Über Smartphone, Fußball und Demokratie
Cover des Buches „Inne halten. Chronik einer Krise. Foto: Petra Kurbjuhn
Buchtipp von KulturVision
Im fünften Jenaer Gespräch „Chronik einer Krise“ tauschen sich Initiator Jonas Zipf und der Münchner Soziologe Stephan Lessenich über das sinnhafte Leben aus. Inwiefern gehören dazu auch Smartphone, Fußball und Demokratie?
Wer keine CoronaApp am Handy habe, mache sich verdächtig, nicht zur Sicherung der Volksgesundheit beizutragen, konstatiert eingangs Stephan Lessenich und macht damit die Ambivalenz der Nutzung eines Handys deutlich. Diese Doppelrolle betreffe aber auch die Arbeitswelt. Aufgrund ständiger Überlastung schaffe man es nicht, Texte abzuliefern, fordere aber Zuarbeit von anderen ein. Man wisse durchaus, dass dieses Spiel „Kacke“ sei, spiele es aber dennoch mit.
Es geht nur ums Geld
Diese Paradoxie werde besonders im Fußball zugespitzt, entgegnet Jonas Zipf, Werkleiter von JenaKultur. Fußball spiele man doch für Fans, aber die Geisterspiele der Bundesliga zeigten offen und transparent, dass es nur ums Geld und nicht um den Sport gehe. „Wie kann es ein, dass so ein gesellschaftliches Feld, das im Grunde völlig überflüssig ist, sich so aufspielen kann“, antwortet Stephan Lessenich, der sich selbst als Fußballbegeisterter bezeichnet. Und, fügt er hinzu, betreffe das auch die Kunst? Wäre es egal, ob Publikum kommt oder nicht?
Zurück zum Fußball, sind sich die Gesprächspartner einig, dass die meisten Menschen dieses absurde Spiel am Fernsehgerät, sogar bei Pay-TV, mitspielen, obwohl sie wissen oder ahnen, dass es absurd ist und nur um Geld geht.
Fußball und Demokratie
Genauso stehe es mit der Demokratie, argumentiert Stephan Lessenich, man könne Fußball durch Demokratie ersetzen. Man habe eine Vorstellung davon, wie Fußball im kleinen Verein ablaufe und man wisse Demokratie sei eine super Idee. Aber heute laufe doch einiges schief im Politikbetrieb. Da finde gerade eine Entkopplung von gesellschaftlichen Weiterbildungsprozessen statt. Das sei der Grund, warum sich Menschen abgewendet haben, sogar destruktiv werden. Andere, die sogenannten Normalbürger aber machen weiter mit, trotz ihres Gefühls, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei.
Gefühlte Ohnmacht
Diese gefühlte Ohnmacht sei das Schlimme, stimmt ihm Jonas Zipf zu, denn frage man die Menschen nach Alternativen, erhalte man die Antwort, dieses System sei wohl doch noch das Beste. Die Ohnmacht aber, dass es keinerlei Alternative für jetzt oder für die Zukunft gebe, führe zu einer Lähmung und der Aussage: „Früher war alles besser.“ Diese Nostalgie in Richtung gemütlicher Bonner Republik oder in Richtung DDR, wo man sich noch gegenseitig half, das seien vergangenheitsbezogene Projektionen.
Warten auf Heilsverkünder
Der Mensch sei so disponiert, dass er hoffe, dass jemand mit einem Masterplan um die Ecke kommt, natürlich ein Mann, der genau sage, welche Schritte zu tun seien. Dieses Warten auf den Heilsverkünder müsse endlich aufhören. Jeder sei aufgefordert nachzudenken, was kann ich selbst tun, wo sind meine Kompetenzen, wo kann ich etwas ändern. „Und da, wo ich zu einer Änderung beitragen kann, versuche ich nach Kräften, das zu tun.“ Die Verhinderer dieses Weges, fährt Stephan Lessenich fort, seien Verlustängste.
Bedingungslose Grundzeit
Später in ihrem Gespräch kommt auch die Forderung zum Bedingungslosen Grundeinkommen noch einmal zum Tragen, aber auch die Forderung nach einer bedingungslosen Grundzeit, sprich Arbeitszeitverkürzung. Denn um über strukturelle Transformationen nachzudenken, brauche man Zeit. Dann nämlich könnten die Menschen gemeinsam über die Zukunft reflektieren.
Zum Weiterlesen: Der europäische Traum und Gemeinsinn