„in der bilderbucht“ mit dem Künstler w.marin
Aus dem Flyer der Ausstellung. Foto: w.marin
Ausstellung in Miesbach
Ein Mann und seine drei Lieben: die Lyrik, die Fotografie und die Malerei. Die Grenzen der drei Ressorts verwischend, ergibt sich daraus eine gestalterische Gesamtkomposition des Künstlers w.marin. Sie ist derzeit in der Ausstellung „in der bilderbucht“ im Waitzinger Keller Miesbach zu sehen.
„Ich bin kein Freund des Realismus, sondern der Verfremdung“, sagt w.marin über sich selbst. Der gebürtige Augsburger ist seit vielen Jahren leidenschaftlicher Wahl-Miesbacher. Er schaffte es in seiner künstlerischen Tätigkeit als w.marin ständig, die Grenzen zwischen der gesehenen Realität und der herbeigeführten Abstraktion bewusst zu verwässern.
Damit fordert er nicht nur das alltägliche Auge des Betrachters, sondern auch seine Fantasie heraus, auf Entdeckungsreise durch die Werke zu gehen. In seiner Ausstellung „in der Bilderbucht“, vereint der Künstler seine drei großen Lieben – Lyrik, Fotografie und Malerei – in einem großen Gesamtwerk. Es lädt die Besucher ein, seine Welt der vereinten Künste zu erleben.
Portrait des Künstlers w.marin Foto: privat
Starke Farben und verschwindende Umrisse
Den Beginn macht die dreiteilige Fotoreihe „graffitys“, „silent places“ und „unser land“. In Letzterem mischen sich unter die künstlerischen Fotografien aus dem gesamten Landkreis auch Streifzüge durch das Innenleben der Kreisstadt Miesbach. Die „miesbacher impressionen“, entstanden am ersten Tag des ersten Corona-Lockdowns, als die normale Welt für einen Moment still zu stehen schien, im Schock des Unbekannten und der Unwissenheit.
Als die Straßen menschenleer und damit so voll von Schönheit waren, gaben sie den Blick für w.marin frei. Mit verwischenden Effekten schafft er es, diesen Sonnentag mit seiner sonderbaren Geschichte einzufangen und damit die klaren Linien der bekannten Gebäude aufzulösen und sie wie in einem Traum erscheinen zu lassen. Dadurch treten die sonst hinter den Umrissen verschwindenden starken Farbflächen noch deutlicher hervor.
In der Ausstellung „in der bilderbucht“ zeigt der Künstler w.marin eine Komposition seiner drei Lieben – Lyrik, Fotografie und Malerei. Foto: w.marin
Abstraktion und Reduktion
Ganz in den Dunst der Natur rund um seine Wahlheimat entführt der Fotograf in den restlichen Bildern von „unser land“. Konsequent hat er auch dort das Gestaltungselement der Abstraktion angewandt und es damit geschafft, die bekannte Schönheit der Natur auf ästhetische Art zu verwandeln. Dabei lässt er sich auch gerne durch die Arbeiten von Gerhard Richter inspirieren, wie er selbst sagt. Die Reduktion auf nur wenige Objekte sei dabei, trotz des schmalen Grats zum übertriebenen Minimalismus, seine Vorliebe.
Normal erscheinende Orte und Objekte in anderem Licht darzustellen – dies ist vor allem im Bild „luccherini“ deutlich zu sehen. Mit einer zufällig eingesetzten Taschenlampe belichtete w.marin dafür eine Brücke und tauchte sie damit in eine mystisch anmutende Atmosphäre.
„Eine Kathedrale der Stille“
Konträr dazu mögen folgend die Fotografien des Teils „silent places“ erscheinen, die völlig klar und deutlich die verschiedensten Orte zeigen, jedoch wieder menschenleer. Denn auch diese Fotostrecke entstand in Zeiten der Corona-Pandemie. Orte, die eigentlich von Geräuschen durchflutet und Menschen belagert werden, wirken in ihrer schon fast unnatürlichen Leere und Stille dabei so eindrucksvoll und beruhigend. Orte, die keinen Menschen brauchen, um zu existieren – wie etwa die Unterführung der Mangfallbrücke.
Die Fotografien „silent places“ überzeugen mit ihrer lauten Stille und der mystisch anmutenden Leere von Orten, die auch ohne eine Menschenseele existieren können. Foto: w.marin
Das Foto zeigt eine „Kathedrale der Stille“ wie der Künstler selbst sagt und das, obwohl es gerade an diesem Ort eigentlich nie wirklich still ist. „An diesem Tag herrschte ein Höllenlärm da unten. Tausende Autos oben auf der Autobahn und viele Radfahrer“, erinnert sich w.marin. In einem Glücksmoment, als das warme Licht der Sonne durch die Schächte strahlte und keine Menschenseele dort verweilte, entstand das perfekte Bild.
