„Leben an der Front“ – Florian Bachmeier
Shihuriwka 2023: Das Bild von dem Veteranen Dobryak, der trotz Beinprothese im Einsatz war, wurde mit dem ersten Preis Pressefoto Bayern in der Kategorie Europa ausgezeichnet. Foto: Florian Bachmeier
Vernissage „Leben an der Front“
Wenn der Verstand nicht mehr zu fassen vermag, was das Auge sieht, dann übernimmt das Herz und macht einen Raum frei für tiefe Bewegtheit. Eine solche Zone, in der die Zeit still zu stehen vermag, schafft Florian Bachmeier mit seinen Bildern aus der Ukraine. Sie erzählen die Geschichten der Menschen, die in dem krisen- und kriegsgebeutelten Land ihren Alltag versuchen zu bewältigen. In Schliersee stellt der Fotograf nun seine jüngsten Eindrücke aus der Ukraine unter dem Titel „Leben an der Front“ aus.
„Ich habe sofort eine große Liebe für Land und Leute empfunden“, sagt Florian Bachmeier über die Ukraine. Schon bei seinem ersten Besuch dort im Jahr 2012 sei er so fasziniert gewesen, dass ihn diese Verbundenheit über die vergangenen zwölf Jahre immer wieder in den osteuropäischen Staat zurückzog, trotz, oder gerade wegen der ständigen Konflikte und der damit verbundenen Zerstörung von Land und Leben.
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Denn nicht erst seit dem Überfall Russlands im Jahr 2022 steckt die Ukraine in tiefen Machtkämpfen. „Die Ukraine steht am Scheideweg, nicht zum ersten Mal in der tragischen und unglücklichen Geschichte dieses Landes“, erklärt der Fotograf und studierte Historiker. Dort laufe Geschichte im Schnelldurchgang ab.
Ein Zyklus von Schmerz und Hoffnung
Mit seinen mehrfach ausgezeichneten Fotografien erzählt der Schlierseer die Geschichten der Menschen, die in den von Konflikten betroffenen Gebieten leben. Seine jüngsten Bilder sind das Ergebnis seiner Reisen im April und Mai dieses Jahres und komplettieren einen Zyklus, der Orte an fast allen Abschnitten der Front umfasst. Stumm erzählen sie von den Gräueltaten des Krieges, von Zerstörung und Schmerz, von Verlust und Angst.
Hroza 2024. Foto: Florian Bachmeier
Wie etwa ein verlassener Stuhl in der Küche von Wolodymyr, von welchem er täglich auf den kleinen Platz blickt, wo am 5. Oktober 2023 während einer Gedenkfeier eine Rakete einschlug und 59 Zivilisten tötete. Gleichzeitig zeigen sie die Hoffnung, „die in den Augen der Menschen leuchtet“.
Pravdyne 2023, Sergej. Foto: Florian Bachmeier
Sie erzählen die Geschichten vom Überleben, von Mut und von stiller Entschlossenheit, „die das ukrainische Volk in diesen schwierigen Zeiten zusammenhält“, sagt Florian Bachmeier. Wie die von Sergej, der unter Lebensgefahr und trotz wiederholter Drohungen russischer Besatzer die menschlichen Überreste von sechs Nachbarn bestattete.
Freiheit und Verbundenheit
Dem Fotografen gelinge es mit seinen Bildern, „die Augen zu öffnen für eine Wirklichkeit, die wir manchmal gar nicht sehen“, erklärt es Diakon Joachim Baumann bei der Vernissage zur Eröffnung der Ausstellung im Pfarrheim St. Sixtus in Schliersee. Eine Realität, die manch einer wohl gerne nicht sehen würde, denn oft genug habe er sich in der jüngsten Zeit mit der Frage konfrontiert gesehen, „wie man zu einem Pfarrfest solche Bilder zeigen kann?“.
Dieses fand in der katholischen Kirchengemeinde St. Sixtus am gestrigen Samstag statt und für den Diakon sei schnell klar gewesen, dass es eben genau diese Fotografien momentan bräuchte. „Was beschäftigt uns Menschen? Die Sehnsucht nach Frieden.“ Es gehe um Werte wie Freiheit und Mit-menschlichkeit und die Bilder würden genau diese Werte thematisieren.
Eröffneten die Ausstellung: (v.l.) Florian Bachmeier, Yulia Usikova, Mechtild Manus, Joachim Baumann und Monika Eckl. Foto: SB
Dass Schliersee eine besondere Verbundenheit zur Ukraine habe, sei vor allem auch den vielen ukrainischen Geflüchteten zu danken, die in der Gemeinde eine Heimat gefunden hätten. Sie waren es auch, welche Florian Bachmeier bereits zwei Tage vor der Eröffnung in seine Ausstellung einlud, um deren Meinung zu seinen Fotografien zu hören. „Es war für mich sehr bewegend, dass ihr in unseren Gesprächen eure Eindrücke, Ängste und Geschichten mit mir geteilt habt“, bedankt er sich bei den zur Vernissage zahlreich erschienenen ukrainischen Gästen.
