Kriminalkomödie: „Ersticken scheint mir das Sauberste“
Lord Arthur Savile (Mitte, Nikolaus Ruml) wird das Opfer des betrügerischen Handlesers Mr. Podges (li., Wolfgang Wastlhuber). Barbara von Miller (re.) in der Rolle von Lady Margaret Windermere hört selbst das Gras wachsen. Foto: Barbara Bertram
Theater in Miesbach
Es ist eine verrückte Geschichte: Ein junger Mann aus der englischen High-Society versucht vorsorglich einen Mord zu begehen. Ohne Motiv, ohne Mordgelüste. Nur, weil der Mord ihm von einem betrügerischen Handleser in seiner Lebenslinie vorhergesagt wird. Aber wen soll er töten? Und wie?
Ein Mord ist vor dem Gesetz durch niedrige Beweggründe wie Mordlust, Habgier, Heimtücke oder Befriedigung des Geschlechtstriebs definiert – von alledem ist der naive, beinahe dümmlich wirkende Lord Arthur weit entfernt. Er will einen scheinbar unumgänglichen Mord nur deshalb begehen, um die bevorstehende Hochzeit mit seiner Auserwählten Julia Merton nicht zu gefährden. Mit seinem Butler Baines diskutiert und erörtert er auf einer krotesken, intellektuellen Ebene Mordmethoden und Mordopfer. So entsteht Humor. Ein gefundenes Fressen für die Bühne. Der ideale Stoff einer Kriminalkomödie für die „Junge Bühne Miesbach“ unter der Regie von Regina Weber-Toepel.
Regina Weber-Toepel (Mitte, rotes Gewand) und das Ensemble der Jungen Bühne Miesbach: Die Erzieherin und ausgebildete Theaterlehrerin spielt selbst seit 30 Jahren Theater. Foto: Barbara Bertram
Kriminalkomödie von Oscar Wilde
Die bitterböse, schwarze Kriminalkomödie „Lord Arthur Saviles Verbrechen“ stammt aus der Feder von Oscar Wilde (1854 bis 1900). Das ursprünglich in Prosa verfasste Stück ist ein Seitenhieb gegen die sinnfreie Existenz der dekadenten, teils verarmten englischen Hautvolee des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Kein bekanntes Wilde-Stück. Eher selten gespielt. Aber genau darin liegt für die passionierte Regisseurin und ihrem Ensemble der Reiz: Wilde spielen, aber nicht unbedingt das Erwartbare. Außerdem passt das Personenrepertoire perfekt zu dem 10köpfigen Ensemble.
Ganz Kriminalkomödie
Völlig ungeschickt im Morden: Geheimagent Hunter (re., Michael Probst) bringt beinahe seinen Auftraggeber, Lord Arthur, um. Foto: Barbara Bertram
Um es vorweg zu nehmen: Lord Arthur (kapriziös-hilflos: Nikolaus Ruml) begeht keinen Mord. Handleser Podges (mephistophelisch: Wolfgang Wastlhuber) fliegt als Betrüger auf. Die Hochzeit von Arthur und Sybil Merton (lieblich: Sonja Fischhaber) findet vorerst nicht statt. Und am Ende heiratet der Butler Baines (bravourös: Helmut Enzinger) das hübsche Hausmädchen Nellie (sehr begabt: Sina Wörndl). Ganz Komödie! Verwirrspiele, schwache Helden, starke Bedienstete, viele Höhepunkte und ein Happy End.
