Geschichte „Made in Miesbach“
Maschinenmeister Franz Sonnleitner in der Druckerei Mayr in Miesbach. Foto: Kulturamt Miesbach
Made in Miesbach
Seit dem Erfolg der ersten Ausstellung „Uhren“ im Jahr 2022 ist die Arbeitsgruppe „Ausstellungen“ des Museumsvereins Miesbach so etwas wie ein Geheimtipp für spannende Inszenierungen zur Miesbacher Geschichte.
Seit dem 12. Oktober 2023 ist das Foyer des Miesbacher Rathauses wieder „Museum auf Zeit“, sind hier doch über 30 Exponate und vier Schautafeln aufgestellt, die den Besucher zu einer spannenden Zeitreise in die vergangenen beiden Jahrhunderte einladen. Thema ist dieses Mal die Epoche der Industrialisierung, eine Phase, in der die alten Herstellungsmethoden der Manufakturen sich radikal veränderten: Maschinen übernahmen wichtige Arbeitsschritte, das Tempo steigerte sich – und der Mensch musste mitmachen.
Wie drei Branchen vor Ort in Miesbach die Herausforderungen dieser Zeit bewältigten und ob sie den Schritt in die heutige Zeit schafften, das ist nun in dieser gemeinsam von der Stadt Miesbach und dem Kulturamt der Stadt sowie vielen Akteuren gestalteten Schau hautnah zu erleben.
Von langer Hand vorbereitet
Nachdem die Ausstellung „Miesbach und seine Uhren, Geschichte(n) aus fünf Jahrhunderten“ so viel gute Resonanz erfahren hatte, machte sich das Team – Maria Krüger-Basener, Eva Egginger, Andreas Kempf, Hermann Kraus und Susanne Nortmeier – auf die Suche nach einem neuen starken Thema. „Wir haben seit Dezember 2022 am Konzept gearbeitet“, verrät Hermann Kraus vom Ausstellungsteam beim Interview. „Als die Idee, eine Ausstellung zur Industrialisierung zu machen und sie MADE IN MIESBACH zu nennen, von Susanne Nortmeier kam, waren wir anderen sofort Feuer und Flamme.
„Made in Miesbach“ verbindet drei besondere Themen der Stadtgeschichte. Foto: Eva Egginger
Also haben wir uns wieder an das Kulturamt der Stadt gewendet und im Gespräch mit Miesbachs Museumskurator Alexander Langheiter erfahren, welches Material wir im Museumsdepot haben. Wir haben mehrere Unternehmen im Auge gehabt, etwa den Kohlebergbau oder das Bier, unsere Verlage oder die Lebzelterei. Doch zum Schluss haben wir uns auf drei Branchen geeinigt, deren Geschichte nicht so allgegenwärtig ist: die Hutmacherei, die Molkerei und das Druckereiwesen.“
Überraschung in Miesbach
Obwohl zur Entwicklung aller drei Branchen hochinteressante Exponate im Museumsdepot schlummern, griff der Arbeitskreis wieder auf Bewährtes zurück und bat die Bevölkerung um Mithilfe. „Ich hatte die Zeitung mit der Annonce noch nicht einmal aufgeschlagen, da klingelte schon das Telefon und Fritz Stanglmeier sagte seine Unterstützung zu.“ Ein Glücksfall, denn Fritz Stanglmeier hat schon seine Lehrzeit in der Druckerei Mayr Miesbach verbracht. Wie sich herausstellte, hat Stanglmeier mehrere Originaldruckmaschinen erworben und seither wie einen Schatz gehütet.
Lesetipp: Vom Kommen und Gehen
„Selbst eine alte Tiegeldruckpresse ist in seinem Besitz“, freut sich Hermann Kraus, in dessen Händen die Realisierung des Themas „Druck“ lag. „Sehr spannend war es auch, die Historie der Druckereien am Ort zu recherchieren. Neben der Druckerei Mayr Miesbach existierte zum Beispiel noch bis 1997 die Druckerei Bommer – wie Mayr über Generationen eine überaus packende Erfolgs- und Familiengeschichte, zu deren Aufarbeitung Veit Bommer mit seiner Facharbeit über die Druckerei seiner Familie viel Wichtiges beigetragen hat.
Hüte – Hüte – Hüte
„Ja, Miesbach war einmal eine kleine Hutmetropole mit vier Hutfabriken“, verrät Alexander Langheiter, als Museumskurator der oberste Wächter der Schätze des Museumsdepots. Ihm haben es die Hüte, das Thema, das er betreut, aus vielen Gründen angetan. „Was ich vorher nicht wusste: Die Hüte aus Miesbach waren Velour- und Haarhüte, also Hüte von besonders guter Qualität.“ 1913 wurde die „Hutfabrik Kohlnhofer“ in Miesbach Königlicher Hoflieferant. Diese ehrenvolle Ernennung war der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in Miesbach nachweislich 1625 mit dem ersten Hutmacher begonnen hatte.
Die „Hut“-Stellwand in der Ausstellung „Made in Miesbach“. Foto: Museumsverein Miesbach
Nachdem 1826 der aus Tirol stammende Joseph Kohlndorfer das Geschäft übernommen hatte, begann der steile Aufstieg des Unternehmens und der Familie, die bis Ende der 1960er Jahre zu den größten Arbeitgebern der Stadt zählte: Unter Anton Kohlndorfer (1895-1949) gelang die Umstellung von der Manufaktur auf die fabrikmäßige Hutproduktion: Mit mehr als 200 Mitarbeitern stellte das Unternehmen bis zu 40.000 Hüte im Monat her, die bis in die USA exportiert wurden. Als sich die modischen Gewohnheiten änderten und der Hut aus dem Straßenbild verschwand, war Schluss: In den 1970er Jahren musste die Firma schließen.
