet heute das größte Unglück zu Beginn der Moderne, der „erste Pop-Mythos“, der den Untergang einer Gesellschaft einläutete, die stark patriarchalisch geprägt war?
Reise vom Aufprall bis zum Untergang
Bei seiner Inszenierung stehen nun sechs Frauen auf der Bühne und ein Mann. „Jeder Text hat einen erzählerischen Zug“, erklärt der Regisseur, indes gäbe es keine eigentlichen Rollen, „es ist ein Erzählepos“. Dass die Figuren nicht genau definiert sind, lässt viel Spielraum für Assoziationen. Hier spricht die Zweifelnde, dort die Protestierende, dann wieder die ewig Optimistische, die Poetin oder der Fortschrittsvertreter. In dieser Reise vom Aufprall bis zum Untergang hadern die Performenden unentwegt mit sich und untereinander. Strodthoff wählt diesen Ausdruck bewusst, weil er mehr eigene Freiräume zulässt als der Begriff Schauspieler.
Julia Weiermann, Valeska Weber, Bernadette Schnabl, Rainer Lott, Nicola Trub, Andrea Beblo-Krause, Johanna Effernberger (v.l.) im Theater Blaue Maus. Foto: Volker Derlath
Beklemmung macht sich breit. Die Nähe zur Katastrophe wird durch die Dichte der Texte, die Eindringlichkeit der Sprechenden, die räumliche Nähe im Kellertheater und auch durch die sparsame Kulisse unterstrichen. In Michael Bischoffs Bühnenbild spielen übergroße weiße Plastiktanks die tragende Rolle. Sie sind äußerst flexibel als Rettungsboot, dienen als Percussion-Instrument, als Projektionsfläche, lenken die Aufmerksamkeit konzentriert auf die Sprecherinnen und den Sprecher.
Blick in die heutige Zeit
In Monologen und Dialogen, in skandierenden Chören und Liedfragmenten wird der Untergang heraufbeschworen. Dieser Untergang beginnt mit einem Geräusch, einem Knacken, einem Schaben, einem Klirren wie Tafelsilber. Die sieben Performenden schwingen wie Algen auf dem Grunde des Meeres, aschfahl wie Ertrunkene, wie Geister. Sie beschreiben das Geräusch, den Vorgang, das Aufschlitzen der Haut des Schiffes. Es gibt kein Entrinnen, auch nicht für die Zuschauer. Durch diese Katastrophe müssen wir gehen und sorgfältig hinsehen. „Was genau ist der Eisberg?“ Dieser Frage wurde akribisch in den Proben nachgegangen – welche Bedeutung hat er in unserer heutigen, von Flüchtlingswellen und Klimakatastrophen geprägten Zeit? Und wie schaut es heute mit unserer Erste-Klasse-Gesellschaft aus, beispielsweise in der reichsten Stadt Deutschlands, München, mit ihren SUVs und Champagnerorgien?
Rainer Lott: „Hier Spricht der Kapitän …und ich befehle: Rette sich, wer kann!“ mit Nicola Trub. Foto: Volker Derlath
„Der Eisberg hat keine Zukunft, er lässt sich treiben“, ist zu vernehmen, oder: „Wer ist schuld daran, dass es keine Gerechtigkeit gibt?“ Die Sätze sind prägnant, sie lassen keine Zweifel aufkommen. Der Untergang ist eine Metapher und sie verfehlt ihre Wirkung nicht. Neben der schlichten Kulisse sind es auch die eleganten, zeitlosen Kostüme, welche die Zuschauer daran erinnern, dass die Gesellschaft sich auch nach dem Untergang noch im Untergang befindet.
Eindringlich wachgerüttelt
Jochen Strodthoff ist mit der Umsetzung des Enzensberger-Stoffes eine großartige Inszenierung gelungen. Wer würde nicht wachgerüttelt in dieser Dichte und Eindringlichkeit, in der trotz allem noch genügend Platz für Humor bleibt. Richtig, Enzensdorfers „Untergang der Titanic“ ist ja eine Komödie.