Die Matadore im Literaturcafé
Peter Becher (l.) durfte beim zweiten Literaturcafé in Weyarn die Autoren (v.r.) Martin Calsow und Gerd Holzheimer begrüßen. Foto: Selina Benda
Literaturcafé Weyarn
„Wir haben heute zwei Matadore hier“, eröffnete Peter Becher die zweite Auflage des Literaturcafés von KulturVision. Die Autoren Martin Calsow und Gerd Holzheimer gaben sich im Klostercafé Weyarn die Ehre, lasen aus ihren jüngsten Werken und sorgten mit vielen persönlichen Erzählungen für einen humorvollen Abend.
Zum zweiten Mal lud KulturVision gemeinsam mit Literaturhistoriker und Schriftsteller Peter Becher zur literarischen Melange, einer guten Mischung, ein. „Eine interessante Kombination“, nannte es Gerd Holzheimer lachend vorab. Wie recht er hat. Denn der Schrifsteller aus Gauting – damit auch der auswertige Autor in dieser Melange – las aus seiner Biografie über Olaf Gulbransson vor. Einem hochinteressanten Künstler, der am Tegernsee seine neue Heimat fand und für Aufsehen sorgte.
Ebenfalls aus dem Tegernseer Tal stammt Maximilian Quercher. Im Gegensatz zu Olaf Gulbransson noch am Leben, jedoch die fiktive Hauptfigur aus Martin Calsows Krimiromanreihe. Der Schriftsteller lebt in Bad Wiessee und verkörperte in dieser Kombination damit den einheimischen Autor des Abends.
Der Krimiautor im Literaturcafé
„Ich nehme jeden Strohhalm des Identitätsdiebstahls“, lachte Martin Calsow bei seiner Vorstellung. Er sei in Bayern geboren und könne sich somit auch als Bayer bezeichnen. „Dann wurde ich nach Niedersachsen verschleppt“, erzählte er dem Publikum im vollbesetzten Klostercafé. In einer kinderreichen Familie aufgewachsen, in der sowohl Großvater, Vater als auch ein Bruder Polizisten waren.
Literatur im Café – eine schöne Atmosphäre. Foto: Selina Benda
Er schlug einen anderen Weg ein, studierte Soziologie, machte sein Volontariat bei der Zeitung und dann Karriere bei verschiedenen deutschen TV-Sendern, zuletzt als Filmchef bei Premiere in München. „Dann kam ich in eine Midlife-Crisis und habe ganz plötzlich gekündigt.“ Seine Ehefrau sei wenig begeistert gewesen als er ihr dies eröffnete, erzählt der 52-Jährige mit einem Augenzwinkern. Eine dreimonatige Reise in den Nahen Osten folgte. Als er zurückkam, eröffnete er seiner Frau dann die zweite Hiobsbotschaft: „Ich werde jetzt Buchautor.“
Humorvolle Einblicke
Das Substrat all seiner Verwandten, die Polizisten waren, und einem befreundeten Urbayer aus der Nachbarschaft in Bad Wiessee, haben laut Martin Calsow seine Hauptfigur Maximilian Quercher entstehen lassen. Der widerborstige und geniale Sonderermittler aus Gmund am Tegernsee wird von seinem Kommissariat immer mit den besonders heiklen Kriminalfällen bedacht. Dabei spielen nicht nur die Region seiner und Martin Calsows Heimat, sondern stets auch gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Probleme der Gegenwart eine große Rolle in den Romanen.
„Ich wollte nicht nur ‚Seppl-Krimis‘ schreiben“, sagt der Autor. Der Journalist erzählt humorvoll über seinen Blick auf das vorherrschende „Kastensystem in Bayern, das nur im indische Rajasthan größer ist“ und seine Rolle als Zugezogener im Oberland, die er gerne für ironische Seitenhiebe ausnutzt und welche zu teilweise kuriosen Begegnungen im Supermarkt führen.
Tiefgehende Einblicke
Für seinen ersten Krimiroman „Quercher und die Thomasnacht“ hätte er nur vier Monate gebraucht, wohl auch wegen des Drucks durch seine Frau und Freunde. „Die goldene Regel für jeden Autor ist nämlich: Erzähle wirklich jedem den du kennst, dass du ein Buch schreibst. Die Angst vor der Schmach, sollte es nicht klappen, treibt dich an den Schreibtisch.“ Sieben Quercher-Titel später las er nun aus dem Manuskript zu seinem neuesten Buch. Darin greift er das System der Erbschaft in Deutschland auf, welches selbst in den stabilsten Familien zu explosionsartigen Auseinandersetzungen führen kann.
Martin Calsow (r.) las aus seinem Manuskript zum neuesten Quercher-Roman. Foto: Selina Benda
Er erzählt von der betagten Zenzi, die ihren Hof von ihrem Vater vererbt bekam, weil ihre beiden Brüder dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Erschütternd nah lässt Martin Calsow einen in die dunklen Erinnerungen der Bäuern blicken, in ihre schrecklichen Erlebnisse mit ihrem Mann und einem Leben, das von harter Arbeit und Entbehrungen geprägt war. In einer eisigen Winternacht fand Zenzi den Tod im Wasser.