Borschtschiwka 2024: Das traumatisierte Mädchen Angelina. Foto: Florian Bachmeier
Dies habe ihm noch einmal ein besseres Verständnis für seine Arbeit gegeben. Dieser Krieg sei nicht nur ein allgemeiner Krieg für die gesamte Ukraine, sondern auch für jeden Einzelnen, erklärte Yulia Usikova. Die ukrainische Fotografin lebt seit Kriegsbeginn 2022 in Schliersee und ihre Perspektive sei ein wichtiger Teil dieser Ausstellung geworden, ergänzt Florian Bachmeier. Gefühlvoll spielt Monika Eckl am Akkordeon eigens für die Eröffnungsfeier einstudierte ukrainische Lieder und umrahmt diese somit perfekt.
Florian Bachmeier erzählt fotografisch Geschichten
„Die Bilder fordern uns emotional, politisch und intellektuell“, fasst es Mechthild Manus zusammen, welche durch den Abend führt und maßgeblich daran beteiligt war, die Fotografien in das katholische Pfarrheim zu holen. Sie erklärt auch die ausgestellte Landkarte der Ukraine, welche in rot eingezeichnet den derzeitigen Verlauf der Kriegsfront zeigt. „Die gelben Stecknadelköpfe zeigen wo die Fotografien entstanden sind, die sie in der Ausstellung sehen.“
Die Landkarte der Ukraine, mit der in rot eingezeichneten derzeitigen Frontlinie. Foto: SB
Die roten Stecknadelköpfe würden die Orte kennzeichnen, aus welchen die nun hier lebenden Ukrainer stammen. Es sind Orte, von denen manche nur noch in Trümmern existieren. Florian Bachmeier war etwa in Cherson oder in den von der Ukraine zurückeroberten Gebieten südlich von Mykolajiw, in den Dörfern an der Front im Donbass bis hinauf zur Oblast Charkiw im Norden. „Dort beeindruckte mich der unerschütterliche Geist der Menschen, die trotz der ständigen Gefahr weiterleben, weiterarbeiten und ihre Gemeinschaften aufrechterhalten“, erklärt der Fotograf.
Welykyj Burluk: Landschaft nach einem Gefecht. Foto: Florian Bachmeier
Er habe Landschaften gesehen, die vom Krieg gezeichnet seien, wo das Leben jedoch weitergehen müsse, obwohl es schlichtweg absurd erscheine. Doch nicht alle könnten einfach fliehen, vor allem alte und kranke Menschen. Sie leben dort unter unwürdigen Bedingungen, erhalten wenig bis gar keine humanitäre Hilfe. Es sind Geschichten wie die von der traumatisierten Angelina, die unter Panikattacken leidet und ohne ihre Mutter zu Verwandten fliehen musste. Doch es gäbe auch diejenigen, die nicht fliehen wollen, weil sie Angst haben, „dass ihnen das bisschen was sie noch haben genommen wird“.
Die Geschwister Mischa und Aljona bei ihrer Verabschiedung. Foto: Florian Bachmeier
Er sei immer wieder tief beeindruckt von der tiefen Verwurzelung dieser Menschen in ihrer Heimat. Wie die Geschwister Mischa und Aljona. Sie bringt als Freiwillige Versorgungsgüter an die Front und verabschiedet sich von ihrem Bruder, der für die nächsten Tage mit einer russischen Offensive rechnet. „Sie leben in ständiger Lebensgefahr, in Angst vor Beschuss, vor Entführung und Folterungen, doch der Verlust ihrer Heimat scheint für sie der größte Albtraum zu sein“, betont Florian Bachmeier.
„Unser Volk ist sehr stark.“
Dass er sich selbst bei jedem seiner Besuche in Lebensgefahr begibt, ist dem Fotografen bewusst. Dies sei für seine Frau und Kinder und auch seine Eltern „nicht immer leicht“. Fährt er wieder auf einen Einsatz, versuche er nicht zu viel darüber zu sprechen erzählt er. Konfrontiert mit dem Leid und der Zerstörung in der Ukraine wieder nach Hause zurückkommen, sei besonders in den ersten Tagen zuhause nicht immer leicht. „Da erscheinen einem die Alltagsprobleme über welche sich manche ärgern dann völlig absurd.“
Isjum 2024: Unbeheizte Zelle in der Polizeistation der Stadt. Unter unmenschlichen Bedingungen hielten russische Einheiten hier während der Besatzung mehr als 200 ukrainische Kriegsgefangene fest und folterten sie. Foto: Florian Bachmeier
Er müsse seine Erfahrungen an der Front jedoch nicht verdrängen, denn er sei jedes Mal wieder dankbar dafür, welche Nähe er zu den Menschen vor Ort empfinden dürfe. Es ist genau diese Nähe, welche seine Fotografien so bewegend machen. „Ich möchte Respekt und Empathie wecken“, sagt er. Für ein Land und dessen Menschen, welche ihm selbst so sehr ans Herz gewachsen sind. „Unser Volk ist sehr stark, wir schaffen das“, sagt Yulia Usikova.
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