Für ein helleres Morgen

Mechtild Manus vom Katholischen Bildungswerk Miesbach, Sabine Sohnius vom Oberland Kinocenter Hausham, Jennifer Roger von der Bücheroase Schliersee und Dr. Thomas Rink vom NS-Dokumentationszentrum München. Foto: IH

Neues Jahr, neue Filme, viel Gesprächsstoff: „Von Büchern und Filmen“ geht in die zweite Runde. 

Veranstaltungsreihe in Hausham

Nachdem die neue Veranstaltungsreihe „Von Büchern und Filmen“ – organisiert von Mechtild Manus (KBW Miesbach), Katha und Sabine Sohnius (Oberland Kinocenter Hausham) und Jennifer Roger (Bücheroase Schliersee) – im vergangenen Jahr mit großem Erfolg anlief, geht es in diesem Jahr gleich weiter: Den Auftakt machte der Spielfilm WHITE BIRD (USA 2023), der auf der gleichnamigen Graphic Novel von Raquel J. Palacio beruht, und der die Geschichte eines jüdischen Mädchens erzählt, das sich mit der Hilfe eines Klassenkameraden in einer alten Scheune vor den Nazis versteckt hält und so, dank seiner Hilfe, das NS-Regime überlebt.


„White Bird“, das Buch zum Film: Büchertisch der Bücheroase Schliersee. Foto: IH

Wie jedes Mal bei „Von Büchern und Filmen“ luden die Veranstalterinnen einen Fachkundigen, einen Experten zum jeweiligen Thema des Films, ein; diesmal zu Gast Dr. Thomas Rink vom NS-Dokumentationszentrum München. Der Historiker, der zur deutsch-jüdischen Geschichte promovierte, setzt im NS-Dokuzentrum seit vielen Jahren partizipative Projekte sowie Ausstellungen von und mit Schulklassen oder außerschulischen Bildungseinrichtungen um.

„Ich spreche nicht gerne darüber. Aber jetzt denke ich, dass ich es dir zuliebe tun sollte.“

Der Kinosaal füllt sich. Bevor der Film losgeht, richtet Jennifer Roger, Inhaberin der „Bücheroase Schliersee“, schon eine erste Frage an Thomas Rink: Welche Rolle spiele das Medium „Film“ in der Vermittlungsarbeit? Dem Spielfilm käme eher eine untergeordnete Rolle zu, so Rink; Teil der Bildungs- und Vermittlungsarbeit seien vielmehr Dokumentationsfilme oder Zeitzeugen-Interviews.

Interessanterweise verhandelt nun das Jugenddrama WHITE BIRD implizit genau diesen Unterschied filmischer Formate. Denn wenn es auch in diesem Spielfilm vordergründig um die (fiktive) Liebesgeschichte zweier Heranwachsender vor dem NS-Hintergrund gehen mag, verweist der dramaturgische Rahmen des Films auf die Bedeutung (realer) Zeitzeugengespräche.

Jennifer Roger, Inhaberin der Bücheroase Schliersee, begrüßt die Anwesenden und stellt den Historiker Dr. Thomas Rink (r.i.B.) vor. Foto: IH

So wird nämlich im Film die Geschichte des jüdischen Mädchens von ihr selbst, als alter Frau, in der Retrospektive erzählt: Die Großmutter, gespielt von Helen Mirren, berichtet ihrem Enkel von diesem tragischen Kapitel ihres Lebens, über das sie lieber geschwiegen hätte. Sie erzählt also ihrem jungen Enkel, der personifizierten Zukunft, zuliebe von der Vergangenheit, damit diese greifbar für ihren Nachkommen wird, nachvollziehbar und so gegenwärtig, dass auch derjenige aus der Vergangenheit lernen kann, der sie nicht selbst am eigenen Leib erlebt hat. Denn die Dunkelheit der Vergangenheit darf sich nicht wiederholen, sagt sie mit der ganzen Bestimmtheit einer Zeitzeugin. Man muss sich einsetzen „für ein helleres Morgen“.

„Man vergisst viele Dinge im Leben, aber Freundlichkeit vergisst man nie.“

Im Anschluss an den Film findet das Publikumsgespräch statt. Zunächst möchte Mechtild Manus, Vorsitzende des KBW Miesbach, von Thomas Rink wissen, ob sich die Geschichte genau so, wie sie der Film gezeigt hat, zugetragen haben könnte? Der Historiker bestätigt, dass der Film einen großen Realitätsgehalt habe, und dass er sich an verschiedene Biografien erinnert gefühlt habe, wie zum Beispiel an die von Anne Frank oder von Charlotte Knobloch, die im bayerischen Arberg bei einer Bauernfamilie versteckt wurde.

Doch es ist dem Historiker sichtlich ein Anliegen, vor dem Publikum zu betonen, dass solche Zivilcourage, wie sie auch WHITE BIRD zeigt, immer die Entscheidung Einzelner gewesen ist: „Der wenige Widerstand wurde nach dem Krieg hochgehalten. Dass diese Wenigen auf den Sockel gehoben werden, verschleiert aber die Tatsache, dass die meisten mitgemacht oder einfach stillgehalten haben.“

Mechtild Manus und Thomas Rink im Gespräch mit dem Kino-Publikum im Anschluss an den Film. Foto: IH

Schnell wird der Brückenschlag zur Gegenwart gemacht: Eine Frau aus dem Publikum drückt ihre Betroffenheit darüber aus, dass sich in den letzten zwanzig Jahren die Debattenkultur zunehmend verschärft habe, der „Ton so hart geworden“ sei; es dürfe wieder gesagt werden, was lange als unsagbar galt. Die „Grenze des Sagbaren“ sei verschoben worden, pflichtet ihr Mechtild Manus bei.

Auch Thomas Rink äußert angesichts der Radikalisierung in der Asylpolitik seine Sorgen. Und er erinnert an die drei Worte, die Marcel Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, kürzlich in einer Rede in den Bundestag einbrachte, als das ethische Vermächtnis seines Vaters, das einem jeden ins Gewissen ruft: „Sei ein Mensch.“

„Vive l’humanité!“

Das Gespräch will nicht abreißen, viele Personen scheinen das Bedürfnis zu haben, ihrer Wut oder auch einem Gefühl von Ohnmacht Luft zu machen. Die Diskussion wird nach draußen ins Foyer verlegt. „Nach bestimmten Filmen hat man einfach das Bedürfnis, sich mit anderen austauschen. Das war auch bei THE ZONE OF INTEREST der Fall. „Danach sagte mir eine Besucherin, ohne das Publikumsgespräch hätte sie sich den Film nicht angeschaut“, erzählt mir Mechtild Manus.

Der gemeinsame Austausch schaffe zudem ein „Gefühl der Gemeinschaft“, merkt Jennifer Roger an. „Aber es muss nicht immer Konsens geben – wichtig ist nur, dass wir im Gespräch miteinander bleiben und einander zuhören. Mit ‚Von Büchern und Filmen‘ haben wir einen wunderbaren Rahmen dafür geschaffen.“

Miteinander im Gespräch: Nach dem Film im Foyer des Oberland Kinocenter Hausham. Foto: IH

„Die Resonanz ist jedes Mal überwältigend“, schwärmt auch Sabine Sohnius, die mit ihrer Tochter Katha und ihrem Mann Oliver zusammen als Kinobetreiber die Veranstaltungsreihe ermöglicht. Sie betont, wie wichtig es ihr als Kinobetreiberin sei, möglichst unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen, nicht nur die üblichen Arthouse-Kinogänger; auch unterschiedliche Generationen, ältere und jüngere Menschen, sollen bei dieser Veranstaltungsreihe zusammengebracht werden. Beides scheint zu gelingen, schaut man sich im Foyer um.

Lesetipp: Von Büchern und Filmen

Die Veranstalterinnen sind sich jedenfalls einig darin, „Von Büchern und Filmen“ weiterzuführen. In Zukunft wolle man vielleicht sogar die Taktung verkürzen, verrät Sabine Sohnius. „Wir möchten eine Regelmäßigkeit reinbringen.“ Am 10. März bei THE OUTRUN (D/UK 2024) sollen schon die nächsten drei Filme ankündigt werden.

Snacks und Getränke inklusive, dank der Sponsoren Brunner’s Vinothek, Florians Backstube und Getränke Silbernagl. Im Bildhintergrund: Oliver Sohnius und Sabine Sohnius (verdeckt) im Gespräch mit Mechtild Manus. Foto: IH

Der nächste Film in der Veranstaltungsreihe „Von Büchern und Filmen“ wird am 10. März um 19 Uhr gezeigt, das aktuelle Programm gibt es hier zu sehen. Im Ticketpreis von 15 Euro (Gäste unter 18 Jahren: 8 Euro) sind der Film, das Gespräch und belegte Backwaren, sowie ein Glas Wein oder Saft, enthalten. Die Tickets kann man an der Abendkasse im Kino und auch online erwerben.

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