Mobilität: Kopfkino zum „Autogesetz“?
Das Mobilitätsmonitoring 2022. Rechte: IfD Allensbach
Des deutschen liebstes Kind ist nicht die „fossile Heizung“. Nein, es ist und bleibt das Auto. Klimakatastrophe hin, Feinstaubbelastung her. Schafft der technische Fortschritt, was unserer Vernunft nicht gelingt: die Bereitschaft, Teil der Mobilitätswende zu werden?
Veranstaltung „acatech am Dienstag“ in München
Die Klimaproblematik, aber auch die vielen weiteren Zukunftsthemen sind uns von der KulturVision e.V. ein wichtiges Anliegen. Schon im Jahr 2016 haben wir die Reihe „anders wachsen“ ins Leben gerufen, seit 2021 kamen die Wissenschaftstage Tegernsee hinzu, gegründet und zwanzig Jahre organisiert von Dr. Marc-Denis Weitze, dem Moderator des Abends. Wir sind dabei immer auf der Suche nach neuen Ideen für das Oberland und bündeln unter „anders wachsen“ zahlreiche lokale Projekte und Initiativen. Im siebten Zyklus liegt unser Fokus auf dem Thema „Arbeit“. Dabei ist „Mobilität der Zukunft“ ein zentraler Aspekt in der Entwicklung von neuen Beschäftigungskonzepten und Arbeitswelten.
Vorstellung Mobilitätsmonitor 2019
Daher schauen wir gern einmal über den lokalen Tellerrand. So berichten wir heute von der Präsentation des neuen Mobilitätsmonitors 2022 von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaft, am Dienstag im Münchener Salon Luitpold. Die Akademie steht für eine unabhängige, faktenbasierte und gemeinwohlorientierte Politik- und Gesellschaftsberatung bei den großen Herausforderungen der Zukunft, die vor unserer Gesellschaft liegen. Einer der Schwerpunkte der Arbeit, die vom Bund und den Ländern gefördert wird, ist die Unterstützung des gesellschaftlichen Dialogs sowie auch die Mitarbeit an den Mobilitätssystemen im 21. Jahrhundert.
Acatech Veranstaltung am Dienstag in München. Foto: Sabiene Hemkes
Unter dem Titel „Mehr ÖVNP – aber nicht ohne mein Auto“ stellte der Präsident der Akademie, Prof. Dr.-Ing. Thomas Weber einführend einzelne Ergebnisse des ermittelten Meinungsbildes vor und ordnete sie in den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Kontext ein. Seit 2019 beauftragt acatech das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach mit der repräsentativen Befragung der bundesdeutschen Bevölkerung zum Themenkomplex Mobilität. Die Ergebnisse der Befragung werden alljährlich im „Mobilitätsmonitor“ zusammengefasst, analysiert und veröffentlicht.
Der Veranstaltungstitel nehme es schon etwas vorweg, erklärt Thomas Weber gleich zu Beginn der Veranstaltung: „Die Menschen sind bereit, so zeige es das aktuelle Monitoring, zur Veränderung der eigenen Verhaltensweisen, jedoch bestehen weiterhin große Vorbehalte bei Innovationen.“
Keine Begeisterung für E-Mobilität
Laut der Befragung habe sich die Akzeptanz für die Elektroautos seit 2019 keineswegs erhöht. Gerade mal ein Viertel der Bundesbürger könnten sich vorstellen, ein E-Auto zu kaufen. Aktuell liege der Anteil der elektrisch betriebenen Fahrzeuge bei drei Prozent. Die Gründe für die Zurückhaltung reichten von den hohen Kosten über die fehlende Ladeinfrastruktur bis hin zu Vorbehalten der Technik und der Klimafreundlichkeit des Antriebes.
Begeisterung liest sich eindeutig anders. Rechte: IfD Allensbach
Thomas Weber, ehemaliger Spitzenmanager von Mercedes, lässt jedoch in seinen Ausführungen keinen Zweifel daran, dass die formulierten Klimaziele und damit die drastische Reduzierung des CO₂-Belastung durch die Verbrennermotoren nur durch den starken Ausbau der E-Mobilität erreicht werden kann. Er machte am Dienstag aber auch deutlich, dass die neuen Mobilitätssysteme der Zukunft nur gemeinsam mit allen am Prozess Beteiligten gestaltet werden können. Auf Basis von Fakten und wissenschaftlich fundiertem Wissen. Emotionen, rein wirtschaftlich geprägte Interessen, aber auch politisches Kalkül erschwerten den angestrebten gesellschaftlichen Konsens unnötig.
Ist das Auto nach der Heizung dran
In Bezug auf die Rolle des ÖPNV als echter Alternative in der Mobilität der Zukunft sieht der Präsident anhand der Ergebnisse der Befragung noch deutlichen Handlungsbedarf. „Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind. Ohne ihre Zustimmung wird es keine signifikanten Veränderungen geben“, resümiert Thomas Weber. Dabei sei es ebenso wichtig, neben dem Umbau des ÖPNV Aspekte der Stadtplanung, das Zusammenspiel mit anderen Verkehrsträgern, digitale Innovationen und eine sich neu gestaltende Arbeitswelt in die Planungen einzubeziehen.
