„Ich glaube, wir können den Tiger“
Dr. Ralf Wintergerst sprach beim „Korbinians Kolleg“ im Bachmair Weissach über Cybersecurity. Foto: API/Manuel Tilgner/Bachmair Weissach
Vortrag in Weissach
Cyberkriminalität ist eine Schattenseite der Digitalisierung. Der wirtschaftliche Schaden enorm. Beim „Korbinians Kolleg“ im Bachmair Weissach erläutert Bitkom-Präsident, Dr. Ralf Wintergerst, wo die Gefahren lauern und was Europa tun muss, um technologisch nicht abgehängt zu werden.
Bis auf den letzten Platz war am vergangenen Freitag der Festsaal im Bachmair Weissach belegt. Dort fand erneut das „Korbinians Kolleg“ statt, eine von Hotelier Korbinian Kohler 2017 ins Leben gerufene Vortragsreihe mit hochkarätigen Wissenschaftlern, Politikern und Künstlern zu brennenden Fragen unserer Zeit.
Diesmal an der Reihe: Dr. Ralf Wintergerst mit dem Vortrag „Cybersecurity in einer Welt im Umbruch.“ Als CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung leitet er das weltweit agierende Security-Tech-Unternehmen Giesecke und Devrient, das auch im Louisenthal in Gmund einen Standort besitzt. Zudem ist Ralf Wintergerst seit 2023 Präsident des Digitalverbands Bitkom, Deutschlands größtem Branchenverband für digitale Technologien.
Ein Mann also, der genau weiß, wovon er spricht, wenn es um Cybersecurity geht. Ein Thema, das uns immer mehr beschäftigen wird. Denn die Gefahr, dass sich Kriminelle in Computersysteme einhacken, sie lahmlegen, Daten klauen und Geld erpressen, wächst mit fortschreitender Digitalisierung – und gilt als eine ihrer Schattenseiten.
Die häufigsten Angriffs-Methoden im Netz sind laut Ralf Wintergerst derzeit folgende:
Ransomware: Eine Art Schadsoftware, die Daten auf Computern verschlüsselt, so dass kein Zugriff mehr möglich ist. Zur Freigabe wird Lösegeld (auf Englisch ransom) erpresst.
Phishing-Attacken: Dabei handelt es sich um betrügerische E-Mails, Webseiten etc., die dazu verleiten, sensible Daten weiterzugeben und dabei auch Schadsoftware herunterzuladen.
Distributed Denial of Service-Angriffe, kurz DDoS: Server werden dabei mit Anfragen bombardiert, so dass sie nicht mehr richtig funktionieren und zusammenbrechen.
„Wir sind alle wahrscheinlich schon mal gehackt worden“
„Wer von Ihnen wurde schon mal gehackt?“, fragt Ralf Wintergerst das Publikum. Zu seiner Überraschung hebt niemand den Arm. Das verwundert den Experten, denn in der Wirtschaft gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Unternehmen, die gehackt worden sind, und Unternehmen, die gehackt worden sind und es nicht wissen. Dies gelte mit ziemlicher Sicherheit auch für Privatpersonen. „Wir sind alle wahrscheinlich schon mal gehackt worden“, betont er zum Unbehagen des Publikums.
Es betrifft also alle. Privatleute genauso wie kleine und große Unternehmen sowie Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. Ein Cyberangriff auf Letzteres dürfte Bewohnern des Landkreises Miesbach noch lebhaft in Erinnerung sein, als im Juni 2024 der Betrieb des Krankenhauses Agatharied dadurch empfindlich gestört wurde.
Allein in Deutschland 250 Milliarden Euro Schaden durch Cyberkriminalität
Die Verluste, die durch Cyberkriminalität entstehen, sind immens. Im vergangenen Jahr soll sich der wirtschaftliche Schaden laut einer Bitkom-Erhebung allein in Deutschland auf über 250 Milliarden belaufen haben. Eine schwindelerregende Summe. Als wichtigste Ausgangsbasen für Angriffe auf die deutsche Wirtschaft spielen offenbar zwei Länder eine große Rolle: an erster Stelle China gefolgt von Russland.
