„Am Berg bist du nackt“
Julia Schultz auf dem Weg zum Nordpol. Foto: Leinwandfoto Petra Kurbjuhn
Dialog in Miesbach
Als 42. Mensch und als erste Deutsche bewältigte Julia Schultz den Explorers Grand Slam, also die sieben höchsten Berge aller Kontinente und die zwei Pole. Im Gespräch mit Michael Pause, Direktor des Tegernseer Bergfilmfestivals erzählte die Allgäuerin, wie es dazu kam.
„Wer tut sich sowas an?“, fragte Michael Pause im Gewölbe des Waitzinger Kellers seinen Gast, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Anders wachsen“ in den Landkreis gekommen war, allerdings war es auch ein Heimkommen, denn Julia Schultz lebte und arbeitete mehrere Jahre im Tegernseer Tal.
Ist es der professionelle Selbstdarsteller oder der geltungsbedürftige Grenzgänger, der sich diese sportlichen Höchstleistungen abfordert? Von all dem ist bei Julia Schultz nichts zu spüren, bei ihr geht es um die Liebe zum Berg, um den Spurwechsel und um Grenzerfahrungen, die ihr Leben bereicherten.
Michael Pause und Julia Schultz im Gespräch. Foto: Petra Kurbjuhn
In dem lebendigen Gespräch ging es zunächst um den Hirschberg. Nein, nicht den unsrigen im Tegernseer Tal, sondern den gleichnamigen Berg im Allgäu, auf den Julia mit ihren Eltern immer wieder wandern musste. Als direkte Plage aber habe sie es nicht empfunden und letztlich war es dieser Hausberg, der ihre Liebe zu den Bergen begründete.
Zunächst aber machte Julia Schultz eine Ausbildung zur Hotelfachfrau und Karriere. Neugier auf Menschen anderer Kulturen und Erlebnishunger aber führten sie zum ersten Spurwechsel, sie begann Schritt für Schritt andere Landschaften zu erkunden. Zunächst allein, dann mit einer Agentur.
„Ich will mehr“
Udo Zehetleitner wurde zu ihrem ersten Bergführer, der das Feuer in ihr anfachte. „Ich war komplett überrascht, dass mich die Höhe so packt“, sprudelte es aus der Extrembergsteigerin heraus. Auf der ersten Reise nach Nepal erwischte sie der Höhenhunger und die pure Freude mit der Erkenntnis: „Ich will mehr.“
Julia Schultz, erste Deutsche, die den Explorers Grand Slam schaffte. Foto: Wolfgang E. Schultz
Auf den nun folgenden Reisen, bei denen sie akribisch Tagebuch führte, entdeckte sie eine neue Julia, eine, die Zeit hat, in sich hineinzuschauen und neue Werte für sich findet. „Am Berg bist du nackt“, sagte sie, alles was im normalen Leben wichtig erscheint, werde unwichtig. Es bleibe nur das Wesentliche übrig.
Der Explorers Grand Slam
Vor knapp 15 Jahren begann für Julia Schultz der echte Alpinismus. Sie erkletterte den Kilimandscharo, den Elbrus, den Ararat. Nach einer Ruhepause, in der sie den Jakobsweg pilgerte, folgten Mont Blanc und der Gran Paradiso.
Der Aconcagua in Argentinien war ein Traumziel, nachdem sie den Berg vom Flugzeug gesehen hatte. Hier fror sie sich dann ein paar Zehen an und musste bei einer nächsten Besteigung im Ladakh im Himalaya abbrechen. Erst 2015 habe sie erstmals von den seven summits und dem Explorers Grand Slam gehört und gedacht: Jetzt habe ich schon drei.
Bergfilmfestivalsdirektor Michael Pause. Foto: Petra Kurbjuhn
Wie geht man mit Niederlagen um? fragte Michael Pause, der Julia Schultz schon einmal zum Internationalen Bergfilmfestival nach Tegernsee eingeladen hatte. Sie habe in einer sternklaren Nacht Tee getrunken und sich gedacht, dass es nicht schlimm sei. Also ein Reifeprozess zur Alpinistin, konstatierte der erfahrene Bergsteiger.
Auf der Carstensz-Pyramide. Foto: Leinwandreproduktion Petra Kurbjuhn
Auch ihr erster Versuch am Mount Everest, bei dem sie bis zum ersten Hochlager gehen wollte, scheiterte am Wetter und an einem Erdbeben. Ihr zweiter indes gelang. Julia Schultz zeigte spektakuläre Fotos vom Anstieg, wie sie am Zelt mit Sauerstoffmaske steht und natürlich ihre Flasche selber auf den Gipfel schleppt. Dort allerdings steht sie in tiefem Nebel und sieht rein gar nichts. Trotzdem, „ein tolles Erlebnis“.
Lesetipp: Schnee, Fels, Wasser
Ein ganz anderes Erlebnis bescherte ihr die Carstenszpyramide, wo sie mit den Eingeborenen andächtig durch den Dschungel mit Machete gehen musste.
Und wiederum ganz anders waren ihre Wanderungen zu den beiden Polen, die sie mit einer Bergfreundin gemeinsam absolvierte. Die Stille, das Weiß des Schnees, all das sei eine mentale Herausforderung und gleichzeitig eine Reise nach innen, berichtete Julia Schultz.
Urgewalten ausgeliefert
Im Eis erlebte sie nicht nur Spuren von Eisbären, sondern echt brenzlige Situationen. Am Nordpol komme es immer wieder zu Bewegungen des Eises, zu Rissen, durch den Klimawandel noch verstärkt, und man fühle sich den Urgewalten ausgeliefert.
Geschafft! Julia Schultz am Südpol. Foto: Leinwandfoto Petra Kurbjuhn
Ob sie Angst verspüre, fragte Michael Pause. Eigentlich nicht, sondern sie befinde sich dann in einer Art Habachtstellung und mache einfach nur konzentriert den nächsten Schritt und achte auf ihr Bauchgefühl.
Explorers Grand Slam war nie das Ziel
Inzwischen hat bei Julia Schultz ein zweiter Spurwechsel stattgefunden, der vom Bergsteigen in den Alltag. „Das ist wie ein Neuntausender“, gesteht sie lachend. Sie habe den Explorers Grand Slam nie als Ziel gehabt, das sei einfach so passiert und nun genieße sie das Zuhause. Und hat ein Buch geschrieben.
„In Ringelsocken auf das Dach der Welt“ wird in den nächsten Monaten erscheinen.