Die Tradition fortführen
Doch so spannend der Aufstieg und der Niedergang von Kohldorfer sein mag – es ist nicht die einzige Hutmacher-Geschichte in der Stadt: Auch Namen und Schicksale wie die von Joseph Holzer, Maria und Jakob Pollinger, Karolina Gollwitzer, Michael und Josef Gratzer, Ulrich Rager oder Otto Koch und manch anderer sind eng mit der langen Tradition der Produktion und Gestaltung von Hüten „Made in Miesbach“ verbunden. Auch heute noch gibt es in Miesbach eine richtige Modistin. „Ein faszinierender Beruf, der allerdings auch viel Kundengespür verlangt“, erklärt Brigitte Hilz vom Hutladen „Schöner Schein“ mit einem Lächeln. Ihr ist im Kleinen gelungen, was auch das Großunternehmen Mayr Miesbach GmbH auszeichnet – eine einst in der Stadt angesiedelte Branche mit den heutigen Möglichkeiten zu verknüpfen. Und damit noch nicht genug.
Es gab einmal eine Molkerei
„Die Hüte sind natürlich die Eyecatcher der Ausstellung“, sagt Maria Krüger Basener und schmunzelt. Die Technik-Professorin – von Anfang an Teil der Arbeitsgruppe – hat für die aktuelle Ausstellung die „Schirmherrschaft“ für eine urtypische Miesbacher Branche übernommen – die Molkerei: „Man könnte auch sagen, wir beleuchten hier Industriegeschichte von unten. Milch ist ja so etwas wie das weiße Gold des Oberlandes und der Milchhof, der in Miesbach bis 2005 in der Haidmühlstraße 17 stand, war zu Beginn eine genossenschaftliche Einrichtung der Bauern aus der Umgebung.
Die Käselagerung in der Genossenschaftsmolkerei Miesbach. Foto: Kulturamt Miesbach
1926 errichtete man zunächst eine kleine Molkerei. Diese wuchs dann zu einem 100 Meter langen fabrikartigen Komplex heran, bis sie 2005 im Lauf des Einbruchs der Milchwirtschaft aufgegeben wurde.“ Heute führt der Milchhof Miesbach eG einen Teil der Aktivitäten fort: Unter dem Dach „Milchproduktenhandel Oberland eG“ vertreibt das am Windfeld 24 angesiedelte Unternehmen heute eigene und fremde Lebensmittel.
Geschichte und Geschichten in Miesbach
„Es war nicht nur eine große Bereicherung, in die Geschichte der Milchwirtschaft einzutauchen und noch einmal mitzuerleben, wie die Bauern ihr eigenes Schicksal in die Hand genommen haben. Wir haben auch viel Unbekanntes entdeckt“, erklärt Frau Krüger-Basener. „Wer weiß heute noch, wozu die Kannennummern der Molkerei dienten oder warum die Milch der Miesbacher Erzeuger nicht mehr in der Stadt Miesbach selbst verarbeitet wird?“ Doch das ist noch längst nicht alles. So wie die Arbeitsgruppe herausgefunden hat, dass der Miesbacher Pfarrer Simon Schmid als Miterfinder der Lithografie in der Münchner Ruhmeshalle geehrt wird, hat sie auch eine Fülle von Geschichten rund um die Themen ausgegraben.
Der Setzkasten der geschichtlichen Vielfalt. Foto: Eva Egginger
Da geht es um Zylinder und den Chapeau Claque, da gab es einen Johann Kaiser, seines Zeichens Hutstoff-Macher in Miesbach, der dem Armenfond der Stadt bei seinem Tod 4000 Mark hinterließ. All diese und noch viel mehr wahre Geschichten finden sich in der Ausstellungszeitung „Miesbacher Gewerbeanzeiger“, die großartiges Lesevergnügen verspricht. Gestaltet hat den Anzeiger, für den das ganze Team die Artikel schrieben und Fotomaterial sammelten, wieder die Grafikerin im Team: Eva Egginger hat die geniale Idee, einen Setzkasten als Klammer für die Vielfalt der Exponate zu nutzen, im Flyer und auf den Plakaten perfekt umgesetzt. So entsteht gleich der richtige Eindruck, dass die Ausstellung viele Elemente bewegt.
Interaktiv und bereichernd
Diese Geschichten sind auch auf der Website des Museumsvereins für die Zeit der Ausstellung verfügbar (www.museumsverein-miesbach.de). Für die Besucher gibt es auch ein kleines Quiz, mit dem sie testen können, was sie schon über die drei Branchen Wissen. Wer also neugierig ist, wie sich der technische Wandel (Druckgewerbe), wie sich Änderungen in der Mode (Hutproduktion) und wie sich eine Veränderung der Abnehmermärkte (Milchverwertung) auch in Miesbach auswirkten, der sollte in der Zeit vom 12.10 bis zum 03.11.2023 das Foyer des Miesbacher Rathauses zu den üblichen Öffnungszeiten aufsuchen.
Übrigens: Haben Sie gewusst, dass die heute so beliebte Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ 1887 vom britischen Parlament für deutsche Waren vorgeschrieben wurde? Sie sollte die „minderwertige“ Waren aus deutscher Industrieproduktion kennzeichnen.
Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte in den Miesbacher Stadtgeschichten.