Ampelschalten bleiben wichtig, aber nicht mehr so entscheidend. Rechte: IfD Allensbach
Zudem verwies der acatech Präsident noch auf zwei grundsätzliche Faktoren, die bei der Auswertung der Daten eine wichtige Rolle spielen. Zum einen, ob die Menschen im ländlichen oder städtischen Umfeld leben und zum anderen der sozioökonomische Status des Befragten. Für einen bitteren Lacher sorgte der Präsident bei den Zuhörern dann zum Abschluss noch: „Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn nach dem ‚Heizungsgesetz‘ ähnliches zum Thema Mobilität von der Regierung auf den Weg gebracht wird.“ Das Kopfkino schaltet sich unweigerlich bei allen im Raum ein.
Zeit, die wir nicht mehr haben
Doch die Herausforderungen bleiben vielfältig und gewaltig. Wie auch Wissenschaftler und Stadtplaner wie Prof. Dr. Klaus Bogenberger bestätigt. Der Wissenschaftler hat einen Lehrstuhl für Verkehrstechnik an der Technischen Universität München. „Unsere Städte und auch Dörfer müssen wieder lebenswerter werden. Autos produzieren nicht nur schädliche Emissionen, sondern ebenso Lärmverschmutzung und verbrauchen viel zu viel dringend benötigten Platz“, führt Klaus Bogenberger aus.
Wolle etwa München das selbst gesteckte Ziel, 2045 CO₂-neutral zu sein, erfüllen, bliebe keine Zeit für politische Tricksereien mehr, stellt der Stadtplaner unmissverständlich fest. Sofortiges Handeln sei nun angesagt. „Die teilweise grundlegenden Veränderungen des Stadtbilds brauchen viel Zeit. Zeit, die wir eigentlich gar nicht mehr haben.“
On-Demand-Systeme fürs weite Land
Auch Dr. Kirstin Hegner, Dritte im Bunde bei der sich anschließenden Podiumsdiskussion, arbeitet als Geschäftsführerin der Digital Hub Mobility der UnternehmerTUM an nachhaltigen und alltagstauglichen Lösungen für die Gestaltung der Mobilität der Zukunft. So erkennen Kristin Hegner und ihre Mitstreiter ein großes Potenzial für den Einsatz innovativer, digitaler Technologien bei der Realisierung der gesteckten Ziele. Vor allem auch beim besonders problematischen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum.
Das 49-Euro-Ticket bekommt gute Kritiken. Rechte: IfD Allensbach
Anhand des Monitorings lassen sich die Schwachstellen des aktuellen Systems identifizieren, so Kristin Hegner weiter. „Der Einsatz digitaler On-Demand-Systeme etwa werde es ermöglichen, Schwachstellen im ÖPNV wie die geringe Frequenz/Taktung, die hohen Kosten und die geringe Flexibilität zu minimieren.“ Ebenso biete etwa der Einsatz autonomer Fahrsysteme in der Personenbeförderung, wie in Bussen und Zügen, große Vorteile für die Mobilität – sowohl in Hinsicht auf die langfristigen Betriebskosten, den positiven Effekt auf das Klima als auch den schon heute herrschenden Fachkräftemangel.
Einladung zum Mitgestalten
Auch wenn die Experten auf der Bühne sichtlich bemüht waren aufzuzeigen, dass es durchaus eine Zukunft für einen attraktiven und gleichzeitig klimafreundlichen ÖPNV gibt, machte dieser Abend auch sehr nachdenklich. Neben dem kritischen Zeitfaktor sorgten dafür die Ergebnisse des Monitorings, von dem wir nur einige hier präsentieren.
Alles Probleme, die wir auch im Landkreis nur zu gut kennen. Verspätungen, überfüllte Züge und Zugausfälle. Ein marodes Schienen-Netz. Hohe Ticketpreise, mit der Ausnahme des neuen 49-Euro-Tickets. Zudem gibt es zu wenige Buslinien, die auch noch wegen des Fahrermangels immer weiter eingeschränkt werden. Die Reduzierung der Sammeltaxi-Angebote ist ein weiteres Beispiel für die Mobilitätsdefizite außerhalb des motorisierten Individualverkehrs. Auch fehlen weiterhin ausreichend E-Ladestationen, ausgebaute Fahrradwege, Carsharing Angebote sowie klare Konzepte für die Vermeidung des individuellen Ausflugsverkehrs.
Anders wachsen ist notwendig und alternativlos, wenn wir gemeinsam unsere Zukunft und die der uns nachfolgenden Generationen nachhaltig, gerecht sowie lebenswert mitgestalten wollen. Dazu laden wir Sie alle herzlich ein.