Linkshändiges Musizieren

Die Hand, die den Ton macht, macht die Musik

Trafen sich im winterlichen Schaftlach, um sich über linkshändiges Musizieren auszutauschen und gemeinsam Kammermusik zu machen (v.l.): Ulrike Scheuchl (Flöte und Klarinette), Renata Soraya (Cello), Helen Layer (Bratsche), Heidi Schneider (eigentlich Klavier), Erika Uggowitzer (Querflöte) und Christine Vogel (Gambe und Violine). Foto: privat

Linkshändiges Kammermusikwochenende in Schaftlach

Ex-Beatle Paul McCartney tut es, Jimi Hendrix und Nirvana-Frontsänger Kurt Cobain taten es ebenfalls – ihre Gitarren mit links spielen. Was in der Popularmusik kein großes Thema ist, ist in der Klassik noch recht unkonventionell: linkshändiges Musizieren. Viele linkshändig spielende Musiker wünschen sich jedenfalls mehr Offenheit für das Thema. Mitte Januar trafen sich sechs klassisch ausgebildete Musikerinnen in Schaftlach für ein linkshändiges Kammermusikwochenende.

Heutzutage ist es zwar kein Stigma mehr, mit der linken Hand zu schreiben, aber in vielen Lebensbereichen liegt der Fokus nach wie vor auf der rechten Hand. Auch im klassischen Musikbereich wird Linkshändigkeit immer noch ziemlich konservativ behandelt, erzählen die Profi-Musikerinnen, die es sich kürzlich im Wohnzimmer von Heidi Schneider mit ihren Instrumenten und Notenständern gemütlich gemacht haben. Auf Einladung der Ärztin und Klavierliebhaberin aus Waakirchen-Schaftlach, tauschten sie sich ein ganzes Wochenende lang über linkshändiges Musizieren aus und machten gemeinsam „händigkeitsgerecht“ Kammermusik. Von Mozart über Beethoven, Carl Philipp Emanuel Bach und Henry Purcell bis hin zu Leonora Duarte. – Übrigens Komponisten, von denen man teilweise weiß, dass sie ebenfalls linkshändig waren.

Linkshändiges Musizieren in Schaftlach

Warum ein linkshändiges Kammermusikwochenende in Schaftlach? Ganz einfach: Weil Heidi Schneider ihr Instrument nicht einfach in die Tasche stecken kann. Bei ihr steht, direkt neben einem konventionellen Klavier, eines der bislang wenigen Linkshänder-Klaviere in Deutschland. Die Tasten sind hier andersrum angeordnet, so dass sich die Melodie mit der linken Hand spielen lässt, wie Heidi Schneider später noch demonstriert. Bei meiner Stippvisite in Schaftlach gibt es erstmal eine andere Hörprobe.

Linkshändiges Musizieren
Links das konventionelle, rechts das Linkshänder-Klavier von Heidi Schneider. Wer sich ein bisschen auskennt: An beiden Tastaturen ist zu Beginn der Klaviatur jeweils das hohe C (c5) zu sehen. Foto: privat

Auch beim Musizieren gibt es eine Schokoladenseite

Als die Klarinettistin Ulrike Scheuchl erst „rechtsherum“ und dann mit ihrer dominanten linken Hand ihre erste Blockflöte anspielt, kann ich ihn tatsächlich hören, den feinen, aber doch deutlichen Unterschied. Allein diese wenigen Töne kommen sofort sanfter und gleichsam satter – kurzum authentischer – aus jenem Blasinstrument, das ursprünglich für Rechtshänder gefertigt wurde. Damit sie es auch mit links spielen kann, hat Ulrike Scheuchl die doppelten Grifflöcher umarbeiten lassen. Das Fußstück der Flöte lässt sich einfach in die passende Richtung drehen. „Es existiert immer noch die Meinung, beim Musizieren ist Händigkeit nicht wichtig. Aber wir haben festgestellt, dass es schon einen Unterschied macht“, sagt die freischaffende Musikerin. „Es macht mehr Spaß, es geht leichter. Ich vergleiche das immer mit der Schokoladenseite. Wie beim Skateboard- oder Snowboardfahren, da ist ja auch ein Lieblingsfuß vorne.“

