Wir Schwarzen müssen zusammenhalten

„Strauß ist ein Politikertypus, der wieder total in Mode kommt”

Franz Josef Strauß in „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“. Foto: Thomas Aurin/Münchner Kammerspiele

NACHGEFRAGT bei Jan-Christoph Gockel, Regisseur, Interview von Christian Selbherr

Wie weit reichen die Schatten der Vergangenheit? Und wie lässt sich das auf einer Theaterbühne zeigen? An den Münchner Kammerspielen gibt es derzeit ein deutsch-togoisches Kulturprojekt, das tief eintaucht in die schillernde Beziehung zwischen München und Lomé. „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“, sagte schon Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Der tritt auch auf – als Marionette.

„Wir Schwarzen müssen zusammenhalten”: Der Titel Ihres Stücks könnte ein Zitat von Gerhard Polt sein.
Haha! Das ist natürlich super. Polt hat es schon geschafft, dass man denkt: Strauß-Zitate wären von ihm! Das zeigt ja, wie sehr Strauß seine eigene Parodie ist.

In Wahrheit stammt der Satz vom ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der sich gut verstand mit Togos Machthaber Eyadéma.
Unser Projekt versucht, zwei Länder oder zwei Orte: München – Lomé beziehungsweise Bayern – Togo ins Verhältnis zu setzen. Es gibt einen historischen Blick: Die deutsche Kolonialgeschichte in Togo, aber auch die Nachkriegsgeschichte, mit diesen unglaublichen, ja absurden bajuwarischen Spezeleien in Lomé. Daher wollen wir dieser Spezelei eine ERWIDERUNG entgegensetzen.

Dabei kombinieren Sie Szenen auf der Bühne mit Filmmaterial, das Sie vor Ort in Togo gedreht haben.
Wir haben sozusagen den Strauß-Geist in Lomé gejagt – welche politischen Verbindungen gab es auf internationaler Ebene? Welche Sachen wurden auf dem Tisch und welche wurden unter dem Tisch verhandelt? Das war ja bei Strauß und Eyadéma eine ganz wichtige Frage. Was sollten diese ganzen Deals? Da gehen wir schon relativ stark ins Detail.

Zum Beispiel?
Martin Weigel spielt den Rosenheimer Würstchen-Unternehmer Josef März. Seine „Marox GmbH“ war mal ein Weltkonzern. Die Firma hatte unter diesem Strauß-Spezlschirm ein Riesenimperium nach Lomé gebracht. Auf dem „Grand Marché“ gibt es ein total verfallenes Gebäude. Wir haben es nach einigem Suchen gefunden. Die hatten dort eine Riesenmetzgerei, den größten Supermarkt in Lomé, eine Schweine- und Rinderfarm im Norden. Und Marox hat das „EKU“ nach Lomé gebracht, dieses berühmte Bier, das bis heute überall in Togo getrunken wird, die „Erste Kulmbacher Aktienbrauerei“. Dieses Geflecht ist einfach total interessant, denn „Amigos“ und „Spezl“ sind auch 2021 noch sehr präsent …

Das könnte man ja als Fußnote der bayerischen Geschichte abtun.
Man darf Strauß auf keinen Fall zu einer Witzfigur machen. Es ist eigentlich in Politikertypus, der wieder total in Mode kommt: „Der Typ, der es regelt“. Er folgt aber keinen demokratischen Regeln oder irgendeiner demokratischen Legitimation. Dass der damals zu Eyadéma gefahren ist – er war ja nicht Kanzler oder Außenminister, sondern nur Ministerpräsident von einem Bundesland. Er hat aber einem Diktator auf die internationale Bühne verholfen, dessen Sohn heute immer noch in Togo an der Macht ist. Dieses Gebaren spiegelt sich für mich total in den Attitüden von Viktor Orban bis Donald Trump.

Wir Schwarzen müssen zusammenhalten
Regisseur Jan-Christoph Gockel Foto: Paul Hutchinson

Franz Josef Strauß wird nach wie vor sehr verehrt.
In Lomé kennen ihn natürlich nicht mehr viele Leute, vielleicht einige Ältere. Der Puppenbauer Michael Pietsch hat eine Strauß-Marionette gebaut, die im Stück auftritt. Als Pietsch mit der Puppe durch Lomé ging, wurden wir mehrfach gefragt, ob das Donald Trump sei. In München sind wir gespannt, wie unser Publikum auf die Strauß-Marionette reagiert. Zunächst kann man den Abend „nur“ digital und live erleben, sobald wieder Menschen ins Theater dürfen, auch im Werkraum der Münchner Kammerspiele. Das Spannende am „digitalen Theater“ wird bei dieser Produktion, dass wir mit einer Schauspielerin in Lomé live gemeinsam auf der Bühne stehen, und dass nicht nur Menschen, die physisch in München sind, die Produktion sehen können.

