Olaf Gulbransson – genial und widersprüchlich
Cover des Buches. Foto: Allitera Verlag
Buchempfehlung von KulturVision
Die Person des norwegisch-deutschen Ausnahmezeichners genau und gerecht zu erfassen, ist ein anspruchsvolles Unterfangen bei all den verschiedenen Facetten des Tegernseers in oft schwierigen Zeiten. Gerd Holzheimer gelingt dies in seiner soeben erschienenen Biografie „Olaf Gulbransson“ meisterhaft. Fast so, als ob er selbst dabei gewesen wäre.
1967 schrieb Gulbranssons dritte Frau eine Biografie über den Künstler und Wahl-Bayer, die bisher einzige, aber natürlicherweise befangen und deshalb mehr eine Liebeserklärung.
Dr. Gerd Holzheimer, Literaturwissenschaftler und Verfasser von rund dreißig Büchern sowie Herausgeber der Zeitschrift „Literatur in Bayern“, zeichnet unvoreingenommen ein wissenschaftlich-objektives Porträt eines Menschen, der vor künstlerischer Begabung, emotionaler und körperlicher Kraft strotzte. Jedoch gab er wegen seiner politischen Haltung in der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte so manches Rätsel auf.
Dr. Gerd Holzheimer. Foto: Carmen Kubitz
Holzheimer tut dies mit Akribie, Fachkenntnis und einem totalen Sich-hinein-Versetzen in Zeit- und Lebensumstände des Protagonisten. Zahlreiche sorgsam ausgewählte Abbildungen und private Fotos ergänzen das Geschriebene und machen das Werk auch zu einem Fest fürs Auge.
Olaf Gulbransson und die Kunst
Olaf Gulbransson wurde 1873 in Christiania, dem späteren Oslo, geboren. Schon mit sechzehn konnte er mit Zeichnen bei verschiedenen Blättern Geld verdienen. Seine erste Ausstellung 1899 in Oslo war ein voller Erfolg. Im gleichen Jahr bekam er eine Anstellung bei der Zeitung „Aftenposten“, zwei Jahre später folgte die erste Buchveröffentlichung „24 Karikaturen“. 1905 illustrierte er Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“.
Albert Langen, der 1896 in München die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ gründete, holte ihn 1902 dorthin. „Gulbransson fand nicht gleich seinen später so unverwechselbaren Strich, doch nach einem Jahr ist er da!“, berichtet Holzheimer.
Foto: Allitera Verlag
Und sogleich wurde der junge Zeichner und Karikaturist bekannt mit der Serie „Berühmte Zeitgenossen“. Zu seinem unverwechselbaren Markenzeichen entwickelten sich immer mehr sein „Mut zur freien Fläche“ (vielleicht beeinflusst von den japanischen Holzschnitten, die er so liebte), „die Kunst der Auslassung“ und seine sagenhafte Leichtigkeit.
Später wurde er als Professor an die Münchner Kunstakademie berufen, war selten anwesend, aber von seinen Schülern geliebt. Zu ihnen gehörte auch Josef Oberberger, der berühmte Glaskünstler, mit dem er bis zum Lebensende befreundet war.
Olaf Gulbransson und die Frauen
Obwohl nicht gerade ein Adonis oder mit besonderem Charme gesegnet, sondern – auch nach eigener Einschätzung – wegen seines wuchtigen und breiten Wuchses eher ein „Seehund“, hatte er einen besonderen Schlag bei den Frauen. Die Zahl der angeblich zahlreichen außerehelichen Affären versteckt sich natürlich im Graubereich.
Seine drei Ehen beschreibt der Autor objektiv und sensibel und manchmal hat man als Leser den Eindruck, als würde man bei ihnen am Tisch sitzen. Auf Inga (1897-1906), seine Jugendliebe, folgte Grete (1906-1923), bis er dann mit Dagny (Hochzeit 1923) bis zu seinem Tod 1958 zusammenblieb.
