Das Tal ist voll
Im siebten Quercher geht’s um ein Wunderheilmittel aus der Natur. Foto: IW
Buchtipp der Redaktion
Ein Heilmittel gegen Alzheimer, entdeckt an einem geheimen Ort am Tegernsee. Einer, der die Ursprünglichkeit des Tales schützen will. Andere, die für Geld und Ruhm über Leichen gehen. Und Max Quercher, der die Fäden dieses Albtraumgespinnstes entwirren soll. Quercher Nummer Sieben ist ein brillant verwebter Pharma-Krimi.
Ein turbulentes und zugleich lähmendes Jahr liegt hinter Autor Martin Calsow. Der Krimi Kill Katzelmacher, der nach Ende des zweiten Weltkrieges in München und am Tegernsee spielt, erschien just zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr. Lesungen, Buchmesse – alles abgesagt. Am Ende des Jahres, kurz vorm zweiten Lockdown, erschien nun der siebte Quercher-Band. Und, wie soll es anders sein, Martin Calsow hat die Stimmung dieses merkwürdigen Jahres eingefangen – und springt seiner Zeit schon ein bisschen voraus.
Deutschland hat mittlerweile einen Kanzler aus Nordrhein-Westfalen. Der bayerische Ministerpräsident, der große Auftritte liebt, aber seit Corona vorsichtiger mit den Empfehlungen von Wissenschaftlern und Pharmakologen umgeht, sieht sich vor die Entscheidung gestellt, das Medikament eines ambitionierten Start-Ups zu unterstützen. Es würde dem Freistaat weltweit großes Renommee bringen. Wenn es nicht unschöne Ver- und Entwicklungen gäbe … Deren Anfang und Ende liegen, ganz querchermäßig, im idyllischen Tegernseer Tal. Und das ist eben nur auf den ersten Blick ein Idyll.
Lesetipp: „Quercher und das Jammertal“
Martin Calsow, Journalist und Krimiautor mit ausgeprägter Neugier und feiner Spürnase für brisante Themen, hat wie auch sein unbequemer Held Max Quercher eine Schwäche für Widerständler. Für Menschen, die gegen den Strom schwimmen, die auf ihren Bauch und ihr Herz hören, wenn sie von einer Idee überzeugt sind. Beide lieben es, überrascht zu werden. Und so sind es die allesamt unbequemen Figuren des Romanes, die die Handlung vorantreiben und denen sich die Leser Seite um Seite verbundener fühlen. Mitfiebernd mit allen Fehlern, Schwächen und Makeln. Niemand ist so, wie er zu sein scheint, in jedem Guten steckt auch ein Stück des Bösen und vice versa. Und alles geschieht unter dem Deckmantel des Wohles der Menschheit.
Tegernsee Krimi: Wunderheilmittel aus den Bergen
Denn wer den natürlichen Wirkstoff, der an einem geheimen Ort am Tegernsee entdeckt wurde, als Medikament zur Marktreife bringt, wird zum König Midas der Pharmaindustrie. Die geheimnisvolle Substanz aus der Natur wirkt erstaunlich gegen Alzheimer, kann aber auch, falsch dosiert, die Hölle bedeuten und birgt, sobald sie in den Wasserkreislauf gelangt, unabschätzbare Risiken. Um die Forschung und Entwicklung schnell voranzutreiben, scheint jedoch jedes illegale Mittel recht zu sein. Und kein Wunder, dass alsbald einige Leichen auf dem Weg des geheimnisvollen Wunderheilmittels zur Börse liegen. Pech nur – das Mittel ist nicht reproduzierbar ohne die Grundsubstanz. Die zu finden möchte wiederum jemand verhindern, der mit Leidenschaft „gegen die wirtschaftliche Ausbeutung und Verschandelung, gegen die Konsumierung der Idylle, gegen den Ausverkauf des Tales“ kämpft. Und auch ihm sind alle Mittel recht.
Wasser ist zentrales Element
Zentrales Motiv des rasant erzählten Krimis ist der Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen Stadt und Land. Vor allem geht es um: Wasser. Denn Wasser ist allgegenwärtig im Tegernseer Tal, angefangen von der Trinkwasserqualität des Sees bis hin zu den unzähligen Quellen in den Bergen. Wenn Martin Calsow für seine spannenden Krimis recherchiert und den Plot entwickelt, steigt er aufs Rad und fährt die Gegend ab. Schwingt sich auf die Orte ein – rings um den Tegernsee, im ganzen Landkreis. Immer wieder zieht es ihn nach Kreuth, dorthin, „wo das Tegernseer Tal noch am ursprünglichsten ist“. Markante Plätze der Region werden ortskundige Leser freudig wiederentdecken, Geheimplätze werden nicht preisgegeben, dafür gibt er sich ein bisschen legerer, wenn es um Namen und Personen geht. Da kommt ihm die Lust am Unernsten durch, das „wurstige“, das auch dem Querulanten Quercher zu eigen ist.
In Kreuth ist die Natur im Tal noch am ursprünglichsten. Foto: IW
Den Autor dürfte es hin- und hergerissen haben bei der Sympathie mit seinen Figuren. Nach dem Motto „kill your darlings“ bekommen am Ende alle Blessuren, wenn sie nicht zuvor schon den Schauplatz verlassen haben. Dazwischen menschelt es wieder spritzig – nicht nur zwischen dem Helden, seiner schwerreichen Exfreundin Regina von Valepp und Arzu, seiner unverzichtbaren Partnerin beim Lösen der Fälle. Max Quercher braucht die Inspiration beider, ebenso wie er seine beiden Hunde braucht, Otto und Trudl, die seiner unbedingten Liebe sicherer sein können als die Damenwelt. Quercher ist und bleibt eben ein liebenswerter Gratler und Waldschrat.
Der neue Tegernsee Krimi von Martin Calsow. Foto: grafit Verlag
Etwas anderes wird ebenfalls deutlich: Mit jedem Band der Reihe spricht die Ehrfurcht des Autors vor der ursprünglichen Natur seiner Wahlheimat eine stärkere und immer poetischere Sprache. Kein Wunder, dass die Botschaft: „Das Tal ist voll, geht und kommt nicht wieder“ einen Platz erhält – eine strittige Haltung, die gerade zu Zeiten des Lockdowns immer wieder aufkocht.