Im Stück gibt es aber noch weitere interessante Figuren.
Das ganze Stück ist so eine Art postkoloniale Geisterjagd. Die Hauptfigur wird gespielt von Nancy Mensah-Offei und heißt Cycy. Sie verfolgt koloniale und neokoloniale Geister, die noch an vielen Orten und in vielen Köpfen herumspuken.

Sie trägt ein spektakuläres Kostüm, sieht aus wie eine „Afronautin”.
Wir haben uns zusammen mit einer togoischen Designerin mit dem so genannten „Afro-Futurismus“ beschäftigt – eine philosophische Richtung, die Zukunftstechnologien mit afrikanischen Traditionen und künstlerischen Formen verbindet. Nancy spielt eine Geisterjägerin. Sie landet zu Beginn des Stückes in der Funkstation Kamina und trifft einen Funker, gespielt von Komi Togbonou. Kamina war 1914 die größte und leistungsfähigste Funkstation der Welt, errichtet vom Deutschen Kaiserreich. Sie war mit dem Ziel gebaut worden, Deutschland, das Mutterland, mit den Kolonien zu verbinden und einen imperialen Funkverkehr zu errichten. Diese Funkstation ist also das Setting, in das diese ganzen Geister dann hineinfunken.

Wir Schwarzen müssen zusammenhalten
Nandy Mensah-Offei geht als Cycy auf Geisterjagd. Foto: Thomas Aurin

Wie gefährlich war es, sich mit dem Regime in Togo zu beschäftigen?
Wir beschäftigen uns ja mit einer Geschichte, die lange vorbei ist, mit Strauß und dieser Marox-Geschichte aus den 80er-Jahren. Wenn man das auf der Bühne sieht, wird allerdings schnell klar, dass diese Strukturen noch lange nicht „vorbei“ sind. Es geht uns um wiederkehrende Strukturen. Strauß verklärt deutsche Kolonialherrschaft zu „deutsch-togoischer Freundschaft“. Das Klischee, dass die deutsche Kolonialgeschichte nur eine Fußnote war, herrscht immer noch vor. In Deutschland auf jeden Fall, und tatsächlich findet man diese Haltung auch in Togo.

Bemerkenswert, dass Sie dort arbeiten und das Projekt mit einem internationalen Ensemble verwirklichen konnten.
Internationales Arbeiten während der Pandemie ist ein unglaubliches Privileg. Internationale Kulturprojekte waren die ersten, die weggefallen sind, und werden auch die letzten sein, die wiederkommen – oder sie kommen gar nicht wieder. Ich möchte diese Corona-Wagenburg-Mentalität auch kulturell wieder durchbrechen. Wir müssen uns mit der „Welt“ beschäftigen und nicht nur mit der Frage: Kommt die Impfung jetzt heute oder morgen? Da hatten wir intensive Gespräche in Togo. Corona ist dort nur ein Thema von vielen. Diesen Blick dorthin zu richten, war ja schon vorher nicht so leicht. Durch Corona hat es sich noch einmal verschärft, dass sich alles um die eigenen vier Wände und um die Probleme, die in unserem eigenen Gesichtsfeld liegen, dreht. Die Welt hat aber nicht aufgehört, auch wenn wir hier im Lockdown sind!

Zur Person: Nicht zum ersten Mal hat Jan-Christoph Gockel ein afrikanisches Thema für eine Theaterarbeit gewählt. Er beschäftigte sich auch schon mit Burkina Faso („Die Revolution frisst ihre Kinder”) und mit dem Schicksal von Minenarbeitern und Kindersoldaten im Kongo („Coltan Fieber”). „Der siebte Kontinent” handelte vom Plastikmüll auf den Weltmeeren. Oft arbeitet der Regisseur mit Theaterleuten aus den jeweiligen Ländern zusammen. Auch die Figuren des Puppenbauers Michael Pietsch geben den Stücken einen ganz eigenen Charakter. Am 20. März 2021 hatte „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten – Eine Erwiderung“ Premiere an den Münchner Kammerspielen. Die nächsten Termine: 21. und 22. Mai, jeweils von 21 Uhr bis 22.40 Uhr. Die Aufführungen finden im Werkraum statt und werden per Live-Stream übertragen. Am 22. Mai gibt es zudem im Anschluss ein Publikumsgespräch mit beteiligten Künstlerinnen und Künstlern. Mehr zum Stück und Ticketverkauf erfahren Sie auf den Seiten der Münchner Kammerspiele

Das Nachgefragt-Interview zum Stück „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“ ist dem missio Magazin 03/21 entnommen. Interessieren Sie sich für die deutsche Kolonialzeit in Togo? missio-magazin-Redakteur Christian Selbherr hat sich mit Fotograf Jörg Böthling auf eine Spurensuche in der Hauptstadt Lomé begeben. Mehr dazu erfahren Sie in der Reportage „Fest Verankert: Auf deutschen Spuren in Togo“.

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