„Sie wusste von seinen Geschichten und es hat sie auch verletzt. Trotzdem hielt sie ihm immer die Treue“, berichtet der Biograf in einem Interview mit der SZ vom 8.12.21. Und, einer der zahlreichen Widersprüche in des Künstlers Persönlichkeit: „Er war bei aller Untreue ein treuer, liebender Mensch.“
Foto: Allitera Verlag
Olaf Gulbransson und die Politik
Zu einem weit weniger eindeutigen Urteil kommt Gerhard Holzheimer, wenn es um Gulbranssons politische Einstellung geht, im Besonderen um seine Rolle im Nationalsozialismus. Er widmet diesem Thema entsprechend viel Raum, sieht ihn widersprüchlich und schwer fassbar.
Er beschreibt den Ausnahmekünstler als von Grund auf unpolitischen Menschen, dem das Bildnerische über alles ging. „Von Olaf Gulbransson kann man sagen, dass er gegen alle gezeichnet hat – und für alle auch, einfach was man ihm aufgetragen hat.“
So fasst er die Haltung seines Protagonisten knapp zusammen. An dessen zumindest nicht klarer Haltung zerbrachen übrigens die Freundschaften sowohl zu Thomas Mann als auch zu Thomas Theodor Heine, seinem (jüdischen) Kollegen beim Simplicissimus.
Obwohl eigentlich für Antisemitismus nicht empfänglich, schreibt Gulbransson einmal: „Ein Jud wird immer jemand finden, der ohne es zu wissen, für ihn die Arbeit tut.“ Außerdem hält er an dem Grundsatz fest „Einmal Freund, immer Freund“, was etwa für Ludwig Thoma gilt. Die Freundschaft zu ihm überwiegt den besonders gegen Ende seines Lebens glühenden Antisemitismus.
Andererseits werden ihm selbst zwei geplante Ausstellungen verboten, bekundet er lautstark ohne Rücksicht auf seine Umgebung sein Gefallen an der Ausstellung „Entartete Kunst“, verhält er sich undiplomatisch bis respektlos bei einem Besuch Joseph Goebbels gegenüber.
Lesetipp: Gulbransson Werke
Olaf Gulbransson und sein Umfeld
Im Verlauf der Lebensgeschichte des großen Zeichners und Malers – Gulbransson fertigte auch zahlreiche Landschaftsbilder und in ihrer Zartheit hinreißende Porträts etwa seiner Kinder und Enkel – wird immer klarer, in welchem künstlerisch-sozialen Umfeld er sich bewegte, mit welchen Größen er beruflich oder privat zu tun hatte.
Um nur einige zu nennen: Hans Christian Andersen, Joachim Ringelnatz, Oskar Maria Graf, Hermann Hesse, Ludwig Ganghofer, Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Henrik Ibsen, Fridtjof Nansen, Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Slevogt, Alfred Kubin, die Mitglieder des „Blauen Reiters“. Und damit ist das Panoptikum berühmter Zeitgenossen noch lange nicht vollständig und Holzheimers Werk so ganz nebenbei auch ein Stück deutsch-bayerischer Kunst- und Kulturgeschichte.
Was des Künstlers geografisches Umfeld betrifft, hier seine Stationen im Zeitraffer: Norwegen, München, Berlin als Propagandazeichner im Auswärtigen Amt, noch einmal vier Jahre Norwegen, wieder München, von wo es ihn immer schon aufs Land und speziell nach Tegernsee zog. Beispiel für seine ungebändigte Urwüchsigkeit: Er baute eigenhändig Sprungschanzen und Beteiligte berichten, dass er keinen einzigen Sprung stand und dass es ihn oft fürchterlich zerlegt habe.
Foto: Allitera Verlag
Endgültig Bewohner seines geliebten Tals wurde er, als er im Frühjahr 1929 für 21.000 DM den Schererhof am Tegernsee kaufte und für den Rest seines Lebens dort sesshaft blieb. Unzählige Male malte er in dieser Zeit den sich vor seiner Veranda aufbauenden Hirschberg.
Letzte Anekdote und Beispiel für seine urwüchsige Kraft: Gulbransson schaufelte das Loch für sein Freischwimmbad auf dem Hof selbst aus: 14 x 3 x 2 Meter! Und wieder wundert man sich, wie ein solcher Kraftkerl mit der Figur eines Gewichthebers derart feine Kunst schaffen konnte.
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