Bayern, Böhmen, Österreich: der europäische Gedanke
Clemens Coudenhove-Kalergi vor dem Bild seines Urgroßvaters Heinrich mit dessen japanischer Ehefrau. Foto: Petra Kurbjuhn
Thementag in der Kulturbrücke Fratres
Einer besonderen Person und einer besonderen Familie war der vierte diesjährige Thementag der Kulturbrücke Fratres gewidmet. Und er stand ganz im Zeichen von Europa, vereinte er doch Bayern, Böhmen, Österreich.
Das verbindende Glied zwischen Bayern, Böhmen, Österreich war der bayerische Schriftsteller Bernhard Setzwein mit seinem Buch „Der böhmische Samurai“. Der Autor moderierte den Tag im niederösterreichischen Waldviertel.
Bernhard Setzwein, Peter Coreth und Professor Monika Schwärzler-Brodesser (v.l.) bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Petra Kurbjuhn
Er begann mit einer bemerkenswerten Ausstellung eines Künstlers, der sich El Hombre nannte: Hubert Pfaffenbichler. In sein Werk führte Monika Schwärzler-Brodesser ein, eine profunde Kennerin des Œuvre des außergewöhnlichen Avantgardisten, wie Hausherr und Kulturbrückengründer Peter Coreth feststellte.
Hubert Pfaffenbichler: Aus der Serie „Atavismus“. Foto: Petra Kurbjuhn
In Fratres sind drei Werkgruppen des 2008 verstorbenen Künstlers zu sehen. Auffallend sind die „Atavismen“, große schwarze Kugel- und Ovalformen auf weißem Hintergrund. Hier sei der Betrachter aufgefordert sich die Randzonen näher zu betrachten, auf die sich Pfaffenbichler konzentriert habe, erläuterte die Kunsthistorikerin.
Individualität liegt im Randbereich
Er habe sich der Urform zugewandt, von der wir glauben, es sei für uns abgehakt, erledigt. Wir meinen das Charakteristikum einer Form liege im Zentrum, der Künstler aber zeige, dass sich die Individualität im Randbereich befinde, hier trifft man auf Unebenheiten, hier werden sogar Übergänge sichtbar.
Hubert Pfaffenbichler: Aus der Serie „Shapes“. Foto: Petra Kurbjuhn
Monika Schwärzler-Brodesser wies auch auf die von Platon erwähnten Kugelmenschen zurück, die von Zeus getrennt als zwei Hälften existieren und nach Wiedervereinigung streben. „Aber hier gibt es kein happy-end“, meint sie, dennoch sei da der Trost, „wir können uns berühren.“
Bedeutung aus Differenz
Die Strichbilder Hubert Pfaffenbichlers wirken zunächst wie ästhetische Anordnungen, aber die Kunsthistorikerin vertrat die These, dass sie von erkenntnistheoretischem Interesse seien. Der rote Strich wirke auf den blauen und der schiefe Strich auf den geraden, so dass erst aus der Differenz eine Bedeutung entstehe.
Monika Schwärzler-Brodesser erklärt aus der Serie „Porträts“ von Hubert Pfaffenbichler. Foto: Petra Kurbjuhn
Der Höhepunkt des Schaffens von El Hombre sind die Porträts, von denen eins in Fratres zu sehen ist. Der Künstler, der sich völlig von der Kunstszene verabschiedet hatte, malte jeden Tag ein Porträt, immer im gleichen Duktus. Durch dieses mönchische Ritual habe er seine Befindlichkeit festgehalten.
Der Klarinettist Hans Kistler. Foto: Petra Kurbjuhn
Passend zum Werk des Avantgardisten spielte Hans Kistler aus Regensburg, der derzeit an der Deutschen Schule in Prag unterrichtet, auf der Klarinette ein Stück von John Cage. Er begleitete auch den weiteren Verlauf des Nachmittages und hatte jeweils die ergänzenden musikalischen Stücke parat, die er in exzellenter Qualität vortrug.
Clemens Coudenhove-Kalergi. Foto: Petra Kurbjuhn
Mit Clemens Coudenhove-Kalergi war ein Vertreter einer Familie nach Fratres gekommen, die höchst ungewöhnliche, skurille, heitere, aber auch traurige Schicksale geprägt hat. Er präsentierte gemeinsam mit dem Fotografen Hans Beer Fotos, die den Lebensweg der Familie aus Böhmen nachzeichnen.
Lesetipp: Einen Moment, bitte! Oder zwei?
Der Urgroßvater Heinrich war als Gesandter nach Japan gegangen, weit weg vom Vater, denn dieser hatte seine Geliebte in den Selbstmord getrieben. In Japan heiratete er Mitsuko und kehrte mit ihr und sieben Kindern nach dem Tod des Vaters nach Böhmen zurück.
Heimat, Flucht, Suche nach Identität
Das Thema der Familie, so erklärte Clemens Coudenhove-Kalergi, sei immer Heimat, Flucht, Suche nach Identität gewesen. Von den sieben Kindern des Ehepaares verheiratete sich nur sein Großvater Rolf standesgemäß und zeugte wiederum Kinder. Von den anderen Nachkommen las er skurille Geschichten der Beziehungen mit einer Pilotin oder einer Burgschauspielerin vor.
Paneuropa-Union
Richard Coudenhove-Kalergi aber wurde politisch tätig und gründete die Paneuropa-Union und er wandte sich gegen den Antisemitismus. Von ihm stammt nach dem 1. Weltkrieg der Satz: „Wenn es kein Europa geben wird, wird es noch schlimmer.“
Bayern, Böhmen, Österreich: Der bayerische Autor Bernhard Setzwein liest aus seinem Buch „Der böhmische Samurai“ in der österreichischen Kulturbrücke Fratres. Foto: Hannes Reisinger
Der zweite Sohn Hansi aus der böhmisch-japanischen Ehe ist der Hauptprotagonist des Romans „Der böhmische Samurai“ von Bernhard Setzwein. Ein Dandy, Exzentriker war er, ein Salvador Dali Böhmens. In drei Abschnitten ließ der Schriftsteller dessen Leben bildhaft werden. Plastisch beschreibt er die Begegnung mit der Pilotin Lilly Steinschneider, die stolz ihre Prellungen nach einem Absturz im ärmellosen Kleid zur Schau stellt.
Bayern, Böhmen, Österreich
Er skizziert das Desinteresse des „böhmischen Samurai“ an der Politik, aber sein Bruder Richard belehrt ihn: „Die Politik, meine lieber Bruder, wird sich eines Tages für dich interessieren.“ Im November 1938, als Juden bereits der Kennzeichnungspflicht unterliegen, werden Japaner als Ehrenarier von den Nazis gewürdigt und der Samurai als potenter Kerl, der den Eliteburschen der SS entspricht, bezeichnet.
Im Podium: Hans Beer, Bernhard Setzwein, Clemens Caldenhouve-Kalergi und Lenka Ovčáčková. Foto: Hannes Reisinger
Es macht Lust, das Buch zu lesen, das anhand einer Familie Zeitgeschehen lebendig werden lässt und mit dem der europäische Gedanke durch Bayern, Böhmen, Österreich dargestellt wird. Im Podiumsgespräch wird das Thema noch einmal aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, wozu Lenka Ovčáčková Ausschnitte aus ihrem Dokumentarfilm „Tiefe Kontraste“ zeigt.