Linkshändiges Musizieren
Schauplatz für das linkshändige Kammermusikwochenende war das Wohnzimmer von Heidi Schneider (2. v.li am Vibrafon), in dem eines der wenigen Linkshänder-Klaviere Deutschlands steht. Foto: Daniela Skodacek

Das Körpergefühl ist bei ihnen links stimmiger

„Wir“ – das sind neben der Münchnerin Ulrike Scheuchl (Klarinette und Flöte), Christine Vogel (Gambe und Violine) aus Frankfurt, die Geigenbauerin Helen Layer (Bratsche) aus Würzburg, Renata Soraya (Cello) aus Neustadt an der Weinstraße, Erika Uggowitzer (Querflöte) aus Graz sowie Musikpädagogin Heidi Schneider. Kennengelernt haben sich die Musikerinnen unter anderem beim Linkshändertag in Frankfurt, der international am 13. August stattfindet, sowie über die Initiative mit der gleichnamigen Plattform für linkshändiges Musizieren. Bis auf Helen Layer haben alle ihr musikalisches Metier ursprünglich auf einem „normalen“ Rechtshänder-Instrument erlernt und geben auch Musik- und Instrumentalunterricht.

Bei jeder von ihnen ist das Körpergefühl jedoch auf der linken Seite stimmiger, erklären sie unisono. Die Körperhaltung, -stabilität und -balance samt der Atmung sei sofort eine andere, wenn die „starke“ Hand für die Töne sorgt – und bei Blasinstrumenten das Instrument zusätzlich hält. „Der Ausdruck kann erst richtig in den Ton hinein gehen, wenn die geschicktere, eindrucksvollere und emotional mehr gewichtete Hand ihn ausführt“, meint Ulrike Scheuchl. Mit der anderen (rechten) Hand gehe das nicht, auch wenn man noch so intensiv übe, es sei einfach nicht intuitiv. Mit der nicht dominanten Hand müsse man zudem einen Tick mehr nachdenken, das sei Energie-intensiver und ermüde schneller, wissen die Musikerinnen zu berichten.

Linkshändig musizieren
In unterschiedlichen Besetzungen spielten die Musikerinnen Kompositionen von Mozart über Beethoven, Carl Philipp Emanuel Bach und Henry Purcell bis hin zu Leonora Duarte. Foto: privat

Gerade auch bei Streichinstrumenten kommt die Tonausführung klarer zur Geltung, wie Christine Vogel beweist. Und tatsächlich höre ich feinste Nuancen, als sie zunächst rechts- und dann linksherum über die Saiten ihrer Gambe streicht und die Töne sachte ausklingen lässt. Eindeutig sauberer und gefühlvoller klingt das, als sie den Bogen mit ihrer linken Hand führt. „Irgendwann kommt man beim Üben nicht mehr weiter, wenn man nicht mit seiner Linkshändigkeit am Linkshänderinstrument üben kann“, sagt Musikpädagogin Heidi Schneider. Wie der Cellistin Renata Soraya und der Flötistin Erika Uggowitzer sei Heidi Schneider übrigens lange gar nicht bewusst gewesen, dass sie eigentlich Linkshänderin ist. Erst beim Beobachten ihrer Klavieranfängerschüler vor Ort habe sie immer mal wieder Unterschiede in minimalen Gegenbewegungen der Finger wahrgenommen und schließlich mehr über Händigkeit nachgelesen, wie den Klassiker von Barbara Sattler „Der umgeschulte Linkshänder: Oder Der Knoten im Gehirn“.

