Raunachtsagen Teil 2

Illustration von Bernd Wiedemann. Foto: Allitera-Verlag

Raunachtsagen Teil 2

Im zweiten Teil der Raunachtsagen, die wir am Ende der Raunächte, also am heutigen 6. Januar bringen, gibt es sprechende Ochsen, die Wilde Jagd fliegt durch die Lüfte und Frau Percht zieht mit den ungetauft verstorbenen Kindern durch die Lande. Vor wem hält man sich in der Raunacht besser versteckt und wem kann man trauen?

2. Raunacht: Christnacht

Heilig Abend ist die zweite Raunacht. Kein Hämmern und Sägen ist erlaubt, damit „das Christkindl nicht aufwacht“. In dieser Nacht soll das Vieh im Stall zu reden anfangen und künftige Ereignisse vorhersagen:

Bauer und die Bäuerin blieben von der Mette daheim. Der Bauer war neugierig, darum schlich er hinaus in den Stall und legte sich unter den Futterbarren. Da hörte er, wie um Mitternacht ein Ochse sagte: „Im Sommer wird sich unser Bauer beim Krautessen erwürgen.“ Der zweite Ochse fügte bei: „Und wir zwei werden ihn zum Friedhof ziehn!“

Illustration von Bernd Wiedemann. Foto: Allitera-Verlag

Erschrocken über die Vorhersage ging der Bauer in die Stube und erzählte es der Bäuerin. Er musste ihr versprechen, nie mehr einen Löffel Kraut zu essen. Im Sommer darauf aber vergaß er das Versprechen, schon beim ersten Löffel Kraut verschluckte er sich und erstickte. Als die beiden Ochsen den schweren Wagen mit dem Sarg darauf zum Gottesacker zogen, da nickten sie sich bestätigend zu.

Die Tage galten als religiöse Feiertage, Vergnügungen aller Art sollten nicht stattfinden.

Das tanzende Gräucherte

Eine Bäuerin hielt mit ihrem jungen Ehemann in der guten Stube einen Tanz, obwohl es Christnacht war. Plötzlich schwebte zur Tür ein Rankerl Gräuchertes herein und vom Fenster her erschien ein Totenkopf. Das Gräucherte und der Totenkopf begannen ebenfalls miteinander zu tanzen. Immer mehr Totenköpfe und Gräuchertes tanzten in der Stube und die junge Bäuerin brachte sie nicht hinaus. Erst als die Mette vorüber war, verschwanden sie . Die junge Bäuerin soll durch das Erlebnis eine ganz strenge Veganerin geworden sein.

Man stellte volle Garben auf das Feld, um den Vögeln von der Weihnachtsfreude mitzuteilen.

Eine milde Ga(r)be Foto: Pixabay

3. Raunacht: Silvester

Die dritte Rauhnacht ist die Silvesternacht. Es durfte keine weiße Wäsche aufgehängt werden, weil sich sonst die Wilde Jagd das Leinen holt und es als Totenhemd im nächsten Jahr wiederbringt. Die Wilde Jagd zog schreiend, miauend, bellend, schießend und brüllend durch die Nacht. Wilde Jäger und Tiere flogen durch die Lüfte. Sie waren aber nicht sichtbar, äußerten sich nur als eine Kakophonie von Klängen, Geräuschen, sozusagen ein Soundereignis. Die Wilde Jagd symbolisiert die Auseinandersetzung zwischen der vor- und christlichen Religionen. Während die Wilde Jagd ihre nordisch germanisch kriegerische Herkunft nicht verleugnen kann, verhält sich das Nachtvolk, das z.B. in Voralberg erscheint, viel unterhaltsamer, feierfreudiger, musikalischer und vor allem nachhaltiger:

Das Nachtvolk verschmauset eine Kuh.

In ein Haus auf dem vorderen Boden im Walsertal kam einmal in einer Raunacht das Nachtvolk. Es war niemand zu Hause als die „Gogen“, das sind die Kinder des Bauern, die dort allein „gämmten“, also spielten. Das Nachtvolk machte es sich allsogleich bequem, holte die schönste Kuh vom Stall herein und fing an, diese zu schlachten und ihr die Haut abzuziehen. Weiters machten sie dann viel Geschäft, begannen zu sieden und zu braten und verzehrten das zubereitete Rind „unter Tanzen und Springen, Singen und Jauchzen und unter dem angenehmsten Trommel- und Saitengespiel.“

Raunachttanz. Foto:Pixabay

Das Nachtvolk gab auch den Kindern gar reichlich zu essen, verbot ihnen aber, „ein Bein (Knochen) zu zernagen oder gar zu verlieren.“ Der Kleinste aber versteckte ein Knöchelchen in seiner Windel.

