Notbremse

Notbremse und Lockdown – Reaktionen aus der Kultur

Einladung zur Demo: Künstler kämpfen weiter.

Stimmen aus der Kulturszene

Seit kurzem ist die sogenannte Notbremse des Bundes in Kraft. Viele Künstlerinnen und Künstler stecken jetzt seit über einem Jahr in existentieller Not und haben Klage eingereicht. Zudem laden sie zur Demo am 13. Mai ein. Statt den soeben versprochenen Lockerungen ist Absicherung unabhängig von schwankenden Inzidenzwerten nötig.

Seit Mitte März 2020 sind Konzerträume, Theater, Museen, Galerien, Clubs, Kinos mehr oder weniger durchgehend geschlossen. Zwischenöffnungen waren nach wenigen Wochen bereits wieder obsolet. Bis vorerst 9. Mai gelten bei einem Inzidenzwert über 100 die nächtliche Ausgangssperre sowie ein Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen. Kultureinrichtungen bleiben geschlossen, Singen und Musikunterricht sind ebenfalls untersagt. Die gesamte Kulturbranche liegt darnieder, und das betrifft existentiell nicht nur Künstlerinnen und Künstler, sondern auch die Menschen, die ebenfalls dort beschäftigt sind, wie Licht-,Ton- und Veranstaltungstechnikerinnen, Buchungsagenturen, Veranstalter, Kunstvermittlerinnen, die Leute aus der Öffentlichkeitsarbeit, das Kassen- und Wachpersonal und viele damit einhergehenden Arbeitsstellen mehr.

Keine Perspektive wegen Notbremse

Der Verband der Münchener Kulturveranstalter e.V. (VDMK) gibt mit der Aktion „Ohne uns ist’s still“ den Menschen ein Gesicht. „Derzeit bangen wir um den Erhalt der kulturellen Vielfalt, die München wesentlich kennzeichnet und die Existenz zahlreicher Kulturbetriebe, die seit Monaten ohne Einnahmen sind und keinerlei Perspektive für eine Rückkehr zum Normalbetrieb haben“, so David Süß, Vorstandsmitglied im VDMK.

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Ohne uns ist’s still.

Auch der Waitzinger Keller in Miesbach bleibt für Bühnenkünstler geschlossen. Im Saal, eigentlich mit über 480 Plätzen bestuhlt, können sich jetzt maximal 130 Personen aufhalten. Hier tagt der Stadtrat, verschiedene Ausschüsse oder es werden Prüfungen, beispielsweise von der IHK oder der Altenpflegeschule, durchgeführt. Ab Herbst rechnet die Leiterin Isabella Krobisch wieder mit regelmäßigem Aufführungsbetrieb. „Die Künstler sind erstaunlich geduldig,“ berichtet sie. „Viele Auftritte wurden jetzt schon bis zu vier Mal verschoben.“

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Das Kulturzentrum Waitzinger Keller in Miesbach hat geschlossen. Foto: KN

Live-Musik ist nicht ersetzbar!

Der Geiger Ferenc Kölcze beschreibt eindringlich die Situation: „Ich … kenne hochklassige Musikerinnen, die inzwischen als Putzkraft oder als Verkäufer im Backshop arbeiten müssen, um ihre Kinder zu ernähren. Live-Musik ist nicht ersetzbar! Neue Normalität bedeutet im Kern nichts anderes als Digitalisierung und Distanz und steht somit dem Wesen der Musik diametral entgegen. Sie trifft den Beruf – die Berufung – des Musikers ins Mark.“ Aber nicht nur das Spielen vor realen Publikum ist Kern des Musikerdaseins, auch der Nachwuchs fällt weg. „Zigtausende Kinder werden mangels Motivation und Förderung durch Jugendorchester oder Kinderchöre den Einstieg in die Welt des aktiven Musizierens verpassen und sich an das tägliche Daddeln am Bildschirm gewöhnt haben, so wie ihre Eltern an das Zuhause-bleiben und Netflix-gucken. Hunderte von Laienorchestern und -chören wird es dann nicht mehr geben. Ein Staat, welcher sich bei offiziellen Gelegenheiten gerne als Kulturnation inszeniert und in dem die Kunst – explizit in Bayern – Verfassungsrang hat, darf die Künstler in der Krise nicht einfach vergessen.“

