Resilienz

Lob der Verletzlichkeit

Ist das Stehaufmännchen ein Synonym für Resilienz? Foto: Petra Kurbjuhn

Vortrag im Rahmen von „Anders wachsen“ in Holzkirchen

Einen spannenden und informativen Schlagabtausch lieferten sich Martin Schneider und Wolfgang Huber zum Thema „Resilienz“ aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht. Die Frage: „Was stärkt uns in Zeiten radikalen Wandels?“ beantworteten die Experten mit der Fähigkeit, Krisen zu erkennen und zu meistern.

Als Synonyme für Resilienz hatte Wolfgang Huber einen Schwamm und ein Stehaufmännchen in das gut besuchte Foolstheater mitgebracht. Der Schwamm demonstriert den Ursprung des Begriffs aus der Werkstoffkunde, nämlich das Zurückspringen in den ursprünglichen Zustand nach Verformung. Das Stehaufmännchen indes, so erklärte der Holzkirchner Mediziner, beschreibe den Begriff unzureichend, denn man lerne bei jeder zu bewältigenden Krise dazu, komme also nicht in dieselbe Position zurück..

Verstehen, handhaben und Sinn finden

Historische Beispiele für die Fähigkeit, schwerste Zeiten ohne nachhaltigen Schaden zu überleben, zitierte Wolfgang Huber anhand von Frauen, die das KZ überlebten und ein glückliches Leben führten. Wie auch der Begründer der Logotherapie Viktor Frankl hatten sie Kraft daraus geschöpft, ihre Situation zu verstehen, zu handhaben und den Sinn, überleben zu wollen, gefunden.

Resilienz
Titel der Veranstaltung im Rahmen von „Anders wachsen“. Foto: Petra Kurbjuhn

Martin Schneider ist promovierter Theologe und Sozialethiker an der LMU München und forscht im Verbund mit anderen Wissenschaftlern, wie Resilienz in Zeiten des Wandels in den unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft wirkt.

„Wir leben in Zeiten tiefgreifender systemischer Veränderungen“, sagte der Wissenschaftler, „dabei müssen wir herausfinden, wie Individuen und Gruppen die Transformation analysieren und sich anpassen können.“ Dafür entwickelte die Forschergruppe von „ForChange“ beispielsweise Spiele für Kinder, um Flexibilität und Ambiguitätstoleranz zu entwickeln.

Resilienz in der regionalen Wirtschaft

Es geht aber ebenso um Resilienz in der Ökosystemforschung, im Bauwesen, im Notfallschutz und in der Wirtschaft. „Was heißt Resilienz für die Regionalentwicklung?“ fragte Martin Schneider. Auf jeden Fall nicht, dass eine Region am Abgrund stehe, wenn es einer Firma schlecht geht. Standhaftigkeit, Anpassungsfähigkeit, Wandlungsfähigkeit sind nur einige Voraussetzungen dafür, dass es der Region wirtschaftlich gut geht.

Resilienz
Links die Wissenschaft. Foto: Petra Kurbjuhn

„Resilienz statt Effizienz“ schlug der Forscher für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung vor. Nachhaltigkeit indes sei schon fast ein überholter Begriff. Anstatt 1972, als „Die Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadow erschien, umzusteuern, habe man den Überschreitungspfad gewählt. Deshalb gehe es heute vielmehr darum, das Problembewusstsein zu fördern. „Die Umweltpädagogik war zu brav“, meinte Schneider.

Politisierung der Jugend

Beide Experten zitierten die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg, die sagt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre“, und begrüßten die Politisierung der Jugend, die sich in den Freitagsdemonstrationen äußert.

Resilienz
Rechts die Praxis: Dr. Wolfgang Huber. Foto: Petra Kurbjuhn

Wichtige Faktoren im persönlichen Bereich, die hilfreich sind, schwere Krisen zu meistern, erklärte Wolfgang Huber. Akzeptanz, Optimismus und Selbstwirksamkeit seien dabei die wichtigsten Elemente. „Wir müssen jetzt aktiv werden“, rief Martin Schneider auf, deshalb seien die vielen Graswurzelbewegungen so wichtig.

Ethischer Realitätsbezug

„Wir wollen überleben, wir brauchen Problembewusstsein, wir wollen Kontrollverlust vermeiden und immer wieder dazulernen“, brachte der Sozialethiker den ethischen Realitätsbezug der Resilienz auf den Punkt.

Dazu aber muss die Jugend fit gemacht werden. Ein erster Schritt wäre, so Wolfgang Huber, die Haftungsregeln in den Kitas zu ändern. „Wir müssen unseren Kindern mehr zutrauen“, sagte er, „abschirmen ist kein guter Start ins Leben.“ Wenn Kinder merken, dass ihnen alle Probleme abgenommen werden, dann sind sie nicht in der Lage, selbst welche zu lösen. Ein starker Selbstwert sei dazu erforderlich.

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Wissenschaft (Dr. Martin Schneider) und Praxis (Dr. Wolfgang Huber) vereint. Foto: Petra Kurbjuhn

Und was ist letztlich für den Einzelnen resilienzfördernd? „Glaube, Liebe, Hoffnung“, war der Ansatz des Theologen und „Spiritualität, Transzendenz, Liebe“ der Ansatz des Mediziners. Martin Schneider fügte noch ein Lob der Verletzlichkeit an, denn dadurch werde man stark. Wer verwundbar sei, lasse sich anrühren von der Not des anderen.

Das Beste draus machen

Zusammengefasst gilt das Gelassenheitsgebet: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Oder es mit Seneca auszudrücken: „Das Beste machen aus dem, was in deiner Macht steht und den Rest so nehmen, wie er natürlich passiert.“

Und am Ende gab Wolfgang Huber den berühmten Satz Gandhis mit auf den Weg: „Sei du die Veränderung, die du dir für die Welt wünschst.“

Zeit zum Handeln

Die Veranstaltung in der Reihe „Anders wachsen“ rüttelte das Publikum informativ und emotional nachhaltig auf, die Probleme in der gegenwärtigen Zeit der gesellschaftlichen Transformation wahrzunehmen. Verdrängung und Abschottung haben ausgedient, es ist jetzt Zeit zum Handeln. Möglichkeiten zum Engagement dafür gibt es in der Region zuhauf, beispielsweise in der Wirkstatt von Anders wachsen.

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