„So habe ich beim Lesen des Buches mit etwa 50 Jahren festgestellt, dass ich selbst Linkshänderin bin.“ Das glich quasi einem Schock und Heidi Schneider versuchte, vieles mühsam umzulernen. Zu ihrem Linkshänder-Klavier von Blüthner sei sie dann relativ schnell gekommen. Inzwischen ist die Medizinerin eine große Fürsprecherin für Händigkeitsgerechtes Musizieren und wird demnächst international zu diesem Thema referieren – bei der Konferenz der Europäischen Klavierlehrer-Vereinigung in Luzern und beim Symposium der österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin in Wien.

Musikunterricht problemlos möglich

Während in vielen Sportarten und in der Popularmusik das Thema eigentlich kein großes Thema ist, sondern sogar von Vorteil sein kann, werde vor allem im professionellen klassischen Musikbereich noch wenig an Linkshändigkeit gedacht, erzählen die Musikerinnen. Niemand müsse jedoch Angst davor haben, vor allem nicht in puncto Musikunterricht. Auch rechtshändige Musiklehrer können linkshändige Musikschüler mühelos unterrichten – einfach gegenüber wie in einem Spiegel. „Viele Eltern glauben, dass es keine guten Instrumente für Linkshänder gibt oder dass ihr Kind später deshalb nicht in einem Orchester spielen könne. Das ist für Laien wie für Profis kein Argument.“

Die Frage sei, ob man nicht sogar verhindere, dass sie in ein Orchester kommen wegen der nicht beachteten Händigkeit. Selbst die Bildung des musikalischen Gehörs kann verzögert sein, wenn nicht die „starke“ Hand gefördert wird, weiß Heidi Schneider. Auch von einem besseren Harmonieverständnis berichten die Musikerinnen. „Sehr komplexe Musik wie etwa Strauss-Opern zu hören, das lerne ich erst jetzt“, erzählt Renata Soraya. Und Erika Uggowitzer verrät, dass sie früher nach den Unterrichtsstunden für ihre Flötenschüler gar nicht mehr für sich selbst üben mochte. „Ich konnte es nicht mehr hören.“ Seit sie mit links musiziert, sei das völlig anders.


Streichinstrumente lassen sich oftmals auf links umbauen. Foto: privat


Bei modernen mechanischen (Holz-)Blasinstrumenten funktioniert das meist nicht so leicht. Foto: privat

Musikschulen sollten nach Ansicht der Musikerinnen auch besser auf die Händigkeit von Kindern achten. Für Kinder, die ein klassisches Instrument erlernen möchten und deren linke Hand dominiert, gebe es oft bereits genug passende Miet- oder Leih-Instrumente. Erst im Profi-Bereich lassen sich viele Musiker ihre Instrumente eigens anfertigen – das gelte aber ebenso für rechtshändige Musiker. Viele Instrumentenbauer seien auch bereit, Linkshänder-Instrumente anzufertigen. Nur die Nachfrage sei noch zu gering. „Es liegt auf der Hand, dass man sowas einfach bauen kann“, meint Helen Layer, die mit ihrem Gesellenstück, einer Linkshänder-Geige, bei ihrem Prüfer dennoch für Staunen sorgte, wie sie schmunzelnd erzählt. Ihre eigenen Instrumente haben die Profi-Musikerinnen auch anfertigen oder speziell umbauen lassen. Letzteres funktioniert bei Streichinstrumenten besser als bei mechanischen (Holz-)Blasinstrumenten. Elektronische Pianos lassen sich je nach Modell sogar umprogrammieren.

An ihren beiden akustischen Klavieren demonstriert Heidi Schneider schließlich noch die unterschiedlichen Bewegungen der Melodie-führenden und der Bass-Hand mit einem kurz angespielten Musikstück und zeigt dann mir noch ein Kniff: „Wenn man die Bewegungen vom Linkshänderklavier auf das Rechtshänderklavier überträgt, hat man ganz neue Musik.“ Und diese Neukomposition kann sich hören lassen!

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