Demonstrationen für die Kultur

Da Kulturveranstaltungen verboten sind, organisieren kreative Köpfe Demonstration, um auf die Misere hinzuweisen. So wurde im letzten Jahr zwölfmal Mozarts Requiem am Münchner Odeonsplatz aufgeführt, mit dem Status einer Demonstration. Die Dirigentin Andrea Fessmann sammelte dabei Spenden für freischaffende Musiker. Geld wird auch für Rechtsbeistand und Medienarbeit benötigt. Manche Künstlerinnen verzichteten freiwillig. Ihnen ging es vor allem darum, auf die Situation aufmerksam zu machen. „Seit Mitte März ist die Live-Musik verstummt…Konzerte bleiben ausgesetzt oder sind nur in ganz kleinem Rahmen möglich, der weder die Unkosten deckt, noch künstlerisch zufriedenstellt und auch den freien Musikern das Überleben nicht sichert. Wir brauchen in der öffentlichen Meinung eine größere Wertigkeit in der Kultur, der Musik in unserem Fall. Die Förderung der Wirtschaft und die Förderung der Kultur stehen in keinem Verhältnis…“

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Mozarts Requiem.

Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof

Wegen der fehlenden Perspektive und aus Kritik an dem pauschalen Konzert- und Aufführungsverbot haben Ende März 2021 die Initiatoren der Initiative „Aufstehen für die Kunst“ einen Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Stellvertretend für zahlreiche Kulturschaffende, vor allem der großen Institutionen, unterzeichnen der Dirigent und Organist Hansjörg Albrecht und die Sänger Kevin Conners, Christian Gerhaher und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke. Die Antragsteller sind überzeugt, dass „die aktuelle Verordnung gegen die in Artikel 5 Grundgesetz vorbehaltlos garantierte Kunstfreiheit verstößt…“ Vor allem verweisen sie auf die wissenschaftlich nachgewiesenen Schutzmaßnahmen in den Häusern, die das Risiko einer Infektionsübertragung extrem gering halten. „Darum muss diese Situation juristisch geklärt werden, da politisch kein ausreichender Wille erkennbar ist, die Kunstfreiheit der darstellenden Künste wieder in ihr Recht zu setzen…“.
Nach dem ersten Scheitern haben die Künstler am 29.4.2021 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Lesetipp: Aufstehen für Kultur

Differenzierte Öffnungsstrategien jenseits von Inzidenzwerten

Durchaus umsetzbar sehen Kulturveranstalter die Möglichkeit von Teststrategien, wie sie in Tübingen gerade erprobt werden. Sie appellieren gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaft an die Politik, „umgehend eine Teststrategie für München zu realisieren, die ermöglicht, kontrolliert sowohl an Aktivitäten im öffentlichen Raum (Gastronomie, Open-Air) wie auch in Theatern, Konzertsälen und Kinos teilzunehmen und damit erneute Komplettschließungen zu verhindern.“ In einem offenen Brief an führende Münchner Politiker, aber auch an den Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder, den Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Bernd Sibler und an Mitglieder des Landtags fordern über 100 Unterzeichner, darunter Kulturschaffende, Hotellerie, Gastronomie sowie Tourismusverbände, differenzierte Öffnungsstrategien jenseits von Inzidenzwerten. Sie verweisen ebenfalls auf wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, das mit gezielten Test-und Hygienestrategien kulturelles Leben sicher stattfinden kann. Es muss nur auch von der Politik ermöglicht werden.

Kontrollierte Öffnungen statt Notbremse

Der Ruf nach kontrollierten Öffnungen wird aktuell dringlicher. Schließlich unterzeichnen die Betroffenen nicht nur als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Branche, sondern auch als Bürgerinnen und Bürger, die wählen, die die Einschränkungen täglich in ihrem Alltag meistern und die schlussendlich auch die anfallende Steuerlast mit tragen. Da aktuell die Inzindenzwerte sinken, verspricht die Staatsregierung Öffnungsperspektiven für Kultureinrichtungen sowie Sonderregelungen für vollständig Geimpfte und negativ Getestete. Langfristig fordern die Kulturveranstalter allerdings die Absicherung unabhängig von schwankenden Inzidenzwerten.

Neben den Forderungen an die Politik zeigen so manche Kulturschaffende auch Solidarität und Eigeninitiative. Davon zeugen der Verein Kleinkunstwerk oder das Angebot von Ramon Bessel.

Wer etwas für die Kulturschaffenden im Landkreis Miesbach tun will, ist eingeladen, seinen Solidaritätsbeitrag für kreative Kulturinitiativen zu spenden. Spendenkonto bei KulturVision e.V. DE58 7016 9410 0002 9820 64, Kennwort: Solikulturspende.

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