Mythos Seidenstraße – damals und heute
Prof. Dr. Thomas O. Höllmann und Journalistin Ulrike Leutheusser. Foto: Eva Winter, Olaf Gulbransson Museum Tegernsee
Vortrag in Tegernsee
Früher pilgerten Mönche, Kreuzritter, Abenteurer und Kaufleute entlang der Seidenstraße zwischen Orient und Okzident. Heute baut China mit Hochdruck die „neue Seidenstraße“. Ein interessanter Vortrag beleuchtete den Mythos am Wochenende in Tegernsee.
Sie sind immer wieder spannend und hochkarätig besetzt und sie widmen sich Themen aus Kunst und Kultur – die Sonntagsmatineen im Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee. Vergangenen Sonntag folgte der emeritierte Professor für Sinologie und Ethnologie an der LMU München und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Thomas O. Höllmann der Einladung der Olaf Gulbransson Gesellschaft.
Die gelbe Gefahr
Bis auf den letzten Stuhl dicht gedrängt saßen die zahlreichen Gäste. Der Mythos der Seidenstraße, die kunst- und kulturgeschichtlichen Hintergründe ebenso wie die gegenwärtigen Entwicklungen, stoßen auf großes Interesse und erzeugen zugleich auch heute noch ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen Faszination und Unsicherheit. Der Begriff „die gelbe Gefahr“, während der Kolonialzeit geprägt, versinnbildlichte deutlich die gängigen Vorurteile, gepaart mit Furcht. Gelb war auch die Farbe des Jacketts, das Ulrike Leutheusser, Journalistin, Historikerin und Vorstandsmitglied der Olaf Gulbransson Gesellschaft, zu ihrer Begrüßungsrede trug und somit eine gekonnte Einleitung zur Ambivalenz des Themas schuf.
Matinee „China und die Seidenstraße“ mit Prof. Dr. Thomas O. Höllmann. Foto: Eva Winter, Olaf Gulbransson Museum Tegernsee
Die moderne Seidenstraße
Das Projekt „One Belt, One Road”, wie die ehrgeizige “neue Seidenstraße” heißt, die Staatspräsident Xi Jinping zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der VR China und über 60 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas seit 2013 vorantreibt, schafft nicht nur Freude an der modernen Ost-West-Achse im Zuge der Globalisierung. Wie weit die Meinungen darüber auseinanderklafften, war Gegenstand des ersten Vortragsteiles Höllmanns.
Segen oder Fluch?
Was bedeute diese neue Seidenstraße für die Welt, so seine Frage: eine friedliche Überwindung von Staatsgrenzen in Form des Handels auf der einen oder ein Vorwand für ungebremste Expansion des riesigen Reichs der Mitte auf der anderen Seite der Medaille? Betreibe China mit der neuen Seidenstraße eine großzügige Förderung von Infrastruktur und Entwicklungshilfe – oder treibe das Land einen Keil zwischen die Länder Europas und schafft neue Abhängigkeiten?
Die Wertung der beiden Polaritäten war indes nicht Gegenstand der Matinee. Der promovierte Sinologe und Ethnologe Höllmann widmete sich in seinem kunstgeschichtlich hochinteressanten Vortag der alten Seidenstraße und der Einflüsse des Handels auf Europa und insbesondere auf China.
„Herrscher aus den Ländern entlang der Seidenstraße bei der Audienz. Wandmalerei aus dem 8. Jh. in der Höhle 103 in Dunhuang (China).“ – Foto: Archiv Prof. Dr. Thomas O. Höllmann
Der Begriff „Seidenstraße“, so legte er dar, bezeichne erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert das Verkehrsnetz, das seit der Zeitenwende weite Teile Asiens und Europas miteinander verband. Über zahlreiche hohe Gebirge und durch unwirtliche Wüsten spannte sich das Netz an Wegen und Straßen, dass die Karawanen mit Waren auf den Rücken von Eseln und Kamelen auf der Route zwischen Europa und Asien nahmen. Anhand zahlreicher Listen, die an den chinesischen Kaiserhöfen angefertigt wurden, weiß man heute um eine Vielfalt der erstaunlichsten „Waren“, die zumeist nicht nach China exportiert wurden, sondern vielmehr als Tribut an den chinesischen Kaiserhof erbracht wurden: von schwer transportablen exotischen Tieren wie Nashörnern und Löwen bis hin zu Tänzerinnen, Musikern und kleinwüchsigen Menschen. Sogar Bernstein gelangte auf allerhand Umwegen nach China.
Route der Händler, Pilgerer, Kreuzritter
Ebenfalls interessant war zu erfahren, dass chinesisches Geld eine untergeordnete Rolle spielte, vielmehr war Seide ein wichtiges Zahlungsmittel. Nicht nur Kaufleute wie Marco Polo begaben sich auf jahrelange Reisen nach China, auch zahlreiche Pilgerer oder Mönche wie Odorich von Pordenone, Kreuzritter und Soldaten. Denn die Seidenstraße diente nicht ausschließlich den Warentransport, sondern vor allem auch dem Austausch von Ideen und Ideologien. Nur diesem umfassenden Kommunikationsnetzwerk sei schließlich die ostwärts gerichtete Verbreitung vieler Religionen zu verdanken.
Lesetipp: Ausstellung „papan. Wer keinen Spaß versteht, versteht auch keinen Ernst“ im Olaf Gulbransson Museum
Während sich der Referent aus der Gegenwart bis zurück in die Zeit bis ins zweite Jahrhundert nach Christus begab, erfuhren die Gäste interessante Details über Mode und Frisuren, Dichtung, Kunst, Tanz und frühem, fortschrittlichen Handwerk aus der Zeit der historischen Handelsroute. Heute nutzt die chinesische Staatsführung das Schlagwort „Seidenstraße“, um ihren politischen und wirtschaftlichen Ambitionen Nachdruck zu verleihen. Der Mythos, die Neugier, das Abenteuer schwingt dabei mit und sorgt für positive Atmosphäre. Welchen Weg die Entwicklung indes tatsächlich nimmt, ist bislang schwer absehbar.