Denkmal Weinberg

Deutschstunde auf dem Weinberg

Sankt-Georgs-Kapelle auf dem Weinberg. Foto: Hannah Miska

Aufarbeitung der Geschichte in Schliersee

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um eine Gedenktafel ist in einer zivilgesellschaftlichen Anstrengung Schlierseer Geschichte aufgearbeitet worden und ein neuer Ort der Erinnerung auf dem Weinberg entstanden.

Mit ihren 3,8 Tonnen ist sie ein Schwergewicht: Die weiße, leicht gekrümmte Steinwand auf dem Weinberg, aus 27 einzelnen Steinquadern geformt. Doch nicht nur die Steine der ästhetisch sehr gelungenen Steinwand wiegen schwer – auch das Erbe der Vergangenheit sowie die zurückliegenden Jahre des Protestes, der Konflikte und der Auseinandersetzungen in der Markt- und Pfarrgemeinde Schliersee. Stein des Anstoßes war eine in die Mauer der St.-Georgs-Kapelle eingelassene Gedenktafel zur Erinnerung an „52 im Freiheitskampf um Oberschlesien anno 1921 gefallene Kameraden“ des Freicorps Oberland.

Geschichte Schliersee
Das neue Denkmal auf dem Weinberg. Foto: Hannah Miska

Falsche Helden

Die Geschichte der Tafel geht fast einhundert Jahre zurück. Im September 1923 wurde erstmals ein Denkmal – ein Steinblock mit einem auf ihm liegenden Stahlhelm – auf dem Weinberg zur Erinnerung an die gefallenen Kameraden des Freicorps enthüllt. Illustrer Gast bei der von einem katholischen Gottesdienst begleiteten Zeremonie war unter anderem der spätere Reichsmarschall Hermann Göring; die Rede hielt ein gewisser General Ludendorff, der sich nur wenige Wochen später am Hitler-Putsch beteiligen sollte. Initiator des Denkmals war der aus dem inzwischen verbotenen Freicorps Oberland hervorgegangene Bund Oberland – eine gewaltbereite Organisation mit völkisch-antisemitischer Gesinnung und nationalsozialistischen Verstrickungen. Auch die stellte am 9. November ein Kontingent beim Hitler-Ludendorff-Putsch in München.

Von Stund an gab es Oberland-Feiern auf dem Weinberg, die an den vermeintlich glorreichen Sieg des Freicorps beim Sturm auf den Annaberg in Oberschlesien erinnerten, sehr bald aber auch zur Selbstinszenierung der Nationalsozialisten dienten. Abordnungen von SA und SS kamen regelmäßig zu Besuch und 1927 gab sich Adolf Hitler höchstpersönlich die Ehre.

Verirrte Traditionspflege

Die Amerikaner machten dem Spuk 1945 ein Ende, das Denkmal wurde abgerissen. Doch gab es Menschen, die sich damit nicht abfinden wollten. Bereits 1956 prangte statt des abgerissenen Denkmals die heute so umstrittene Tafel in der Mauer der Kirche – geweiht vom Pfarrer, der noch bis zu seinem Tod im Jahr 1997 jedes Jahr eine Festmesse zum Gedenken an die Oberland-Kämpfer hielt. Bereits in den achtziger Jahren und zunehmend in den Neunzigern mischten sich nun rechtsradikale Gruppen aus ganz Deutschland unter die Besucher, unter ihnen Eleonore Baur alias „Schwester Pia“, die sich als SS-Oberführerin an Unterkühlungsexperimenten im KZ Dachau beteiligt hatte, ebenso die der Ideologie ihres Vaters treu gebliebene Himmler-Tochter Gudrun Burwitz.

Geschichte Schliersee
Protestaktion auf dem Weinberg. Foto: Privat

Doch erst nach einer Protestaktion des „Bündnis gegen rechtsextreme Umtriebe im Oberland“ im Jahr 2007 (unter anderem mit der SPD Schliersee und Hausham, den Grünen/Bündnis 90 Miesbach sowie dem IG Metall Bildungszentrum Schliersee) und nach etlichen kritischen Pressestimmen wachte der Gemeinderat auf und distanzierte sich von den unter der Reichsflagge abgehaltenen „Feldmessen“ auf dem Weinberg. Eine inhaltliche Debatte jedoch um das Denkmal und um das Freicorps Oberland fand nicht statt.

