In jedem Menschen steckt ein Drache
Einmarsch des Drachen: Leonhard Obermüller, Andrea Beier und Korbinian Kloiber (v.l). Foto: Becky Köhl
Theater in Valley
Es ist ein bedrückendes Stück und hält doch am Ende eine positive Botschaft bereit. „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz, 90 Jahre alt und aktueller denn je. Die Theatergruppe DRAMADAMA unter der Regie von Lydia Starkulla überzeugt und begeistert durch Inszenierung und schauspielerisches Können.
Soll man wirklich, wie der Kater (Alexander Brunner) sagt, in einer von einem Tyrannen beherrschten Gesellschaft stillhalten und sich dort, wo es warm und weich ist, niederlassen, dösen und nicht über die Zukunft nachdenken?
Dominik Kirschner, Alexander Brunner und Veronika Miller (v.l.). Foto: RK
Das ist eine der Kernfragen dieses Stückes, 1943 von dem russischen Dramatiker Jewgeni Schwarz angesichts der Hitlerdiktatur geschrieben. Es wurde zum Kultstück in der DDR, wo es über viele Jahre in der Inszenierung von Benno Besson am Deutschen Theater lief und das Publikum sich im Volk der märchenhaften Parabel wiederfand.
Brisanter Stoff
Es ist das Verdienst von Lydia Starkulla und ihrer Gruppe DRAMADAMA, sich dieses brisanten Stoffes anzunehmen und die Frage zu stellen, solle man zu Duckmäusern werden, solle man zu Wendehälsen werden? Wie verhält sich der Mensch in der Diktatur, in der es sich bequem einrichten lässt?
Die Regisseurin lässt die Aufführung wie in einer Arena in der Mitte des Saales des Schlossbräus Valley spielen und gruppiert das Publikum ringsum. Die Darstellenden kommen und gehen durch die vier Türen des Raumes und bewegen sich permanent quer durch den Saal, in dessen Mitte der Thron des jeweiligen Herrschers steht. Ja, jeweilig.
Gisela Emmi Siade, Dominik Kirschner und Veronika Miller. Foto: RK
Zunächst ist es also der dreiköpfige Drache, der die Stadt seit 400 Jahren beherrscht und jedes Jahr ein Menschenopfer fordert. Das ist für alle so in Ordnung, sogar für Elsa, die in diesem Jahr dem Drachen übergeben werden soll. Veronika Miller spielt die junge Frau, die sagt, daran sei nun einmal nichts zu ändern, authentisch: „Die Stadt wird drei Tage trauern und kein Fleisch essen.“
Dann aber erscheint Lanzelot, von Beruf Held, und will die Stadt vom Tyrannen befreien. Der Blitz schlägt ein, Elsa strahlt, die Liebe verwandelt sie und so kann sie auch der Versuchung widerstehen, sich zu retten. Dominik Kirschner ist ein souveräner, selbstbewusster, starker Drachenkämpfer, dem man vertrauen kann. Das Volk indes misstraut ihm, denn es hat sich arrangiert.
Angst vor Neuem
Und hat Angst vor Neuem, vor Veränderung. Elsas Großmutter Charlotte spricht es aus: „Zigeuner sind scheußliche Menschen“, obwohl sie noch nie welche sah. Gisela Emmi Siade spielt die Wandlung von der angepassten Bürgerin („Der Drache ist gütig“) hin zur Kämpferin, die Einspruch erhebt, überzeugend und sympathisch.
Christian Selbherr und Jochen Geipel (v.l.). Foto: RK
Lanzelots Gegenspieler ist keineswegs der Drache, sondern das machtbesessene Stadtoberhaupt und dessen schmieriger Sohn. Jochen Geipel als ordensbehängter Bürgermeister liefert eine schauspielerische Glanzleistung in seinem schizophrenen Wesen, was ihm nicht nur sprachlich, sondern auch körperlich-akrobatisch alles abverlangt.
Machtgier und Feigheit
Er wirkt als Witzfigur in seiner Zwangsjacke und ist überzeugt: „Die Menschen lieben es, wenn ich meinen Schwachsinn von mir gebe.“ Machtgier und Größenwahn, das sind die Verbrechen von denen Lanzelot spricht und die in dem großen Buch der Welt auf ewig niedergeschrieben werden.
Aber auch Feigheit, Unterwürfigkeit, Hinterhältigkeit sind Themen menschlichen Versagens. Glänzendes Beispiel dafür liefert Christian Selbherr als Heinrich, Sohn des Bürgermeisters, der ihn gleichzeitig bespitzelt. Gruselig, seine devote, aalglatte Art, sich immer so zu positionieren, wie es gut für ihn ist. Schauspielerisch wie Jochen Geipel eine herausragende Leistung.
Der Drache und Elsa. Foto: RK
Und der Drache? In der legendären Berliner Inszenierung war es ein Ungeheuer mit einer Flügelspannweite von 11 Metern. Lydia Starkulla hat das Problem kreativ gelöst und das dreiköpfige Wesen mit drei Schauspielern besetzt. Andrea Beier, Korbinian Kloiber und Leonhard Obermüller erscheinen nach Donnergetöse in silberglänzenden Anzügen und halten das Volk im Griff als arrogante, von sich überzeugte Typen.
Der Drache und das Volk
Die drei Darstellenden können mit Mimik und Gestik vermitteln, dass sie die Macht ausüben und zeigen Elsa plastisch, was sie erwartet. Und dem Volk gefällt das, es hätschelt den Drachen. Denn es sei schlimmer als über den Rasen zu gehen, den Drachen zu verärgern. Und so wird Lanzelot auch nicht unterstützt, bis das Händlerpaar erscheint, als einzige nicht silbern gekleidet. Regina Deflorin D’Souza und Daniel Rasch sprechen mit einer Stimme und haben für Lanzelot nicht nur Waffe, sondern auch Tarnkappe mitgebracht.
Regina Deflorin D’Souza und Daniel Rasch. Foto: RK
Der Kampf beginnt. Und danach wird ein neues Kapitel Im Leben des Volkes aufgeschlagen. Jetzt können die Menschen zeigen, welches Geistes Kind sie sind. Kein Wunder, dass Elsa sagt: „Ich habe Angst vor den Menschen.“ Lorenz Schmaus, Ludwig Stürzer, Eva Hort, Johanna Odriozola Engl, Daniela Scheuenstuhl-Anduleit, Indira D’Souza, Julia Engl, Luzi Schwarzer und Manfred Demmel verkörpern das Volk in beängstigender Weise.
Das Volk. Foto: RK
Und so gibt es zwar am Ende eine gute Botschaft, aber das beklemmende Gefühl bleibt. Welche Botschaft? Unbedingt ansehen! Und die Botschaft mitnehmen und umsetzen.
Zum Weiterlesen: DRAMADAMA im Valleyer Schlossbräu