Das Figurenarsenal – alles Karikaturen
Lady Julia Merton (li., Ute Bauer) bringt Mr. Podges ins Spiel. Sie misstraut der Biografie ihres zukünftigen Schwiegersohns Lord Arthur. Für ihre Tochter (re., Sonja Fischhaber) steht dabei alles auf dem Spiel. Foto: Barbara Bertram
Regina Weber-Toepel, Gründerin der Jungen Bühne Miesbach, hat Wilde verstanden: Die dekadenten, völlig sinnentleerten Figuren werden im Spiel bis zur Karikatur überzeichnet. Leicht demenziell und fast clownesk Roman Postel als Dekan von Paddington; hysterisch, spielsüchtig, finanziell abgebrannt, quicklebendig Monika Greindl in der Rolle von Lady Clementin Beauchchamp; ausgefuchst, schlau, neugierig Lady Margaret Windermere alias Barbara von Miller.
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Und schließlich die Figur des Hunters (angeberisch: Michael Probst) – eines Mitglieds des amerikanischen Geheimbundes, der eben in 007-Manier die verschiedenen Mordversuche mit zu inszenieren versucht. Dabei scheitert er grandios – trotz seiner mindestens so grandiosen Werbeslogans: „Geht’s um einen Mord, hilft Hunter sofort!“ – alles Blödsinn und hohle Versprechen. Das erkennt schließlich selbst ein Lord Arthur Savile.
Schattenspiel, Film, akustische Effekte – geniale Regieeinfälle garantieren Kurzweiligkeit
Butler Baines (Helmut Enzinger) und Nellie (Sina Wörndl): Der loyale Diener entwickelt sich vom affekt-kontrollierten Freund des Lords zum sehnsuchtsvoll Liebenden. Foto: Barbara Bertram
Oscar Wilde war ein berühmt-berüchtigter Skandalautor, verehrt und verhasst. Einer, der gerne die Grenzen des tolerierbaren guten Geschmacks übertreten hat. ‚Nicht im erwartbaren Rahmen bleiben‘ – das gibt der Regisseurin in gewisser Weise einen Handlungsspielraum für die Inszenierung. Weber-Toepel nützt ihn. Sie wählt verschiedenste Erzählformate, um die Geschichte voranzutreiben. Schattenspiel beim Handlesen, Film in Sherlock-Holmes Manier bei Rückblenden, James Bond Effekte für die versuchten Morde.
Harmonie und doch ein Mord in der Kriminalkomödie?
Brüche in der erzählten Zeit überbrückt Weber-Toepel durch die Einführung der Paperboys (Willy Krause, Simon Toepel), die wie Marktschreier die neuesten Entwicklungen im Hause Savile aus den Gazetten verlesen und zusammenfassen. Angesichts so vieler Extravaganzen will das höchst harmonisch durchgestylte Bühnenbild (farblich angepasst an die Kleidung der Akteure oder andersrum!) gar nicht zum Bühnenstoff passen. Weit gefehlt: So viel Harmonie und doch ein Mord? Gegensätze sorgen eben für Spannung.
Livemusik – ein Markenzeichen der Jungen Bühne
Clara Seegers sorgt mit ihrer Harfe für die musikalische Begleitung des Theaters – professionell und einfühlsam. Foto: Barbara Bertram
Apropos Akustik: Die Livemusik ist ein Markenzeichen der Jungen Bühne und ihrer Regisseurin. An diesem Abend untermalt Clara Seeger das Theaterstück mit ihrer Volksharfe. Richtig gut! Ouverture, Zwischenspiele, Motive, Szenenwechsel – neben der Musikerin lag ein Regiebuch mit den Einsatzstellen. Der Hochzeitsmarsch (Mendelssohn), die Filmmusiken aus „Der Pate“ (für den Auftritt von Lady Julia Merton, temperamentvoll: Ute Bauer), „Der Tatort“, „James Bond 007“ und vieles mehr. Vor, mitten und nach dem Stück sorgte die Musiklehrerin für Stimmung, Pausenfüllung, Orientierung. Eine super Idee. Zumal selbst während des Begleitspiels die Sprechpassagen mühelos zu hören waren.
Übrigens wurde Lord Arthur Savile am Ende des Stückes doch verhaftet. Warum? Dürfen wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verraten. Muss man selbst gesehen haben… .