Reisen fängt im Herzen an
Quadro Nuevo in neuer Formation: Andreas Hinterseher, Mulo Francel, Didi Lowka, Philipp Schiepek in Hausham (v.l.). Foto: Michael Harris
Konzert in Hausham
Die Albumtour „MARE“ führte Quadro Nuevo zu einem Heimspiel nach Hausham, wo sich der Saal im Alpengasthof Glückauf in eine cineastische Landschaft aus Meer, Strand und Dünen verwandelte. Wer in seiner Corona-Kemenate an Höhlenkoller litt, muss sich an diesem Abend gefühlt haben wie Ikarus, der ins Licht fliegt, nur ohne Absturz. Das Glücksgefühl dauert an.
Nun erinnert der Glückauf-Saal nicht gerade an eine Landschaft am Meer, aber das war vollkommen nebensächlich am letzten Sonntag. Ankommen und sich vom weichen Wasser, von Wellen umspülen lassen, sich einem Sonnenuntergang hingeben, der sich glänzend in der Ägäis spiegelt. Auf dem wogenden Rücken eines Kamels gleichsam in Zeitlupe zwischen Dünen entlang schaukeln, auf den Straßen einen Tango tanzen. Mit geschlossenen Augen war man überall dort, wo die Sehnsucht das Herz zwei Jahre lang hingezogen hat.
Gitarren-Debüt beim Heimatspiel
Öffnete man die Augen, sah man sich den angenehmsten Reisegefährten nahe, die mit ihrem reichen Fundus an Instrumenten, virtuoser Spielkunst und Leidenschaft am Unterwegssein auf diese Reise einluden: Andreas Hinterseher, mit geschlossenen Augen traumwandlerisch sein Akkordeon, Bandoneon, Vibrandoneon, ja sogar die Trompete streichelnd. Mulo Francel, der Virtuose auf seinen Saxofonen und der Klarinette, in klangmalerischen Weiten. Didi Lowka, der mit bergwerksgroßen Händen seinen Kontrabass liebkost, den Perkussionsinstrumenten die groovigsten Rhythmen entlockt und dabei versonnen vor sich hinlächelt. Und schließlich Philipp Schiepek, der neuerdings Quadro Nuevo virtuos auf der Gitarre ergänzt. Und mit diesem Debüt auch die letzten Zweifler überzeugte, Quadro Nuevo wäre ohne Evelyn Huber an der Harfe nicht komplett. Das Gegenteil ist der Fall. Philipp Schiepek ist ein Könner, der mit einem enormen Spektrum an Klangfarben das Trio bereichert, woran der Beifall zu seinem Stück „Gracias a la Vida“ keinen Zweifel ließ.
Didi Lowka und Philipp Schiepek. Foto: Michael Harris
Und vor allem alle vier miteinander: sich gemeinsam zu immer weiteren Höhen hinaufschwingend. In Stücken, die gut ein paar Minuten dauern, wie Augenblicke und die Ewigkeit zugleich. Man mochte in jedem Moment die Zeit anhalten, um diese Einladung anzunehmen und die Reise auszukosten.
Krimtataren
Eigentlich sollte „MARE“ (2020 erschienen) mit seiner mediterranen Leichtigkeit längst präsentiert sein. Zwischenzeitlich ist jedoch schon wieder eine weitere Scheibe erschienen: „Odyssee“ (2021). Und dann ist die Welt gefühlt auf sanften Wogen aus der Pandemie hinaussegelnd in bedrohlich stürmische See geraten mit dem Krieg in der Ukraine. Und so war denn dieser Abend in Hausham keinesfalls ausschließlich ein Feiern des südlichen Lebensgefühls. Sondern vielmehr eine Reise der Erinnerungen an viele Reisen. Beispielsweise an zwei Besuche in der Ukraine in den Jahren 1991 in Odessa und 2008 auf der Krim. Ein Eintauchen in die Kultur des Balkans, des Orients, eine Weltreise und damit eine Art „Best of“ Quadro Nuevos. Das Konzert war, was alle vermisst hatten: hautnah, berührend, mitreißend, voller persönlicher Erinnerungen und gemeinsamer Sehnsucht.
In neuer Besetzung mit Gitarrist Philipp Schiepek (rechts). Foto: Michael Harris
Quadro Nuevo – von Grand Voyage bis Mare
Auf die Eröffnung mit dem schwungvollen „Sambadi Didi“ von der CD „Mare“ folgte ein „Muttertagstango“, nicht nur für die anwesende Mutter Andreas Hintersehers, bei der sich Mulo Francel bedankte, dass sie ihnen ihren „Bub ausleiht“. Das Stück „Krim“ aus der CD „Grand Voyage“, erinnerte an das Konzert im Bakhchysarai-Khan-Palast in der Ukraine. Es entführte in die Kultur der Krimtataren, das sich in einem euphorischen Miteinander der Musiker steigerte – und den Gästen plausibel machte, warum die Menschen in der Ukraine ihre Freiheit und Demokratie so leidenschaftlich zu verteidigen imstande sind. Mit „Mocca Swing“, „Ikarus Dream“ und der „Reise nach Batumi“ spannte sich der Bogen weiter – untermalt mit augenzwinkernden Anekdoten über die Entstehung der Stücke und das Miteinander als Freunde und als Band seit so vielen Jahren.
Andreas Hintersehers neue Solo CD heißt „Stay Away and Play“. Foto: IW
Dabei fehlen auch nicht kleine Anekdoten aus der Coronakrise, in der beispielsweise Andreas Hinterseher die Zeit für eine Solo-CD genutzt hat. Mit „Stay Away and Play“ beschreibt er selbstironisch und gewohnt virtuos, wie ihn die Familie in den Keller schickte, damit er mit seiner ungewohnt langen Anwesenheit nicht stört. Dort unten traf er dann auf Viele seines Selbst. Den Luftikus und Träumerle mit dem Bandoneon, den spießig-wortkargen Pianisten, angeberischen Trompeter, den kaffeeholenden Tonmann, den Schlagzeuger, der mit seiner Langsamkeit alle anderen nervte und weitere Ichs.
Lesetipp: Konzert von Quadro Nuevo in Hausham 2019
Tango und Gin
Auch sonst waren die Quadro Nuevos nicht faul während der Pandemie. Neben den neuen CDs entstand auch eine kleine Serie von Gin. Ja richtig. Passend zum Tango. Aber Nichtstun hätte ohnehin niemand erwartet. Das Debüt in der neuen Konstellation hat, exponiert in der Heimat, bestens funktioniert in diesem umjubelten Konzert. Niemand ging hinaus ohne diesen entrückten Blick, von dem man weiß, er trägt durch ein paar Tage, mit der Musik im Ohr und im Herzen.