Berggeistersagen

Berggeistersagen aus dem Alpenraum

Cover des Buches. Foto: MZ

Buchtipp der Redaktion – Neuerscheinung auf dem Buchmarkt

Kennen Sie die Fanes, Norken, die Sudl oder die Truden? Nein? Dann lassen Sie sich von Karl-Heinz Hummel mitnehmen in die wundersame Welt der Almgeister, Drachen, Elben, Hexen und Irrlichter. „Berggeistersagen von A bis Z“ heißt der fünfte Band seiner Reihe „Sagenumwobenes Bayern“. Und hier hat der Autor wirklich für jeden Buchstaben die passenden Gestalten gefunden und mit schaurig-schönen Geschichten verwoben.

Wie kommt man zu solchen Sagen und Geschichten? Vor über 40 Jahren, so erzählt es der Autor in der Einleitung, war er auf einer Bergwanderung in den Zentralalpen. Er fand Unterschlupf in einer Hütte und traf dort auf ein eigenartiges Wesen, ein Venedigermandl. Dieses übergab ihm ein kartoniertes, handschriftliches Büchlein, in dem alle wichtigen Berggeister der Alpen beschrieben waren.

Sagen aus den bayerisch-tirolerischen Alpen

„Die Almgeister aus dem Tiroler Brixental“ sind die ersten im Bunde. Sie übernehmen nach dem Almabtrieb die Hütten der Älpler, „mustern sorgfältig das vorhandene Inventar, überprüfen, ob alles am rechten Platz liegt“ und überwintern dann in den verlassenen Hütten. So ganz nebenbei erfährt man, warum die Weihnachtszeit für die Almgeister eine harte Zeit ist.

Drachen sind fast überall in der Welt als Fabelwesen bekannt. „Sie können Meere, Inseln und in den Alpen Höhlen, Seen und Klammen bewohnen“. Sie sind als Wappentiere gefragt und verzieren vielfach Regenrinnen oder Wasserspeier an Kirchen. Besonders eindrucksvoll ist die Sage vom Lindwurm, der im Oberland über Laufen in einer Hütte lebte und oft lange schlief. Wenn das Ungetüm aber wach war, wurde es für die Menschen gefährlich.

Berggeistersagen
Der Autor Karl-Heinz Hummel. Foto: privat

E wie Elben. Sie sind bekannt aus Tolkiens Fantasybüchern der Reihe „Herr der Ringe“. In diesen Romanen sind sie unsterblich und überragen die Menschen. Die Elben, von denen Karl-Heinz Hummel berichtet, leben im Berner Oberland und sind eher unauffällig. In der Geschichte von Dietrich aus dem Kanton Freiburg jedoch nimmt sich der Elbe ein bisschen zu viel heraus.

Hexen kennt jedes Kind. „Wie man Hexen sehen kann“ ist auf Seite 63 nachzulesen. Es sei nur kurz verraten, dass man dazu einen Schemel braucht, der „aus neun verschiedenen Holzarten gefertigt sein muss“.

I wie Irrlichter. Sie sind Geister von Verstorbenen und werden wegen böser Taten zu fluoreszierenden Wanderungen gezwungen. Kurz und prägnant dazu die Geschichte vom „Irrlicht von Irschenberg“.

Unsichtbar, steinalt, ambivalent oder ganz einfach Verwandlungskünstler

Tief eingetaucht in die mythische Welt von Wilden und Bösen, von Riesen und Mandln, von Sichtbaren und Unsichtbaren erfährt der Leser viel Wissenswertes über die unterschiedlichsten Sagengestalten. Karl-Heinz Hummel hat intensiv recherchiert und informiert nun unaufdringlich, klar und präzise, mit großem Fachwissen über geheimnisvolle Wesen und über Geschichten, die jahrhundertelang weitergetragen wurden.

Karl-Heinz Hummel
Karl-Heinz Hummel ist nicht nur Autor sondern auch Musiker. Foto: MZ

Die Sage von der „Königstochter Dolasilla“ entführt in das Reich der Fanes. Sie sind unsichtbar und leben in den Dolomiten und im Trentino. Uralte Geschichten sind das aus der Zeit, als die Menschen sesshaft wurden. Dolasilla hat sich mit den Murmeltieren verbündet. Diese schenkten ihr einen weißen Panzer aus Murmeltierpelz, der sie unverwundbar machte.

Die in Tirol beheimateten Norken sind steinalt, hässlich, haben einen dicken Bauch und spindeldürre Beine, machen häufig Unsinn und sind hinterlistig „Den Bäuerinnen legen sie Schlingen auf die Türschwellen, damit sie mit den vollen Schüsseln hinfallen sollen“.

Die Sudl ist ein weiblicher Berggeist mit ambivalentem Charakter, die sich hauptsächlich mit der „Zubereitung von Schmalzgebackenem“ beschäftigt. „Sudl, bring mir a Nudl!“ muss man nur rufen und schon steht wie von Zauberhand eine riesige Schüssel Nudeln auf dem Tisch.

Die Truden sind Verwandlungskünstler. Tagsüber sind sie ganz normale Frauen, in der Nacht steigen sie aus ihren Körpern heraus und setzen sich den Schlafenden auf die Brust.

Lesetipp: Auszeit mit Liebessagen auf dem Hahnhof

„Berggeistersagen von A bis Z“ ist eine wahre Fundgrube von unbekannten, berührenden, bösartigen oder traurigen Geschichten aus dem alpenländischen Raum, die der Autor mit viel Sinn für Dramaturgie und Dramatik gestaltet. Die wissenswerten Hintergrundinformationen über Sagen und Sagengestalten runden das Werk ab.

Berggeistersagen von A bis Z, Karl-Heinz Hummel, Allitera Verlag, München, Oktober 2020, ISBN 978-3-96233-219-8

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf