Abschiedsfarben

Einblicke ins Leben – Abschiedsfarben von Bernhard Schlink

Cover „Abschiedsfarben“. Foto: MZ

Buchtipp der Redaktion

In den neun Kurzgeschichten seines kürzlich erschienenen Buches „Abschiedsfarben“ beschreibt Bestsellerautor Bernhard Schlink unterschiedliche Lebensaspekte, Verstrickungen, Schuldfragen und Rückblicke auf Lebensgeschichten und findet in seinen Erzählungen unerwartete, spannende, teils irritierende Wendungen.

Das Abschiednehmen ist für jeden der einzelnen Erzähler schmerzhaft, befreiend, schicksalhaft, dramatisch oder liegt in der Zukunft. Es ist mit Schuld oder Lebenslügen, falschen oder verdrängten Erwartungen besetzt und lässt die neun älteren Herren, die ihr Leben aus unterschiedlichen Gründen Revue passieren lassen, manches erklären, deuten oder zurecht rücken. Die Geschichten nehmen durch ihre schlussendlichen Wendungen, Fragen, Korrekturen oder einen möglichen Neubeginn häufig den Leser in die Pflicht, die Erzählung weiterzudenken.

Unerwartete Wendungen

„Abschiedsfarben“ spielt mit dem Unerwarteten, dem Richtungswechsel und erzeugt dadurch Dramatik und Spannung. Die Frage nach der Wahrheit, dem erfüllten oder unerfüllten Lebenstraum, der Schuld oder Schuldzuweisung, dem Verrat, Verlust oder ganz einfach – der Liebe, zu wem auch immer, bilden den roten Faden der Erzählungen. Farben im Titel. Farben geben auch die Aura der Protagonisten wieder oder beschreiben die Natur. Sie sind grau oder blau, gelb oder orange, wie etwa das graue Kleid der Mutter „mit dem kleinen runden Ausschnitt“ oder das blaue Kleid „mit schwarzer Stola“. „Der Himmel war strahlend blau, im gelben und grünen Wald flammte der rote Ahorn und am Haus blühten die Herbstrosen orange und rosa“. Farben malen die Stimmung, erzeugen Melancholie, Trauer, aber auch Hoffnung und Wärme.

Ruhig und in klarer Sprache schreiten die Geschichten dahin. Die aussagekräftigen Charakterbeschreibungen und Lebensberichte wirken realistisch und sind stilistisch intellektuell geführt und spannend geschrieben. Reizvoll sind die markanten Titel der einzelnen Erzählungen, führen sie den Leser doch stets auf neue Fährten.

Lebensberichte, Beichten und Hoffnungen

Bernhard Schlink beobachtet seine Protagonisten in unterschiedlichen Lebenslagen und verfolgt sie in ihren Betrachtungen teilweise über Jahrzehnte hinweg. Da ändert sich der Blickwinkel, das persönliches Empfinden, das Gefühl von Schuld, Reue oder Versagen. Er lässt sie nachdenken über die Sinnhaftigkeit dessen, was geschehen ist durch Versäumnisse, Abwarten, Flucht, Mutlosigkeit.

Da geht es um den Verrat eines Freundes an die Stasi, um die Beziehung zum Bruder und dessen erweiterten Selbstmord, um die schweigende Beobachtung eines nächtlichen Mordes an einem früher geliebten Mädchen, um die Begegnung mit einer unerfüllten Jugendliebe ebenso wie um das Geheimnis einer Affäre der Mutter. Zuletzt wird von der Liebe eines alternden Schriftstellers zu einer jungen Journalistin erzählt, von der Hoffnung auf Zukunft und wenn sie auch nur kurz sein möge. „Ich kann mein Glück nicht fassen“, so lautet der Schlusssatz von Abschiedsfarben. Glücklich auch die Leserinnen und Leser, die sich auf die Geschichten einlassen.

Lesetipp: Mord mit Smoothie

Bernhard Schlink „Abschiedsfarben“, Diogenes Verlag, 2020

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf