Grenzen des Humors
Ein eingespieltes Duo: Bereits 2016 diskutierten Gerhard Polt und Markus Ederer beim „Josefstaler Gespräch“ zu politischen Themen wie der Flüchtlingskrise. Beim „Schlierseer Gespräch“ im Bauerntheater sprachen sie über Europa (2019), Russland (2021) und über die Beziehung China-USA (2023). 2024 stand erstmals der Humor thematisch im Vordergrund. (Foto: IH)
Podiumsgespräch beim Kulturherbst Schliersee
Gerhard Polt, „Altmeister des bairischen Humors“, und Markus Ederer, ehemaliger Botschafter und Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, kamen erneut im Rahmen des Kulturherbstes zu einem „Schlierseer Gespräch“ im Bauerntheater zusammen: „Humor kennt keinen Untergang“ – oder etwa doch?
Dass Humor keinen Untergang kennt, das sei keine These, die sie beweisen müssten, merkt Markus Ederer gleich zu Anfang ihres Gespräches an. Der Blick zurück in die Menschheitsgeschichte sei Beweis dafür genug, dass Humor gewissermaßen unsterblich sei: „Das römische Reich ist untergegangen, aber der Humor nicht.“ Es sei jedoch nicht allein der Untergang des Humors, der dieser Tage heraufbeschworen werde, es sei vielmehr eine allgemeine Untergangsstimmung, die in Deutschland „fast schon liebevoll bewirtschaftet“ (Ederer) werde.
Wobei der ehemalige Botschafter dafür plädiert, begrifflich zu differenzieren: „Wenn wir vom sogenannten Untergang reden, reden wir meist nur von einem Übergang, den man schmerzlich empfindet.“ Gerhard Polt wird im Laufe des Gespräches, als die beiden schon über die Grenzen des Humors diskutieren, auf diesen Gedanken Ederers implizit nochmal zurückkommen: Wenn er das Wort „Grenze“ etymologisch aus dem Slawischen herleitet, wo man unter diesem Begriff ursprünglich eher den Übergang von einem ins andere meinte, also einen langsamen, schleichenden Prozess anstelle jenes abrupten, wie ihn das Wort „Grenze“ heutzutage suggeriert.
Der Mensch dem Menschen ein Trost
Auch Gerhard Polt ist davon überzeugt: „Solange es den Menschen gibt, stirbt der Humor nicht aus.“ Diese Tatsache sei nicht zuletzt dem Menschen selbst geschuldet, diesem durch und durch ulkigen Geschöpf, widersprüchlich und komisch, überdies in der doppelten Bedeutung letzteren Wortes: lustig und merkwürdig zugleich. Polt schlägt deshalb vor, das Lächerliche einfach als eine (menschliche) Konstante zu akzeptieren.
Das künstlerische Paradebeispiel für ein solches Verständnis des Menschen sei die Commedia dell’arte, bei der „kein Charakter gut wegkommt“ und alle Figuren auf ihre menschlich schlechtesten, das heißt eben auch lustigsten, Charakterzüge reduziert würden: geizig, deppert, intrigant (usw. usf.). Darin läge sozusagen die ausgleichende Gerechtigkeit und auch ein gewisser Trost: dass wir Menschen alle gleich sind. Also auch gleich lächerlich.
Kulturherbst-Begründer Johannes Wegmann überreicht Gerhard Polt und Markus Ederer
den Bildband „Bauernlandschaft“ von Cordula Flegel. (Foto: IH)
Spaß beiseite
Eines der lustigsten Highlights dieser Polt-Ederer-Matinee war sicherlich der Moment, in dem sich der Kabarettist über deutsche Redewendungen echauffierte: „‚Da hört der Spaß auf‘ oder ‚Spaß beiseite‘ – warum beiseite? Und wieso soll der aufhören?!“ Doch genau in diesem Punkt waren sich Polt und Ederer einmal nicht einig: Während der gelernte Jurist Markus Ederer findet, es gäbe auch „harte Grenzen“ – wozu er Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“ (2016) über Erdoğan zählt –, obliegt Polts Ansicht nach die Einschätzung, ob etwas guter oder schlechter Humor sei, jedem Einzelnen: „Humor ist, wenn er stattfindet.“
Ederer räumt jedoch ein, dass die Diplomatie zuweilen eine „humorfreie Zone“ ist. Allerdings sei sie dies mit gutem Grund, denn Humor habe stets kulturelle Vorbedingungen, und was in dem einen Land als witzig befunden wird, ist in einem anderen im besten Fall bloß unverständlich, im schlechtesten wirkt es geschmacklos, übergriffig oder gar beleidigend.
„Humor ist, wenn er stattfindet.“ In dem fast ausverkauften Schlierseer Bauerntheater findet
er an diesem Sonntagmorgen definitiv statt. (Foto: IH)
Doch selbst innerhalb ein und derselben Kultur sei Humor nichts Fixes: Er müsse immer wieder neu gesellschaftlich ausgehandelt werden. Und das wiederum schließt eine beständig zu aktualisierende Bewertung davon ein, was „noch“ lustig ist und was schon „nicht mehr“ lustig ist.
Die derzeit vielgerühmte wie auch oft verfluchte political correctness rissen beide nur kurz an; stattdessen erteilten die Redner nach knapp einer Stunde dem Publikum das Wort. Die interessanteste Frage unter den zahlreichen Beteiligungen war vielleicht die nach der Schadenfreude als rein deutsches Phänomen: „Meinen Sie, dass wir Deutschen böser sind als die anderen?“
Befreiendes Lachen
„Humor ist etwas, was einem nicht genommen werden kann“, sagt Gerhard Polt und läutet damit den nachdenklichsten Teil des Gespräches ein. In diesem Sinne will ihn Markus Ederer gar als eine „Waffe der Ohnmächtigen“ verstanden wissen. (Da würde ihm der Psychiater und KZ-Überlebende Viktor Frankl sicher beipflichten, bezeichnete er ja den Humor einst als „eine Waffe der Seele im Kampf um Selbsterhaltung“.)
Eine letzte Wehr der Wehrlosen: Sogenannte Flüsterwitze als „kleine Siege“ über das, worauf man keinen Einfluss mehr habe. Das verbotene, prekäre Lachen über solche Witze sei dann, im wahrsten Sinne des Wortes, ein „befreiendes“. Wobei Gerhard Polt zurecht darauf hinweist, dass es nicht jedem gegeben sei, in derartiger Aussichtslosigkeit noch lachen zu können, und er hält fest: „Humorlosigkeit kann gnadenlos sein.“ Und dann, als würde er das etwas fragwürdige Ende dieser Veranstaltung vorwegnehmen, fügt er noch hinzu: „Aber die Komik ebenso.“
Gerhard Polt gibt ein äußerst amüsantes Beispiel für den Galgenhumor: Als man dem bayerischen Räuber Kneißl eröffnete, dass er gehängt werden würde, soll er der Legende nach geantwortet haben: „De Woch fangt scho guad o!“ (Foto: IH)
Satire darf alles, nur nicht…
Deutsche Politiker seien selten freiwillige Humoristen, befinden Polt und Ederer; anders als es beispielsweise Selenksyj gewesen sei, ehe er ukrainisches Staatsoberhaupt wurde. Daher sind die kleinen Patzer unserer bierernsten Machthaber oder Satire-Formate wie die ZDF heute-show bisweilen solch eine Wohltat. „Doch was passiert, wenn die Grenzen des Spaßes verschwimmen? Wenn sich Politik, Satire und Desinformation vermischen?“, fragt Claudia Spiess von Mimikama, einem Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, in ihrem Bericht über den X-(ehem. Twitter)-Kanal „Außenministerin Parody Annalena Baerbock“, dessentwegen es 2023 zu einer ungemein brenzligen Situation kam.
Der zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Parodie-Blog gekennzeichnete Kanal mischte sich im Namen der Bundesaußenministerin in den Militärputsch in Niger ein und verkündete ihre angebliche Bereitschaft, mit dem Militär zu verhandeln. „Der Sprecher [des Auswärtigen Amtes] betonte, als Person des öffentlichen Lebens müsse die Ministerin auch Parodie aushalten. In diesem speziellen Fall drohe bei einer Verwechslung jedoch außenpolitischer Schaden, ‚wenn in eine Krise, die sich zuspitzt, hinein getwittert wird‘.“, schrieb die FAZ damals.
Gerhard Polt zitierte den Schriftsteller Bernd Eilert, dessen Worte auch noch auf leerer Bühne nachklingen: „Die komische Weltsicht ist eine absolute. Sie relativiert alles. Nur wer die Welt sehen möchte, wie sie ist, um zu erkennen, wie sie bestenfalls sein könnte, wird die Unversöhnlichkeit absoluter Komik aushalten, und in Wort und Bild für ihre Verbreitung streiten.“ (Foto: IH)
Just aus diesem Parodieblog zitierte Markus Ederer zum Abschluss eines bis dahin rundum gelungenen Vormittags: „Ich bin bereit, die Welt vor dem patriarchalen Untergang zu retten. Dafür ist mir keine Reise zu weit, kein Visagist*in zu teuer, kein Kleid zu sexy und keine Treppe zu steil. Ich verschenke weiterhin Ihr Steuergeld, weil es sonst niemand tut.“ Die über 93 Tausend Follower von @baerbockpress würden Markus Ederer zweifellos darin zustimmen, dass es lustig ist, der Grünen-Politikerin solche Worte in den Mund zu legen. Und wie Gerhard Polt zu sagen pflegt: „Satire darf alles, nur nicht schlecht sein.“ Nur bleibt eben die große Frage im Raum, ob in Zeiten von Fake News und Desinformationskampagnen, Cancel Culture und allzeit drohendem Shitstorm, dem Humor die Grenzen aufzuzeigen tatsächlich jedem selbst überlassen sein sollte.