Seit‘ an Seit‘ mit dem Boandlkramer
Der Geruch von Erde begleitete Rosa Wegscheider ihr ganzes Leben. Foto: IW
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Das einfache, reiche Leben der Totengräberin von Waging ist Gegenstand des neuen Romans „Der Geruch von Erde“ von Christiane Tramitz. Die Bestsellerautorin aus dem Nachbarlandkreis beschreibt damit zugleich das Leben einer Dorfgemeinschaft zwischen Liebe und Tod, Tradition und Emanzipation über einen Zeitraum von knapp 100 Jahren.
Das Leben meinte es nicht gut mit Rosa Wegscheider in ihrer Kindheit. Früh schon zu harter Arbeit erzogen und von Entbehrungen gezeichnet, unterwarf sie sich jedoch nicht ihrem Schicksal, sondern rebellierte und formte ihr Leben ganz nach ihrem starken Willen. Kein Wunder, hatte sie doch in frühen Jahren, von der Mutter bereits aufgegeben, bereits dem Boandlkramer erfolgreich getrotzt. Dieser wurde ihr später zum engen Verbündeten. Einvernehmlich und lächelnd ließ sie sich von ihm nach einem erfüllten Leben mitnehmen. „Wir waren immer ein gutes Team, du warst die beste Totengräberin, die je für mich gearbeitet hat“, muss wohl für die Wegscheiderin das höchste Lob gewesen sein. Noch mit 93 Jahren, ein paar Monate vor ihrem Tod, nahm sie ihre letzte Bestattung vor.
Starke Frauenschicksale aus der Region
Nach dem Roman Harte Jahre, gute Jahre über die Sennerin Mare vom Geigelstein und Das Dorf und der Tod, einem „True Crime“-Roman, in dessen Mittelpunkt ebenfalls das ungewöhnliche Schicksal einer Frau im dörflichen Umfeld stand, hat Christiane Tramitz abermals Leben und Wirken einer starken Frauenpersönlichkeit aus ihrer Heimatregion thematisiert. Sie zeichnet in ihrem Roman feinfühlig das beschwerliche, aber auch erfüllte Leben der ungewöhnlichen Frau aus Waging nach, die weit über die Grenzen ihres Dorfes hinaus eine Legende war und über lange Zeit die Bestattungen in sieben Gemeinden vornahm.
Die Totengräberin Rosa Wegscheider hat es ihren Mitmenschen mit ihrer resoluten, zuweilen herrischen Art, vermutlich nicht immer leicht gemacht. Sie brachte ihr Umfeld, insbesondere die in ihrem langen Leben wechselnden Pfarrer von Waging, nicht selten an die Grenzen der Geduld. Sieht man allerdings ihren Lebensweg, zieht man unweigerlich den Hut vor dieser starken, unbeugsamen und unerschütterlichen Frau. Ebenso Respekt verdient ihre Familie, die ihr über Jahrzehnte unverrückbar zur Seite stand und angesichts der willensstarken Dominanz der Totengräberin selten eigene Wünsche zu vermelden hatte.
Heirat aus Liebe
Rosa und Anderl Wegscheider heiraten 1948. Foto: privat Fam. Wegscheider
Die Erinnerungen Rosa Wegscheiders erfolgen im Wechsel mit den Gesprächen mit Wastl, dem Neffen der Totengräberin, der ihr über viele Jahrzehnte auf dem Friedhof zur Hand geht. In der Kindheit beginnend, zeigt der Roman auch das Leben der aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen auf dem Land, die die Protagonistin umgeben. Gegen den Willen der Familie heiratet Rosa 18-jährig den begehrten Junggesellen Anderl Wegscheider, doppelt so alten Nachbarssohn, der ihr als einziger Mensch in ihrer Kindheit Mitgefühl und Unterstützung angedeihen ließ.
Totengräberin in der Männerdomäne
Als er zum Totengräber von Waging berufen wird und seine Arbeit wegen schwerer Kriegsverletzungen nicht mehr ausführen kann, übernimmt Rosa zuerst skeptisch („Aber nur wenn die Leiche keine grausige ist.“), bald resolut („Keine Leiche umsonst versorgen und alles notieren!“) seine Aufgaben. Mit der Zeit werden ihr sämtliche Bestattungen der umliegenden Gemeinden anvertraut. Damit behauptet sie sich in einer bis dato ausschließlich von Männern geprägten Branche, schafft sich Respekt und Anerkennung bis ins hohe Alter. Den geliebten Anderl ausgeklammert, der ihr allerdings wegen seiner Kriegsverletzungen immer weniger Hilfe ist und früh stirbt, hält sie zeitlebens nicht viel von der Arbeitstauglichkeit der Männer. Da kann sie nicht einmal der fleißige Neffe Wastl vom Gegenteil überzeugen.
Totengräberin Rosa Wegscheider und ihr erster Leichenwagen, ein schwarzer VW Käfer. Foto: privat Fam. Wegscheider
Keine Angst vorm Boandlkramer
Fast 70 Jahre lang ist sie im bayrischen Rupertiwinkel die Erste, die gerufen wird, wenn jemand gestorben ist. Bis zu ihrem Lebensende wird sie sich möglichst nah dem Telefon aufhalten, denn es könnte jemand ihrer Dienste bedürfen. Stets handelt sie sofort, Disziplin und Ungeduld sind weitere Eigenschaften, die sich in ihrem Leben manifestieren. Indem Christiane Tramitz von Rosa Wegscheider erzählt, entsteht ein Bild des dörflichen Lebens auf dem bayrischen Oberland über fast einhundert Jahre und das Bild einer Frau mit unerschütterlichem Willen, die den Tod von Kindheit an kennt und nicht fürchtet.
Totengräberin Rosa Wegscheider beim letzten Gespräch mit der Autorin. Foto: Christiane Tramitz
Fürchten tut sie wohl die Toten: „All die Toten, die im Leben bös waren oder Böses erlebt haben, die rächen sich nachts, Anderl, denen darf man nie begegnen, sonst könnte es sein, dass einen der Boandlkramer ebenfalls holt.“ Den Friedhof wird sie bei Einbruch der Dunkelheit lebenslang meiden. Sonst gibt es wenig, was man ihr vormachen oder worin man ihr reinreden könnte. Als alleinige „Herrscherin“ über den Gottesacker stellt sie ihr ganzes Leben in den Dienst ihrer Arbeit.
Respekt und persönliche Verbundenheit
Christiane Tramitz traf Rosa Wegscheider im hohen Alter und blickte gemeinsam mit ihr, ihrer Familie und Wegbegleitern auf ihr reiches Leben zurück. Zahlreiche persönliche Gespräche, der Blick in private Fotoalben und nicht zuletzt der Umstand, dass es der Bruder der Autorin war, den Rosa Wegschneider als letzten Menschen bestattete, ermöglicht Christiane Tramitz eine dichte und innige Erzählweise – teils schwarzhumorig, aber immer bayrisch, bodenständig und in tiefer Verbundenheit mit den Menschen ihrer Heimat.