Und gerade dieser sonst so unheimlich anmutende Ort zeigt so eindrücklich das durchgängige Gefühl dieser Fotostrecke – nämlich, dass die Welt auch ohne uns Menschen existieren kann. Ein stillgelegtes Freibad mit leeren Becken in Augsburg, das alte Stadtbad mit seiner traumhaften Jugendstil-Architektur. Die menschenleeren Gänge verschiedenster Museen oder die Ablaufrinnen der Klärbecken nördlich von Miesbach – sie alle zeigen Plätze, die in ihrer Reduktion künstlerisch perfekte Bildnisse aus Form und Farbe, Licht und Schatten präsentieren. Völlig unbearbeitet lässt w.marin in diesen Fotografien die Stille für sich sprechen.
Ausschnitte die zu eigenen Kunstwerken werden
Durch einen Bruch der Reihe seiner realistischen Fotografien, schwenkt der Künstler den Blick wieder mehr in Richtung der künstlerischen Gestaltung. Ein perfekter Übergang zum dritten Teil der Serie, den „graffitys“. Durch den eingeschränkten und dadurch geschärften Blick durch den Sucher seiner Kamera, entdeckt der ehemalige Lehrer dabei sogar in den einfältigsten Wandgemälden der Straßenkünstler kleine Kunstwerke. Diese erschaffen in ihrer Farbgebung und zufälligen Gegenständlichkeit eigene magische Welten. Es fallen jedoch gewiss nicht alle gesprayten Werke in die Kategorie der jugendlichen Schmierereien, sondern entfalten auf riesigen Betonmauern wahre Kunstwerke. Auch in diesen in sich stimmigen Bildnissen pickte sich w.marin kleine Ausschnitte heraus und schuf damit völlig neue Werke, in welchen die Farben und Formen erst richtig strahlen durften.
Die Grenzen zwischen Fotografie und Kunst verwischen in der Ausstellung im Waitzinger Keller ständig. Eindrucksvoll wird das mit den Bildern „graffitys“ deutlich. Foto: w.marin
Bachmann und die Liebe zur Lyrik
w.marins erste große Liebe ist und bleibt jedoch die Lyrik, die ihn zum einen in das Studium Germanistik und Romanistik und zum anderen in die lyrischen Arme der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann trieb. Die Bewunderung für ihre Gedichte und die Lichtkraft ihrer Bilder bewog den Künstler dazu, mit fotografischen Mitteln in den Dialog mit ihren Worten zu gehen. Die perfekte Szenerie bot sich w.marin dafür in der Mensa der Universität Augsburg. Drei Tage lang fotografierte er dort die Wände und Säulen, welche sich unter zahlreichen verschiedenen Schichten aus Kleberesten, Plakaten, Rost und Moos versteckten. Wie ein Archäologe legte er dabei die Schichten der Gewohnheit frei und entdeckte um die Ecke gedacht die Bildnisse zu den Worten von Bachmann. Dabei sollen seine Fotos auf keinen Fall Illustrationen zu ihren Gedichten sein, sondern in der gemeinsamen Sprache der Poesie für sich stehen.
Ein gemeinsamer Raum für Worte und Bilder
Die Malerei, wieder in Verbindung mit Lyrik, bildet den Abschluss der Ausstellung. „Kritzelarbeiten“, nennt der Künstler seine eigens geschaffenen Werke. Diese zeigen Übermalungen aus Acrylfarbe, Kohle, Lackfarbe und Ölkreide mit grafischen Zeichen und Worten aus Bachmanns Gedichten. Zentrale Figuren sind dabei mit Kopierpapier aufgetragene Holzschnitte von Kaspar Braun. Sie gleichen einem Maskenzug, der sich durchs Land bewegt und dabei am Rande der Festlichkeiten schreckliche Szenerien präsentiert. Darunter mischen sich die dunklen Verse der Lyriker Paul Celan und Rainer Maria Rilke. Insgesamt zeigt die Ausstellung die verschiedenen Bereiche des Künstlers w.marin, welche in eindrucksvoller Weise die Grenzen der Ressorts verwischen und damit einen gemeinsamen Raum für Wort- und Bildkunst schaffen.
Für die Teilnahme ist eine Anmeldung nötig (Telefon: 08025/70000, E-Mail: ticket@waitzinger-keller.de). Es gelten die aktuellen Hygienemaßnahmen, 2G+ und FFP2-Maskenpflicht. Weitere Informationen sind im Kulturzentrum erhältlich.