Dr. Ralf Wintergerst über die Ausmaße von Cyberkriminalität. Foto: CS
Doch wer genau sind die Täter? Ralf Wintergerst projiziert ein Säulendiagramm an die Wand, das zeigt, dass im vergangenen Jahr 70 Prozent der Fälle von Datendiebstahl, Industriespionage und Sabotage von organisierten kriminellen Banden ausgingen. Aber auch Geheimdienste mischen immer mehr mit: Ihr Anteil an der Cyberkriminalität liegt demnach bei mittlerweile 20 Prozent.
Von ehemaligen Mitarbeitern droht Unternehmen ebenfalls zunehmend Gefahr. Ihr Anteil liegt bei mittlerweile 27 Prozent. Der Anteil von Mitarbeitern, die unbeabsichtigt Cyberkriminellen in die Hände spielen, ging gegenüber 2023 leicht zurück und liegt bei 23 Prozent.
Höhere Investitionen in Technologie in Europa und Deutschland nötig
Doch wie können wir uns besser schützen? „Datendiebstahl, Industriespionage, und Sabotageakte sind ernste Bedrohungen, die wir nur mit Hilfe neuester Technologien bekämpfen können“, erklärt Ralf Wintergerst. Für Europa und auch Deutschland sei daher vor allem eins wichtig: Künftig noch mehr in Technologie zu investieren, um von anderen Ländern wie etwa USA und China nicht abgehängt zu werden oder gar abhängig zu sein.
Gerade diese beiden Länder investieren in großem Stil in wichtige Technologien wie Künstliche Intelligenz. So gab Trump jüngst den Start des KI-Infrastrukturprojekts „Stargate“ bekannt, in das künftig mindestens 500 Milliarden US-Dollar fließen sollen. „Die USA schmeißen alles in die Waagschale für die Technologie der Zukunft“, sagt Ralf Wintergerst.
Zu viel Regulierung durch Digitalgesetze in Europa
Die zunehmende Regulierung in Europa mit etlichen Digitalgesetzen sieht Wintergerst kritisch und als Hemmschuh für den Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit. „Der Ansatz, über Regulierung zu gewinnen, wird aus meiner persönlichen Sicht nicht zu viel führen“, mahnt er. „Wir brauchen mehr Wachstum.“ Um wirtschaftlich weiterhin erfolgreich zu sein, müsse Europa daher massiv in Forschung und Entwicklung neuer Technologien investieren. Nur so könne man sich auch gegen Cyberkriminalität und organisierte Kriminalität zur Wehr setzen.
Technologischer Fortschritt zur Sicherung von Wohlstand und Stärke
Datenvernetzung, Cloud Computing und Künstliche Intelligenz seien nicht nur zentrale Instrumente für den Wohlstand der Zukunft, sie seien gleichzeitig auch die Voraussetzung für Stärke, Sicherheit und Unabhängigkeit – gerade auch auf politischer Ebene. Daher fordert Ralf Wintergerst ein Umdenken in Europa und Deutschland, um im Technologiewettlauf nicht abgehängt zu werden.
Hotelier und Veranstalter Korbinian Kohler im Gespräch mit Ralf Wintergerst. Foto: CS
Gefragt seien jetzt gezielte Technologiepartnerschaften, massive Investitionen in Cybersecurity sowie Reformen in der Regulierung. „Wenn wir diese Aufgaben klug und schnell anpacken, kann Europa zu einem Vorbild für Innovation und Widerstandsfähigkeit werden und sich seinen starken, unabhängigen Platz in der neuen Weltordnung sichern“, ist sich Ralf Wintergerst sicher. Denn Technologie bedeutet Macht.
Letztendlich käme es dabei auch auf das richtige Mindset an: „Es liegt an uns selber, ob wir uns als Kätzchen oder als Tiger sehen“, sagt er und deutet auf eine Projektion dieser beiden Tiere hinter sich an der Wand. „Ich glaube, wir können den Tiger“.
Zum Weiterlesen: Der Rechtspopulismus und die Medien