Weinberg: Protest und Neubeginn

Das Bündnis gegen Rechts mochte sich nicht damit abfinden, dass die Geschichte nicht aufgearbeitet wird und die Gedenktafel unkommentiert an der Kirchenwand bleibt: Die Proteste gingen weiter. Es dauerte lange, bis die Kirche einlenkte: 2016 beauftragte das Erzbischöfliche Ordinariat München den Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks im Landkreis Miesbach, Dr. Wolfgang Foit, damit, eine Lösung zu finden.

Geschichte Schliersee
Dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist. Foto: Hannah Miska

Foit beschloss, dass es nur gemeinsam geht, gemeinsam mit den Schlierseern, dem Gemeinderat, dem Pfarrgemeinderat — und, ja, mit Werner Hartl, dem damaligen Leiter des IG Metall Bildungszentrums in Schliersee und dem Sprecher des Bündnis gegen Rechts. Foit initiierte einen mehrschichtigen Prozess: Er gestaltete mehrere Informationsabende mit Fachvorträgen von kompetenten Referenten und Historikern für die Öffentlichkeit, bat die Bevölkerung um die Einsendung von Lösungen, die in einem moderierten Workshop diskutiert wurden, und er bildete ein Entscheidungsgremium aus gewählten Vertretern von Gemeinde und Pfarrei. Der gesamte Prozess wurde begleitet vom Institut für Zeitgeschichte.

Die Früchte des Zorns – der Ort der Erinnerung

Vor einer Woche nun, am 16. Juli, wurde der Öffentlichkeit — unter Anwesenheit von etwa dreißig Schlierseer Bürgern, Vertretern der Gemeinde und Kirche, ehrenamtlichen Mitarbeitern des Projekts sowie des Künstlers Erwin Wiegerling — das Ergebnis präsentiert: der „Ort der Erinnerung“ auf dem Weinberg. Die Worte von Franz von Assisi, die man auf der Vorderseite der sanft gebogenen Installations-Wand liest, sind weise gewählt. Auf der Rückseite ist die aus der Kapellenwand herausgelöste alte Gedenktafel angebracht – flankiert von vier Metalltafeln mit zeitgeschichtlichen Erläuterungen des Instituts für Zeitgeschichte.

Geschichte Schliersee
Alte Gedenktafel – historisch eingeordnet. Foto: Hannah Miska

Durch alle Reden der Festredner zog sich ein roter Faden: Wie wichtig es doch sei, die Vergangenheit nicht unter den Teppich zu kehren, sondern sich mit ihr — als wichtiges Fundament für die Zukunft — auseinanderzusetzen. Und noch etwas wurde — unisono — gelobt: Die Tatsache, dass Schliersee — anstatt die Tafel einfach abzuhängen— den anstrengenden Weg des Diskurses und damit einen neuen Geschichtszugang für die Erinnerung gewählt hat. Dass der jahrelange Prozess nicht immer einfach und ohne Konfrontationen ablief, deutete Werner Hartl in seiner Rede als Vertreter derjenigen an, die vor 15 Jahren den Finger in die Wunde gelegt haben und ohne die es wohl kaum ein Umdenken gegeben hätte.

Die Aufarbeitung geht übrigens weiter: Die Projektgruppe plant, ein pädagogisches Programm für Schüler und andere Besuchergruppen zu entwickeln, und wird darüber hinaus die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem so wichtigen Aufarbeitungsprojekt dokumentieren und publizieren.
Statt des Oberland-Gedenkens auf dem Weinberg, in dem an eine blutige Schlacht erinnert wird, soll nun am 21. Mai jeden Jahres eine Friedensandacht dort stattfinden. Den Weinberg kann man freilich auch an allen anderen Tagen des Jahres besuchen. Es lohnt sich – inzwischen nicht nur wegen der schönen Aussicht.

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