Vor Autos spielen oder nicht
Cover von „Inne halten. Chronik einer Krise“. Foto: Petra Kurbjuhn
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Im dritten Gespräch der Reihe „Inne halten. Chronik einer Krise“ diskutierte Jonas Zipf mit Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, über Kunst in der Pandemie – eine Chance? Dabei ging es insbesondere um Fragen von individueller Freiheit und Gemeinschaft.
Wie steht es um die Gesellschaft, fragte Jonas Zipf, Werkleiter von JenaKultur. Besteht die Gemeinschaft oder zerfällt sie gerade in Einzelinteressen? Und wer sind diejenigen, die sich jetzt am emotionalsten gegen die Maßnahmen beschweren?
Betroffene von der Krise, so argumentiert Bernhard Maaz, würden sich stärker mit ihr auseinandersetzen und die Verantwortlichkeit im Blick behalten. Die Nichtbetroffenen aber hätten das Gefühl, etwas fordern zu dürfen. All ihre Forderungen müssten rasch erfüllt werden, insbesondere die gegenüber dem Staat. Diejenigen, die schlicht dagegen seien, gegen alles, kämen jetzt nach oben.
Freiheit versus Brüderlichkeit
Die Frage sei, so Jonas Zipf, der Konflikt zwischen Freiheit und Brüderlichkeit. „Jetzt werden polemisch, populistisch individuelle Grundrechte in Stellung gebracht gegen das, was wir als Gemeinschaft beschreiben.“ Und dies führe zu einem besorgniserregenden Misstrauen gegenüber dem Staat sowie dazu, dass das Gefühl, sich der Gemeinschaft unterzuzuordnen, fehle.
Leider, so informiert Bernhard Maaz, sei ein Papier aus dem Jahr 2012, wo vor einem Virus Nova SARS gewarnt wurde, nicht zur Kenntnis genommen worden. Und jetzt müssten umgehend alle Erwägungen und Vorschriften in die Praxis umgesetzt werden. Er betont, dass es neben den Grundrechten des Individuums auch die Verantwortlichkeit für die Gesellschaft gebe. Das sei ein unverhandelbares Gut.
Kunst ist frei
Die Frage, welche Rolle bei dieser derzeitigen Situation die Kultur spielen solle, sei nicht einfach zu beantworten, meint Jonas Zipf. Solle man Helge Schneider folgen, der sagt: „Ich spiele nicht vor Autos“ oder Kreativität und Präsenz zeigen? Beides sei richtig, entgegnet Bernhard Maaz, denn die Kunst sei frei. Diese unterschiedlichen Positionen müssten erlebbar gemacht werden und so Menschen zusammengeführt werden, die sonst nicht zusammenkommen, erwidert Jonas Zipf.
Man dürfe aber die Verantwortung für die Kultur nicht bei den Kulturakteuren allein verorten, sondern ebenso im Politischen Apparat, fordert Bernhard Maaz und zitiert „Das Hohe Haus“ von Roger Willemsen. Der Autor beweise, dass Kultur im Bundestag nur einmal als Standortfaktor erwähnt werde. „Kultur ist Gesellschaftssache“, betont der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, zu denen auch das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee gehört, und nicht Ländersache, das „Grundnahrungsmittel Kultur“ gehöre zur Gesellschaft.
Kunst hat soziale Relevanz und Wert an sich
Kultur müsse aber auch die Gesellschaft erreichen, argumentiert Jonas Zipf und dabei nicht übersehen, dass Kunst eine soziale Relevanz aber auch einen Wert an sich habe. Beides habe Joseph Beuys zusammenführen wollen. Er habe einen demokratischen Diskurs im Sinne einer direkten Demokratie führen wollen.
Jugendprojekt Beuys-Eiche in Miesbach. Foto: Max Kalup
Lesetipp: Herzlich willkommen, Joseph Beuys
Dies sei eine Hoffnung, dass man mit den Mitteln der Kultur Menschen miteinander in Dialog in Berührung und Begegnung führen könne. Dem stimmt Bernhard Maaz zu und ergänzt, dass Kunst zur emotionalen Bildung beitrage und man beispielsweise in den Bildern alter Meister alle Themen, die uns selbst betreffen, wiederfindet. Ob Macht oder Mäßigung, Schuld oder Selbsterkenntnis, all dies könne bei Führungen vermittelt werden.
In Gemeinschaft durch die Krise
Darum gehe es jetzt, um Gemeinschaft, um Angebote, um den Diskurs, um Werte. Und letztlich um Utopie oder Dystopie. Jonas Zipf resümiert, dass man sich gemeinsam erarbeitet habe, dass es um Gemeinschaft gehe, mit der man durch die Krise gehen müsse. Das aber müsse politisch durchgesetzt werden, betont Bernhard Maaz noch einmal. Das sei jetzt die größte Aufgabe, die „Erläuterung der Notwendigkeit des Museums, des Theaters, des Konzertsaals“.
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