Als alles verspeist war suchte die Geisterschar alle Knochen sorgsam zusammen, konnte aber trotz allen Fleißes das Beindl in der Windel drinnen nicht mehr finden. Da wickelten sie die übrigen wieder in die Rinderhaut, sagten einen Spruch darüber, und siehe da: Das Tier stand lebendig auf, muhte verärgert über die zugemutete Behandlung und trampelte aus der Wohnstube zurück in den Stall. Als die Bauersleute aus der Kirche heimkamen, stand sie wieder an ihrem alten Platz, war so brauchbar als zuvor, nur dass sie diesen Fuß ein Leben lang etwas nachschleppte.

4. Raunacht: Perchtnacht

Die vierte Raunacht ist die Perchtnacht, die Nacht vor Heilig Drei König. In dieser Nacht zieht die Frau Percht mit den ungetauft verstorbenen Kindern herum. Warum sind die Kinder ungetauft? Sie tragen absonderliche Namen wie Märzenkalbel, oder Zadarwaschel. Eine Erklärung ist, dass die Kindersterblichkeit so hoch war, dass man mit der Taufe abwartete, bis die Kinder das erste Lebensjahr überlebten. Gut, dass es die Frau Percht gibt: Sie sorgt sich um diese Wesen und zieht mit ihnen in der Perchtnacht durch die Lande.

Perchtentrommler. Foto:Pixabay

Man stellt ihnen am Abend Milch mit eingebrockten Semmeln auf den Tisch. Auch Perchtkrapfen sind beliebt. In der Nacht ist dann wohliges Schmatzen und Schlürfen zu vernehmen, zum Dank für die Großzügigkeit segnet Frau Percht das Haus fürs ganze Jahr. Der Ortsname „Berchtesgaden“ wird als Gaden (Garten) der Percht gedeutet. Ist sie die „Kindergärtnerin“ des Zwischenreiches?

So genau können uns die Sagen das nicht sagen, die Frau Percht kann nämlich auch anders: Während der Raunächte war es verboten, Flachs zu spinnen. Wenn ein Bauer dieses Arbeitsverbot gegenüber dem Gesinde nicht einhielt, dann konnte es schon passieren, dass ihm die Frau Percht zur Strafe das Haupthaar vom Kopf riss. Er erhielt es erst zurück, wenn er sich übers Jahr besserte.

Streit unter Nachbarn

Auch bei nachbarschaftlichem Streit wirkt die Percht als Schlichterin, wenn auch mit ungewöhnlichen Mitteln:

Am Sonnberge bei Brixen lebte ein Bauer, der mit seinem Nachbarn in Streit lag. In der Perchtnacht stritten sie wieder sehr heftig: Da flog die Percht vorbei und riss beiden die Haare aus. Durch dieses Erlebnis mussten sie ihren Streit ausreden. Im nächsten Jahre warteten die zwei Bauern versöhnt an der gleichen Stelle auf die Percht. Sie brachte ihnen das Haar wieder.

Das wiedergebrachte Haupthaar soll angeblich kräftiger wachsen als zuvor und auch im hohen Alter nicht grau werden.

Genau aufgezeichnet wurde die Abfolge des Erscheinens der Percht südlich vom Wilden Kaiser:

Auf dem Salvenberg (Hohe Salve) kommt die Percht in der Dämmerstunde. Auf dem Naziberg zur Mitternachtsstunde; in der Windau in der zweiten Stunde nach Mitternacht. In der letzten Stunde kommt die Percht in das Spertental.

Büchersortiment. Foto: Karl-Heinz Hummel

Weiterlesen: Sagenhafte Wirtshausgschicht

Karl-Heinz Hummel aus München hat neben dem Buch Raunacht schon eine Reihe an Büchern mit den Themen: Sagen und Mythen herausgebracht. Erschienen sind sie im Allitera-Verlag.
Illustriert wurden sie von Bernd Wiedemann.
Eine CD mit Raunachtsagen und der „Pholxmouzique“ der NaglMusi gibt es beim Autor, Bestellungen unter gelati-hummel@gmx.net.

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