Gerechtigkeit

Gibt es noch Gerechtigkeit?

Alexander Hagelüken (Mitte) mit seinen Gästen: Melanie Striebeck, Harro Colshorn, Alexander Radwan und Thomas Mandl (v.l.). Foto: Verena Huber

Podiumsdiskussion in Holzkirchen

Um diese Frage zu beantworten hatte sich Alexander Hagelüken, leitender Redakteur für Wirtschaftspolitik der Süddeutschen Zeitung illustre Gäste ins Foolstheater eingeladen. Sie suchten Antworten in Philosophie, Religion, Politik und Wirtschaft. Aber auch die Literatur konnte Wesentliches beisteuern.

In der Reihe „Anders wachsen“ von KulturVision e.V. versuchen wir immer wieder, brisante Themen der Gegenwart auch mit kulturellen Mitteln zu beantworten. Regisseurin und Schauspielerin Lydia Starkulla startete mit Bertold Brecht, der forderte, dass das Volk das Brot der Gerechtigkeit reichlich und bekömmlich täglich backen möge.

Alexander Hagelüken moderierte den Abend nicht nur souverän, sondern auch heiter und verstand es, seine Gäste in ein persönliches Gespräch zu verwickeln bevor die allgemeine Diskussion zum Thema begann. So hatte der Abend nicht nur informativen sondern auch Unterhaltungswert.

Gerechtigkeit Kompetenter Moderator Alexander Hagelüken. Foto: Verena Huber

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Harro Colshorn ist Biogärtner und Präsident des Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e.V. Für ihn ist das Prinzip der Gemeinwohlökonomie ein Weg zur Gerechtigkeit. Denn hier geht es nicht um reine Geldvermehrung sondern um den Beitrag der Wirtschaft zum Gemeinwohl, so wie es in der Bayerischen Verfassung verankert ist.

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Für ihn besteht „eine schreiende Ungerechtigkeit“ in Deutschland darin, dass kleine Unternehmen sauber Steuern zahlen, während weltweit agierende Konzerne das nicht tun.

Gerechtigkeit Harro Colshorn. Foto: Verena Huber

Neun Erdbeeren kann man nicht gerecht an zwei Kinder verteilen. Mit diesem Fakt endete die Lehrerausbildung von Melanie Striebeck und sie wurde Theologin. Damit stellt sich für sie die Frage nach Gerechtigkeit ganz anders. Nicht der Mensch müsse gerecht werden, sondern er müsse vor Gott gerecht sein.

Freiheit und Verantwortung

Auf die berühmte Frage nach der Theodizee gab die Pfarrerin aus Neuhaus die Antwort: „Das ist das Geschenk der Freiheit“, aber damit müsse der Mensch sorgsam umgehen und Verantwortung übernehmen. Ganz praktisch sehe sie es als ihre Aufgabe, Kirchenasyl zu gewähren, wenn sie Flüchtlingen das Recht ermöglichen wolle, hier zu bleiben.

Gerechtigkeit Melanie Striebeck mit Alexander Hagelüken. Foto: Verena Huber

Das Märchen aus 1001 Nacht, das Lydia Starkulla zur Unterbrechung las, erzählt eine ungerecht klingende Begebenheit, die der Weise dann aber auflöst. „Alles, was geschieht, hat einen Sinn“, nur wir erkennen immer nur einen Teil davon.

Ungerechte Pauschalisierung

Pünktlich zur zweiten Runde eilte Bundestagsabgeordneter Alexander Radwan aus Berlin herbei, der auf Antrag der AfD noch am Nachmittag zur aktuellen Stunde Anwesenheitspflicht bei einer namentlichen Abstimmung hatte. Der CSU-Politiker mit halbägyptischer Abstammung sieht als wichtigstes Ziel in der Außenpolitik zur Bekämpfung der Ungerechtigkeit Bildung. Was Vorurteile gegenüber Politkern anbelangt, empfinde er Pauschalisierung als ungerecht.

Gerechtigkeit Alexander Hagelüken mit Alexander Radwan und Thomas Mandl (v.l.). Foto: Verena Huber

Thomas Mandl ist Philosoph und zitierte Aristoteles, für den Gerechtigkeit die höchste Tugend ist. Am Beispiel der Geschichte vom Verlorenen Sohn zeigte der Leiter der Holzkirchner vhs, dass der menschliche Begriff der Gerechtigkeit nicht greife, sondern dass man die Perspektive wechseln müsse.

Mit der bewegenden Geschichte „Die Waage der Baleks“ von Heinrich Böll zeigte Lydia Starkulla Ausbeutung der Armen durch die Reichen. „Fünf Kieselsteine fehlten zur Gerechtigkeit“ schließt die Erzählung, in der die reichen Gutsbesitzer die armen Dorfbewohner mit einer falschen Waage betrügen.

Keine soziale Marktwirtschaft

„Wie gerecht ist Deutschland?“ fragte Alexander Hagelüken seine Gäste. Die real existierende Marktwirtschaft habe nichts mit Gerechtigkeit zu tun, sagte SPD-Kommunalpolitiker Mandl. Er forderte die politischen Rahmenbedingungen zu ändern. Und von sozialer Marktwirtschaft merke man nichts, fügte Melanie Striebeck hinzu. Da es keinen gleichberechtigten Wettbewerb gebe, gebe es auch keinen freien Markt, ergänzte Harro Colshorn.

Gerechtigkeit Alexander Hagelüken im Gespräch mit Alexander Radwan (v.l.). Foto: Verena Huber

Auch Alexander Radwan sprach sich für Regeln und Leitplanken aus, was aber im globalen Kontext schwer zu realisieren sei. Gerechtigkeit müsse hier perspektivisch gesehen werden. Wenn eine Firma seinen Sitz nach Polen verlagere sei das für die Region hier ungerecht, für die Menschen in Polen aber gerecht.

Umverteilung ungerecht

Ob die Umverteilung in Deutschland gerecht sei, war die nächste Frage des Moderators. So lange der Normalsterbliche für seine Arbeit Geld erhalte, aber andere ihr Geld nur über Rendite und Gewinnmaximierung bekommen, sei die Umverteilung ungerecht, konstatierte Colshorn. Eigentum sei in Ordnung, müsse aber dem Gemeinwohl dienen. Er sehe zaghafte Ansätze in der Politik zur Veränderung.

Ungerecht sei auch, wenn die Unternehmen ihr Risiko zugunsten der Aktionäre auf die Mitarbeiter abwälzen, meint Mandl. Globaler Handel bei allen Tücken der Bürokratie habe aber politische Bedeutung, betonte Radwan, denn „Völker, die miteinander handeln, schießen nicht aufeinander“.

Frieden hat oberste Priorität

Die friedliche Welt habe oberste Priorität, sagte der Politiker, unsere derzeitige Entwicklung sei hochbrisant und man müsse den Spagat zwischen humanitärer Flüchtlingspolitik und der Bedürfnisse und Ängste der Bevölkerung in Deutschland schaffen. Dazu bedürfe es einer guten Bildung von klein an, sagte Melanie Striebeck und verwies auf integrative Projekte.

In der lebhaften Publikumsdiskussion wurde deutlich, dass Ungerechtigkeit zu Angst führt, dass die Politik keine Perspektiven aufzeige und letztlich, „solange es Kapitalismus gibt, wird es keine Gerechtigkeit geben“.

Gerechtigkeit Lydia Starkulla bereicherte den Abend mit literarischen Texten. Foto: Verena Huber

Lydia Stakulla fasste ihren Wunsch so zusammen: „Ich möchte nicht, dass die Baleks entscheiden, was gerecht ist.“

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