„Harte Nummer, ich weiß“, brachte der Autor seine Zuhörer nach dieser emotionalen Reise mit einem Lacher wieder in die Realität zurück. Im kommenden Jahr soll der neue Quercher-Roman erscheinen – zumindest konnte Moderator Peter Becher den Schriftsteller mit einem Augenzwinkern und etwas Druck zu dieser Aussage bewegen.
Der Biograf im Literaturcafé
Eine langjährige Freundschaft verbindet Peter Becher mit dem Schriftsteller Gerd Holzheimer. Beide erinnern sich an eine denkwürdige Wanderung 1990 von Bayern nach Böhmen kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der gebürtige Münchner ist nicht nur literarischer Landvermesser, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift „Literatur in Bayern“, sondern Autor zahlreicher erschienener Bücher. Neben der Biografie über Gerhard Polt, schrieb er auch das aufregende Leben des norwegischen Künstlers Olaf Gulbransson nieder. Zweieinhalb Jahre habe er für dieses umfassende Werk benötigt, welches im vergangenen Jahr erschien.
Lesetipp: Olaf Gulbransson – genial und widersprüchlich
Tief sei er in das Leben und Wirken dieses widersprüchlichen Künstlers abgetaucht, habe lange Gespräche auf dem Schererhof mit dessen Enkelin geführt. Auf dem hoch über dem Tegernsee gelegenen Anwesen hatte sich der gebürtige Norweger mit seiner dritten Frau seine zweite Heimat geschaffen und dort, wie auch in allen anderen Bereichen seines Lebens, getan was er wollte.
Mit lustigen und teilweise kuriosen Anekdoten aus Olaf Gulbranssons aufregendem Leben entführte der Autor das Publikum in die Welt seines Buches. „Der hat sich nix gschissn“, stellte Gerd Holzheimer im Laufe seiner Recherchen fest und erheitert etwa mit der Geschichte des Pools, den sich der Künstler auf seinem Anwesen einfach so selbst gegraben hatte. Rasenmähen und zeichnen erledigte der Künstler gerne nur mit einer Schürze bekleidet und sowohl dem Alkohol als auch den Frauen sei er nie abgeneigt gewesen.
Der widersprüchliche Olaf Gulbransson
1902 wurde er zur satirischen Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ mit Sitz in München geholt, lernte dort auch Thomas Theodor Heine kennen. Der deutsch-norwegische Künstler wurde ein sehr guter Freund Gulbranssons. Eine Freundschaft, die an den Verbindungen des Zeichners zu den großen Machthabern im Dritten Reich zerbrach. Bis heute wird die Rolle von Olaf Gulbransson im Hitlerregime kritisch gesehen und findet natürlich ebenfalls ihren Platz in der ehrlichen Biografie von Gerd Holzheimer.
Gerd Holzheimmer (r.) erzählte aus dem Leben von Olaf Gulbransson. Foto: Selina Benda
„Er ist ein gutes Beispiel für unsere schwarz-weiß Gesellschaft“, erklärt der Autor, der die enge Verbindung Gulbranssons zur Familie Henkel und damit auch Joachim von Ribbentrop als Außenminister in der Hitlerregierung aufklärte. „Ich bin nicht drum rumgekommen, mich auch diesem schwierigen Kapitel in seinem Leben anzunehmen“, erzählt Gerd Holzheimer. Jedoch betont er, dass der Mann, der von sich selbst behauptete ein Seehund zu sein, die Ereignisse in seinem Leben stets sehr nüchtern betrachtete. „Man muss es mit sich geschehen lassen“, sei immer sein Motto gewesen.
Eine echte Melange im Literaturcafé
Moderator Peter Becher fragte zum Abschluss des Abends beide Schriftsteller, was geschehen würde, hätten sich die extravaganten Hauptfiguren ihrer Bücher auf der Neureuth zufällig getroffen. „Du Hundling, kommst do her und konnst a no Skifahrn“, hätte laut Martin Calsow sein Ermittler Maximilian Quercher gesagt. „Blöd für dich, dass du das nicht kannst, aber trinken können wir jetzt trotzdem einen“, wäre die Antwort von Olaf Gulbransson gewesen, erklärte Gerd Holzheimer schmunzelnd.
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So unterschiedlich die beiden Autoren des zweiten Literaturcafés zunächst erscheinen mögen, so perfekt gingen sie im Laufe des Abends eine echte Melange ein. Denn beide sehen sich in einer „moralisch aufgeladenen Zeit“, wie es Martin Calsow nannte, nicht als Richter anderer Menschen, sondern als Zuhörer und Vermittler von Geschichten und gesellschaftlichen Problemen, verpackt in einnehmende Worte in ihren literarischen Werken.