Großes Kino unterm Wendelstein
Filmkomponist Gerd Baumann am Tannerhof. Foto: IW
Konzert in Bayrischzell
Die Ohrwürmer von Filmkomponist Gerd Baumann kennt in Bayern jeder – „Big-a-dog, big-a-bite“ beispielsweise aus Markus H. Rosenmüllers „Wer früher stirbt, ist länger tot“. In diesem Kultfilm strömen seine Songs aus der fiktiven Radiostation am Wendelstein in den Äther. Drum war der Tannerhof der perfekte Ort für das Livekonzert am Donnerstag.
Gerd Baumann hat ein Herzensprojekt verwirklicht und für „Parade“ drei geniale Musiker um sich geschart. Mit ihnen gemeinsam bringt er jetzt seine berühmten Soundtracks aus Filmen wie „Sommer in Orange“, „Beste Zeit“ oder „Trautmann“ live auf die Bühne. Das dritte Konzert in der Reihe führte das Quartett an den Tannerhof nach Bayrischzell. Dass er damit die Songs aus „Wer früher stirbt, ist länger tot“ quasi auf Sichtweite des Drehortes am Wendelstein sang, machte das Ganze umso prickelnder.
Gerd Baumann & Parade: am Schlagzeug Flurin Mück, Benjamin Schäfer am Kontrabass. Foto: IW
Kunstkniff Filmmusik aus dem Radio
Es ist ein genialer Kunstkniff, den der Komponist, Deutscher Filmpreisträger, Musiker bei „Dreiviertelblut“ und Musikprofessor an der Hochschule für Musik und Theater in München gelegentlich anwendet. Die Songs laufen im Film im Radio, werden von den Hauptdarstellern zur Gitarre gesungen, er selbst ist als Musikidol auf dem Plattencover verewigt. Und jetzt singt er all die Filmsongs, an denen sein Herz hängt, live. Die, die wir aus Filmen kennen, und die, von denen er fragt „Kennt ihr den Film XY?“. Wenn das Publikum nickt, sagt er trocken den Kopf schüttelnd: „Für den Film habe ich diesen Song geschrieben, aber die Szene läuft ohne ihn“. Weil er in dem Konzert auch die Lieder aus dem Pool des „unused material“ zum Besten gibt: solche, die dem Regisseur zu kitschig waren oder auch zu wenig kitschig, Songs, an denen sein Herz hängt.
Schaurig schräg und schön: „Big-a-dog, big-a-bite“ – Video mit Sebastian Horn und „Dreiviertelblut“
Gerd Baumanns Filmmusikkompositionen sind schräg, seine Fantasie ist überbordend, skurril und schlichtweg genial. Sein Humor so trocken und hintersinnig wie seine Anmoderation. Im Film verschwindet er zumeist hinter den Soundtracks, die oft im Radio laufen, während sich die Protagonisten unterhalten.
Hey Baby, die Milch
Auf der Bühne überlässt er es ebenfalls dem Publikum, sich auf die Lieder ganz einzulassen. Wirft hie und da nur einen Brocken zur Entstehungsgeschichte ein: Einen Song habe er beispielsweise schreiben wollen, der mit „Hey Baby“ beginnt. Der Text sei ganz einfach. Und schon erleben sich die Konzertgäste, in zwei Gruppen aufgeteilt, ein echt schräges Lied mitsingend. Ein Lied, das mit „Hey Baby“ beginnt, von übergekochter Milch handelt und auf „wir kippen den Topf in den Kübel und malen uns Milch, malen uns Milch (Pause – die ist wichtig!) auf Papier“ endet.
Nicht nur am Piano unterwegs: Sam Hylton. Foto: IW
Die Geschichten drum rum sind ebenso schräg wie die Soundtracks selbst. „Something’s Rising“, „What if“, „Banana Jack“, „Martha“ oder „Disappear“ erhalten ihre volle Wirkung, wenn Gerhard Baumann sie selbst einsingt und dabei von seinen Parade-Musikern begleitet wird. Hat man die Songs im Film so gehört? Nie. Jeder der hoch virtuosen Musiker erhält Raum, seine Soli nach Herzenslust zu entfalten.
Gerd Baumann & Parade
Er hat keine Unbekannten um sich geschart. Weiß man doch, dass der Filmkomponist am liebsten mit guten Freunden arbeitet – eben wie mit Markus H. Rosenmüller oder Sebastian Horn von den Bananafishbones und gemeinsam mit Dreiviertelblut. Bei Parade mit dabei sind deshalb ebenfalls Baumanns Dreiviertelblut-Band-Kollegen: am Schlagzeug Flurin Mück, Benjamin Schäfer am Kontrabass und dazu Sam Hylton am Piano, der am Tannerhof genialerweise zwischen dem Bechsteinflügel und dem Wurlitzer E-Piano pendelt.
Benjamin Schäfer („Dreiviertelblut“) am Kontrabass. Foto: IW
Lesetipp: Gerd Baumann & Markus H. Rosenmüller lesen „Wenn nicht wer du“
Obwohl es erst das dritte Konzert in der Reihe ist, sind die vier bestens eingespielt und harmonieren prächtig, wenn sie sich zwischen Blues, Folk, Country bewegen. Mal groovend, mal ruhig und nachdenklich, aber immer schräg und lässig unterwegs sind. Gerd Baumanns Stimme ist mal weich wie ein fliegender Teppich, auf dem sich die skurrilen Geschichten entfalten, mal kratzig wie die von Tom Waits. Jedenfalls möchte man stundenlang zuhören – und schwups ist ein ganzer langer Abend wie im Fluge vergangen. Man nimmt noch ein paar Ohrwürmer mit ins Bett und ganz gewiss auch den Vorsatz, recht bald einmal wieder den einen oder anderen Rosenmüller-Film anzusehen – und dann noch aufmerksamer auf die Filmmusik zu achten.